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»Es fehlt eine internationale Insolvenzordnung«

Im Wortlaut von Axel Troost,

Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, im Interview über die Situation Argentiniens nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA und die Notwendigkeit einer internationalen Insolvenzordnung für Staaten


junge Welt: Das hochverschuldete Argentinien hatte 2005 und 2010 Schuldenschnitte beschlossen. Hedgefonds haben dagegen vor dem Obersten Gerichtshof der USA geklagt und jetzt recht bekommen: Bis Ende Juni sind 1,3 Milliarden Dollar fällig. Argentinien scheint jetzt klein beigegeben zu haben und ist zu Verhandlungen bereit. Hätte die Regierung eine andere Möglichkeit gehabt?

Axel Troost: Kurz noch einmal zum Hintergrund: Der überwiegende Teil der Gläubiger hatte den Schuldenschnitten zugestimmt, sie verzichteten auf Zweidrittel ihrer Forderungen. Hedgefonds hatten aber einen Teil der Schuldtitel billig aufgekauft und treiben sie jetzt zum Nominalwert ein. Das heißt, daß Argentinien diejenigen Gläubiger nicht weiter ausbezahlen kann, die sich auf den Schuldenschnitt eingelassen hatten. Die vor Gericht siegreichen Hedgefonds müssen vorrangig bedient werden.

Das führt zu einer unhaltbaren Situation, weil sich angesichts solcher Erfahrungen künftig kaum ein Gläubiger auf ein solches Verfahren einlassen wird. Solange es keine internationale Insolvenzordnung auch für Staaten gibt, wird ein Schuldenschnitt wie in Argentinien so gut wie gar nicht mehr möglich sein.

Argentinien ist so gut wie pleite und wird, wie das Urteil fürchten läßt, weiter von den internationalen Finanzmärkten ausgeplündert. Welche Perspektiven sehen Sie für das Land?

Wie gesagt, wir brauchen eine solche Insolvenzordnung, die regelt, wie ein Staat aus einer solchen Überschuldung herauskommen kann. Es heißt ja immer, Staaten könnten nicht pleite gehen – das stimmt aber nur für Nationalstaaten, die sich in eigener Währung verschuldet haben; die jeweilige Zentralbank kann im Bedarfsfall immer Geld drucken. Wenn sich ein Staat aber in einer Fremdwährung wie Euro oder Dollar verschuldet hat, geht das nicht mehr. Solche Staaten kommen nur dann wieder auf die Beine, wenn sie auf Grundlage einer Insolvenzordnung ihre Altschulden bereinigen und neue Kreditbedingungen aushandeln können.

Wie sollte eine solche Insolvenzordnung zustande kommen? Per UN-Beschluß oder per Einigung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank?

Das sollte im Rahmen der UN erarbeitet werden. Ein solche Regelung muß von der internationalen Staatengemeinschaft geschaffen werden und nicht von Institutionen wie IWF und Weltbank – die stehen in erster Linie unter der Fuchtel großer kapitalistischer Ländern und ihrer Finanzmetropolen.

Gibt es Bestrebungen, eine Insolvenzordnung zu erarbeiten?

Es gab erste Vorlagen, nicht zuletzt durch die frühere Verschuldung Argentiniens veranlaßt. Die Arbeit daran wurde leider eingestellt. Aber die jetzige Situation macht deutlich, daß diese Überlegungen sofort wieder aufgegriffen werden müssen, möglichst noch in diesem Jahr.

Erst im Mai hatte sich Argentinien mit den Gläubigern im »Pariser Club« über den weiteren Umgang mit den Rückzahlungen geeinigt. Ist diese internationale Absprache jetzt mit dem Urteilsspruch hinfällig?

Zumindest sehr gefährdet. Das Urteil signalisiert doch eins: »Liebe Gläubiger, ihr könnt euch auf kein Entschuldungsverfahren einlassen, solange nicht alle von euch zustimmen.« Ansonsten kann jeder verrückte und besonders profitgeile Hedgefonds – wie jetzt im Falle Argentiniens – vor Gericht ziehen und das gesamte Verfahren zu Fall bringen. Deswegen muß eine solche Insolvenzordnung auch vorschreiben, daß alle Gläubiger mitziehen.

Muß man das Urteil auch als Warnschuß sehen gegen alle Länder, die bestrebt sein könnten, sich wie Argentinien aus dem Griff der Finanzmärkte zu befreien?

Das kann man so verstehen. Das Brisante ist doch, daß einzelne Konzerne mittlerweile die Macht haben, unter Ausnutzung aller möglichen Abkommen ganze Staaten auszuhebeln. Diese Gefahr gibt es auch mit dem Freihandelsabkommen, über das die US-Regierung seit Monaten mit der EU verhandelt. Was genau besprochen wird, weiß man nicht, die Verhandlungen sind geheim. Aber nach diesem Urteil des Obersten US-Gerichts gehe ich davon aus, daß die Regierung in Washington sich ermutigt sieht, im Vertragstext Schiedsgerichte zu vereinbaren, die sich über Entscheidungen souveräner Staaten hinwegsetzen können.


junge Welt, 21. Juni 2014