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"Es braucht den Druck von der Straße"

Interview der Woche von Katja Kipping,

Foto: © ddp images/CommonLens/Axel Schmidt

 

Im Interview der Woche spricht Katja Kipping über die Notwendigkeit der Blockupy-Proteste anlässlich der EZB-Neubau-Eröffnung in dieser Woche und welche Bedeutung sie für eine europaweite gesellschaftliche Gegenbewegung zur neoliberalen Krisenpolitik haben.

In dieser Woche wird das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main eröffnet. Die Blockupy-Bewegung ruft zu Kundgebungen und Protesten auf. Sie werden mit dabei sein. Wofür steht die EZB, wogegen richten sich die Proteste? Katja Kipping: 1,3 Milliarden hat sich die EZB ihren Umzug kosten lassen. Das ist so viel wie das gesamte Sozialbudget von Malta oder das halbe Sozialbudget von Ländern wie Island oder Estland. Und diese Zahlen sind tatsächlich symbolisch. Sie zeigen nämlich, dass die Krisenpolitik der EZB, der Troika und der Bundesregierung ein System verschärft, von dem nur die Eliten profitieren. Gegen diese Krisenpolitik richtet sich der Protest. Denn die herrschende Krisenpolitik wird die Schulden-Krise nicht lösen, ganz im Gegenteil: Sie verschärft sie noch.  Und weil es oft etwas wolkig klingt, wenn von der EZB die Rede ist, will ich nochmal daran erinnern: Da passiert ganz Konkretes. Die „Hilfe“ für von der Krise betroffene Länder wird an die Pflicht zu Sozialkürzungen und zu Lohnkürzungen gekoppelt, und damit werden toxische Modelle wie Hartz IV und Agenda 2010 europaweit exportiert. Wir sagen Nein zu dieser Form von Giftmüllexport: Hartz IV gehört nicht exportiert. Sozialdumping gehört abgeschafft und entsorgt.  Die neue griechische Regierung hat die »Troika« letzthin vor die Tür gesetzt. Gibt der Machtwechsel in Griechenland der Blockupy-Bewegung Rückenwind? Ja, definitiv. Syriza hat bisher schon Großartiges geleistet. Bisher bestimmten zwei Dogmen Europa: Sozialkürzung statt Reichtumsbesteuerung und Austerität statt Keynesianismus. Beide Dogmen werden nun in Frage gestellt. Das ist der große Erfolg von Syriza. Ihr couragiertes Auftreten hat europaweit viele Menschen in Wissenschaft, Gewerkschaften und Kunst, motiviert, nun das Dogma der Sparpolitik in Frage zu stellen. Und: Die griechischen Genossinnen und Genossen haben das unter äußerst widrigen Umständen erreicht, nicht zuletzt gegen eine deutsche Sozialdemokratie, die nicht einmal ihrer politischen Kernaufgabe nachkommt, die Bundesregierung endlich wieder auf den Weg von Demokratie und volkswirtschaftlicher Vernunft zu führen.   Da zugleich aber klar ist, dass das neoliberale Krisenregime in Europa noch nicht überwunden ist, braucht es gerade jetzt weiter Druck von der Straße. Denn die Auseinandersetzung für ein soziales Europa geht nun in die Verlängerung.  Sie laden am Vorabend der Proteste zu einer Podiumsdiskussion ein, bei der Sie mit Politikerinnen aus Spanien, Griechenland und Italien Chancen für einen Politikwechsel in Europa diskutieren wollen. Wie theoretisch ist so ein Politikwechsel? So ein Politikwechsel ist letztlich natürlich eine sehr praktische Angelegenheit, aber ohne theoretische Debatten ist er auch nicht zu machen. Denn das Problem ist ja nicht nur, dass es gelingen muss, klar zu machen, dass sich die aktuelle Politik gegen die Mehrheit der Menschen richtet – hier in Europa und erst recht anderswo. Darüber hinaus braucht es eine tragfähige Vision gesellschaftlicher Veränderung. Wenig veranschaulicht das besser, als die jungen Leute, die konfrontiert mit unserer Forderung „Hartz IV muss weg“ mit der entgeisterten Frage antworten: "Wie? Das wollt ihr uns jetzt auch noch wegnehmen?" Natürlich bleibt der Kampf gegen Hartz IV, die Ablehnung der Agenda-Politik ein zentraler Punkt für die Linke. Jedoch sind nach vorne gerichtete Alternativen und Strategien gefragt. Deswegen versuchen wir diese Diskussion nicht nur bei Blockupy zu führen, sondern starten als Partei und Fraktion auch eigene Initiativen, wie die "Linke Woche de Zukunft" Ende April in Berlin. Der Scharfmacher der europäischen Kürzungspolitik sitzt in Deutschland: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Und der hat es zuhause vergleichsweise ruhig und wird kaum von protestierenden Landsleuten behelligt. Woran liegt das?  Bisher gelingt es den deutschen Eliten leider immer noch, vielen Menschen in diesem Land das Gefühl zu geben, dass, wenn das Leben schon nicht besser wird, es doch immerhin funktioniert, die Kosten der eigenen Krisenpolitik in anderen Ländern abzuladen. Das ganze wird garniert mit ordentlich viel Nationalchauvinismus gegenüber jenen, denen es noch schlechter geht, und einigen kleinen sozialen Korrekturen hierzulande. Doch sollen auch diese Korrekturen wieder nur für jene gelten, die bereits „fleißige Ameisen“ im Standort Deutschland sind. Beispielhaft dafür stehen der durch zahlreichen Ausnahmen zerlöcherte Mindestlohn, die auf Abschottung und Entrechtung zielende Migrationspolitik oder die massive Prekarisierung im Niedriglohnbereich. Dabei ist dieses Politikmodell allerdings selbst auf Sand gebaut, denn es untergräbt – siehe die hohen Exportüberschüsse – seine eigenen Grundlagen. So wie bisher wird es also selbst hier nicht ewig weiter gehen können. Auch in Deutschland vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter. Das Armutsrisiko steigt und bedroht immer größere Bevölkerungsschichten. Was, glauben Sie, müsste geschehen, damit es in Deutschland eine gesellschaftliche Bewegung für einen Politikwechsel gibt? Welche Rolle spielt DIE LINKE dabei? Das ist eine langfristige Aufgabe und es gibt leider keinen Masterplan dafür. Aber ich denke, wesentliche Elemente sind doch, dass es eine breitere gesellschaftliche Verankerung der Linken im prekarisierten Alltag der Menschen braucht – und das gilt für die sozialen Bewegungen wie für unsere Partei. Deswegen wollen wir auch mit der Kampagne „Das muss drin sein“, die Ende April startet, sowohl die Verankerung der Partei vor Ort ausbauen als auch unter Beweis stellen, dass es sich auch im Kleinen lohnt, sich gegen die Vereinzelung und Prekarisierung des Lebens zu wehren. Es gilt, die sich abzeichnenden Risse in der Hegemonie des Neoliberalismus gemeinsam auszuweiten.   linksfraktion.de, 16.03.2015