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»Es fehlt Geld im Haushalt«

Im Wortlaut von Barbara Höll,

Barbara Höll, steuerpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über den Kampf gegen Steueroasen, die Steuervermeidung internationaler Konzerne, runiösen Steuerwettbewerb und Steuerhinterziehung



In der EU ist fast alles geregelt, die Größe des eines Apfels oder einer Orange. Nur bei den Steuern nicht. Länder wie Irland oder Lichtenstein leben nach dem Prinzip Steueroase. Sie verlangen deutlich niedrigere Steuersätze als zum Beispiel Deutschland. Warum gibt es ausgerechnet in Sachen Steuern keine einheitliche Regelung in der EU?

Barbara Höll: Es ist erstaunlich, dass offenbar belanglose Kleinigkeiten geregelt werden, jedoch bei zentralen Fragen, wie etwa der Koordinierung der Steuer- und Wirtschaftspolitik nichts oder kaum etwas passiert. Dabei war die Bedeutung dieser Fragen schon damals bei der Schaffung des Euro vielen klar, viele Expertinnen wiesen darauf hin. Ich und meine Fraktion haben in den neunzigerJahren im Bundestag auf die Notwendigkeit einer koordinierten Wirtschafts- und Steuerpolitik hingewiesen. Warum es momentan in Sachen Steuerfragen keine einheitliche Regelung in der EU gibt, liegt auf der Hand. Mit Steuersystemen lassen sich wunderbar Wettbewerbsvorteile schaffen, Unternehmen siedeln sich an, Kapital wird angezogen. Das solch ein ruinöser Steuerwettbewerb letztlich für alle Länder Steuermindereinnahmen bedeuten, ist nun wohl auch einigen Ländern klar geworden. Sinnvoll wäre definitiv eine Harmonisierung der Steuern, mit Mindestbesteuerung, um den Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsstaaten einzudämmen.

Internationale Konzerne wie Starbucks, Apple oder auch Google, aber auch deutsche Konzerne machen sich das zunutze. Sie verschieben Gewinne in andere Länder. Angeblich ganz legal. Ist das auch legitim?

Dass Konzerne solche Möglichkeiten legal nutzen ist die eine Sache; ob es legitim ist, eine ganz andere. Die Bedeutung von Steuern sowie ihre Akzeptanz rückt in den Fokus der Debatte. Zahle ich gerne Steuern oder nicht und warum? Legitim ist das Verhalten der im Fokus stehenden Unternehmen sicher nicht. Wenn nach Recherchen von Frontal 21 der Konzern Apple rund eine Milliarde Euro Gewinn in Deutschland macht, aber nur fünf Millionen Euro Steuern zahlt, dann stimmt da was nicht. Nach Tax Justice Network hätte Apple rund 250 Millionen Euro an Steuern zahlen müssen. Unternehmen nutzen die Infrastruktur, also müssen sie auch wie jeder andere Steuerzahler in diesem Land ihren angemessenen Teil zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.

Wie kann das erreicht werden?

Die verschiedenen angewandten Methoden zur Steuergestaltung müssen erkannt, deren Wirkungen analysiert und letztlich gesetzlich unmöglich gemacht werden. Dem internationalen Informationsaustausch in Sachen Steuerangelegenheiten kommt hier eine zentrale Rolle zu. Die weltweiten Steuerumgehungs- und Vermeidungssysteme gehören an vorderste Stelle der To-Do-Liste, denn Steuereinnahmen sind die Basis unseres gesellschaftlichen Wohlstandes.

Könnte der deutsche Gesetzgeber die Gesetze so ändern, dass das Verschieben der Gewinne in Steueroasen nicht länger möglich ist?

Eine komplette Verhinderung der Gewinnverschiebung ist sicher praktisch kaum möglich, dennoch nutzt der deutsche Gesetzgeber derzeit nicht alle Möglichkeiten aus, um wenigstens einen Teil der Gewinnverschiebung zu verhindern. Will man dieser Steuerumgehungspraxis entgegenwirken, müssen sich alle Staaten dem Kampf von Steuerumgehung und -hinterziehung verpflichten und entsprechende Lücken schließen beziehungsweise nationalstaatliche Regelungen aufeinander abstimmen. Das derzeit sich in Verhandlung befindende Facta-Abkommen zeigt gerade in Sachen Informationsaustausch erste Wirkung. Die USA wollen damit insbesondere an die Banken heran, also diejenigen, die mit 'kreativen' Modellen  diese Steuerumgehungsmöglichkeiten erst in die Praxis umsetzen. Luxemburg zum Beispiel will durch den Druck der USA nun auch plötzlich sein Bankgeheimnis überdenken. Für Deutschland ist ein wichtiger Aspekt auch die Personalausstattung der Finanzämter, es müssten deutlich mehr Betriebsprüfer eingestellt werden, um alleine das Einhalten der derzeit gültigen Gesetze zu gewährleisten.

