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Es fehlt ein verlässlicher Generationenvertrag

Im Wortlaut von Matthias W. Birkwald, Frankfurter Rundschau,

Für eine gute Alterssicherung brauchen wir eine Rentenreform. Kleine Korrekturen reichen nicht. 

Seit Mitte 2018 beschäftigt sich die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne die demokratische Opposition sowie der Sozialverbände mit der Zukunft der Rente nach 2025. Einen „Generationenvertrag“ – wer wollte den nicht? Junge und mittelalte Menschen wünschen sich gerade in diesen Krisenzeiten eine klare soziale Perspektive.

Die Rentenkommission hätte dem Vertrauensverlust der gesetzlichen Rente bei vielen jungen Menschen entgegenwirken können. Dazu hätte sie ein klares Leistungsziel für die kommenden Jahrzehnte vorgeben müssen.

Die Kommission hätte untersuchen können, wie wir mit einem intelligenten Mix aus weniger unfreiwilliger Teilzeitarbeit, weniger Minijobs, höheren Löhnen und einer erfolgreichen Integration von Flüchtlingen mehr Menschen in gute Jobs bringen. Das wäre eine solide Grundlage für eine sichere Rente gewesen.

Sie hätte berechnen können, wie viele Beitrags- und Steuermittel eine armutsfeste und gute Rente, die zum Leben reicht, langfristig benötigt. All das haben sie aber nicht getan. Leider.

Dabei gibt es zu Hauf Studien und Vorschläge. Ein Blick zu den europäischen Nachbarn zeigt: Österreich, die Niederlande oder Dänemark machen es besser. Mit einem stabilen Arbeitsmarkt, einer hohen Erwerbsbeteiligung und höheren Beitragssätzen finanzieren sie langfristig ein armutsfestes Rentensystem.

Die gesetzliche Rente in Deutschland ersetzt nach neuesten OECD-Daten netto nur 51,9 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens. Andernorts sind es bis 89,7 Prozent (Österreich). Zugleich garantieren diese Länder ihren Alten eine armutsfeste Mindestrente oder eine Grundrente, die ihren Namen verdient.

Die Chance, über den Tellerrand hinaus zu blicken, wurde vertan. Weichenstellungen hin zu einer Rentenreform für eine zuverlässige Alterssicherung? Fehlanzeige! Die Kommission wird erklären, warum das Rentenniveau höchstens stabilisiert werden könne, langfristig aber sinken werde. Wir werden hören, warum die Einbeziehung von Beamtinnen und Beamten in die gesetzliche Rente zwar wünschenswert sei, finanziell aber nichts brächte. Auch das Lied, der Beitragssatz möge nur leicht steigen, wird zu hören sein. Die Beschäftigten haben als Rentner nichts davon.

Immerhin wurde Schlimmeres von den Gewerkschaften gegen die Drohkulissen marktradikaler Interessengruppen und des selbsternannten Rentenpapstes Axel Börsch-Supan verhindert. Er will das Rentenalter weiter anheben, das Rentenniveau kürzen und die private Vorsorge ausweiten. Die Lasten dessen sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tragen und die Taschen der Versicherungswirtschaft und der Arbeitergeber und Arbeitgeberinnen gefüllt werden. Dazu wird es nicht kommen. Gut so.

Aber es fehlt ein Bekenntnis – auch der Gewerkschaften – für eine Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Da lag es im Jahr 2000. Durchschnittsverdienende hätten nach 45 Jahren Arbeit 150 Euro mehr Rente. Brutto. Ginge es nach der Kommission, hätten die Jungen dann nach 45 Jahren Arbeit sogar bis zu 130 Euro weniger Rente! Dazu darf es nicht kommen.

Ein Rentenniveau von 53 Prozent wäre auch langfristig finanzierbar: Dazu müsste der Beitragssatz sofort auf 20,7 Prozent angehoben werden. Heute würde das durchschnittlich Verdienende und ihre Chefs gerade mal je 35,48 Euro mehr monatlich kosten. Mit einer stufenweisen Anhebung des Beitragssatzes auf 24,5 Prozent im Jahr 2030 wäre dieser Pfad auch langfristig finanzierbar.

Viele mit prekären Jobs, Phasen der Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen haben fast keine Chance bis 67 oder gar darüber hinaus zu arbeiten. Niedrigverdienende sterben deutlich früher als Gutverdienende. Deshalb fordert die Linke eine abschlagsfreie Rente ab 60 Jahren nach 40 Beitragsjahren. Wer hingegen über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten will und kann wird schon heute mit Rentenzuschlägen von knapp neun Prozent pro Jahr belohnt.

Wege zu einer echten Erwerbstätigenversicherung zeigt die Kommission nicht auf. Wir wollen vorangehen. Wir fordern, dass Bundestagsabgeordnete spätestens von Herbst 2021 an Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe des halben Beitragssatzes auf ihre Diäten zahlen müssen und der Bundestag die andere Hälfte übernimmt.

Wir wollen die Beitragsbemessungsgrenze für alle hohen Einkommen bis 2023 verdoppeln und sehr hohe Rentenansprüche im höchsten verfassungsmäßig zulässigen Maße abflachen. Dann würden nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch Besser- verdienende an der Finanzierung gesetzlicher Renten beteiligt. Es gibt viel zu tun. Für eine gute Alterssicherung brauchen wir eine große Rentenreform.

Der Gastkommentar von Matthias W. Birkwald erschien am 25. März 2020 in der Frankfurter Rundschau.

Frankfurter Rundschau,