Was ist die Folge davon, wenn große Unternehmen, die vom deutschen Markt und seiner Infrastruktur profitieren, hier aber nur wenig Steuern zahlen?

Zum einen verschaffen sich diese Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Firmen, beispielsweise aus dem Mittelstand, die Steuervermeidungsmethoden nicht nutzen können. Zum anderen führt das illegitime Verhalten dieser Unternehmen, die bewusst Steuern vermeiden, zu geringeren Steuereinnahmen. Im Klartext, es fehlt Geld im Haushalt, das dringend für Bildung, Kindererziehung, Infrastruktur, oder auch eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommen benötigt wird. Letztlich und langfristig schaden sie mit ihrem Verhalten nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch sich. Denn auch sie benötigen eine gute Infrastruktur und gut ausgebildetes Personal, das fällt nicht vom Himmel. Sondern hier muss erst kräftig investiert werden, in Kitas, Schulen und Universitäten.

Einfache Angestellte haben keine Möglichkeiten, sich vor Steuern zu drücken. Andere können mal mehr, mal weniger legal tricksen. Können letztere davon überzeugt werden, dass ein funktionierendes Gemeinwesen seinen Preis hat?

Wir reden hier nicht um weniger oder mehr tricksen bei der Steuererklärung, wir reden über massiv betriebene und organisierte Steuerumgehung beziehungsweise massiven Steuerbetrug, dieser ist eine Straftat und kein Kavaliersdelikt. Hier geht es nicht vorrangig darum, Unternehmen oder reiche Einzelpersonen, die sich solcher Möglichkeiten mit Hilfe von Banken bedienen, zu überzeugen, sondern es geht um die Einhaltung und den Vollzug der bereits bestehenden Gesetze sowie die Stilllegung bestehender Steuerumgehungsmöglichkeiten. Den einfachen Angestellten wird ihr Beitrag für das Allgemeinwesen bereits vom Lohn abgezogen. Möglichkeiten zur kreativen Gestaltung haben sie meist nicht. Auf der anderen Seite rechnen sich einige Unternehmen arm, indem Gewinne ins Ausland verlagert werden, wie das DIW jüngst wieder feststellte. An Zeit, Geld und Personal für eine ausreichende Prüfung von Unternehmen hingegen mangelt es. Durch eine personelle wie finanzielle Aufstockung der Finanzämter, gerade im Bereich Betriebsprüfungen, könnte der Fiskus deutlich mehr Steuern einnehmen.

Sprechen wir über illegale Steuerhinterziehung. Bundesfinanzminister Schäuble hält nach wie vor an der strafbefreienden Selbstanzeige fest. Ihre Abschaffung würde auch nicht für mehr Gerechtigkeit sorgen. Wie sehen Sie es?

Dieses komfortable Instrument erlaubt es Steuerbetrügern bei gelungener Selbstanzeige und einem Hinterziehungsvolumen bis 50.000 Euro strafffrei davon zu kommen, neben den sechs Prozent Verzugszinsen pro Jahr. Bis 100.000 Hinterziehungsbetrag kommt lediglich ein Zuschlag von fünf Prozent auf die hinterzogenen Steuern hinzu. Wie wollen Sie diesen laxen Umgang mit Steuerbetrügern den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erklären, die im Jahr vielleicht gerade einmal 40.000 Euro oder weniger verdienen? Ich halte die strafbefreiende Selbstanzeige für ein reines Instrument zur Steuergestaltung. Steuersünder melden sich ja nicht, weil es das Instrument der Selbstanzeige gibt, sondern weil wieder einmal ein paar CDs aufgetaucht sind, auf denen vielleicht ihr Datensatz stehen könnte. Das ist reines Taktieren und hat nichts mit Reue zu tun. Es gibt keinen ernsthaften Beleg dafür, das die strafbefreiende Selbstanzeige Steuerhinterziehung verhindert. Meines Erachtens ist die Selbstanzeige rein fiskalisch motiviert und die Folge eines behördlichen Ermittlungsnotstands.

linksfraktion.de, 6. Juni 2013