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»Es bleibt die ausgrenzende Wirkung«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Sevim Dagdelen, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag




Was diesen Mittwoch zum Thema doppelte Staatsangehörigkeit vom Kabinett beschlossen wurde, wird verschieden interpretiert: Bei Spiegel online hieß es, die Union sei eingeknickt, die SPD habe den strikten Gesetzentwurf von Innenminister Thomas de Maizière zugunsten von Einwandererkindern aufgeweicht. Aus Ihrer Sicht scheint eher die SPD eingeknickt zu sein. Warum?

Sevim Dagdelen: Die SPD hatte die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages davon abhängig gemacht, daß die Optionspflicht, sich bis zum 23. Lebensjahr zwischen zwei Pässen zu entscheiden, komplett abgeschafft wird. Das Kabinett hat jetzt eine »zeitgemäße Neuregelung der Optionspflicht« beschlossen. Sie ist also mitnichten abgeschafft, sondern verewigt worden, weil es kam, wie es immer kommt: Die CDU/CSU haben sich durchgesetzt und die SPD ist eingeknickt. Dabei hätte die SPD mit Bezug auf den Wortlaut der Koalitionsvereinbarung auf der Abschaffung der ausgrenzenden, bürokratischen und mutmaßlich verfassungswidrigen Optionsregelung bestehen können.

Wie viele Menschen sind aktuell betroffen, wie viele könnten durch das Raster fallen?

Ab 2018 fallen etwa 40 000 Optionsverfahren pro Jahr an. Ich gehe davon aus, daß nach dem jetzigen Gesetzentwurf nahezu alle so genannten Optionskinder im Ergebnis ihre beiden Pässe werden behalten können. Denn es ist die absolute Ausnahme, daß hier geborene deutsche Kinder im Ausland aufwachsen. Allerdings bleibt die diskriminierende und ausgrenzende Wirkung des Gesetzes. Faktisch gibt es nach wie vor Deutsche zweiter Klasse, denen unter bestimmten Bedingungen nach mehr als 20 Jahren mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gedroht wird. Zudem bleibt die Ungleichbehandlung, bei vielen Staatsangehörigkeiten die doppelte völlig problemlos hinzunehmen, diese insbesondere bei türkisch-deutschen Staatsangehörigen jedoch zum Problem zu erklären und zu einem Identitätskonflikt aufzubauschen.

Es soll auch eine Härtefallklausel geben. Inwieweit schafft das Spielraum für ein vernünftiges Augenmaß, inwieweit für Willkür?

Härtefallklauseln zur Regelung individueller Fälle sind einerseits zu begrüßen – andererseits bedürfte es einer solchen Klausel nicht, wenn die Optionspflicht in Gänze auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen würde – wo sie hingehört – und damit Härtefälle erst gar nicht geschaffen würden.

Manche Initiativen bezeichnen die Optionspflicht als grundgesetzwidrig. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es, die Mehrheit der Rechtsexperten sehe sie als nicht klar verfassungswidrig an. Sie selbst sprechen von »erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken«. Fehlt hier ein klares Grundsatzurteil?

Das Bundesverfassungsgericht hat über die Optionspflicht noch gar nicht entscheiden können. Verfassungsrechtliche und auch unionsrechtliche Bedenken wurden aber zum Beispiel von Sachverständigen in Anhörungen des Bundestags vorgebracht. Und schließlich lassen sich Grundsätze eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2013 übertragen: Es gibt demnach ein schutzwürdiges Vertrauen von Kindern in den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit, das mit zunehmendem Alter umso mehr schutzbedürftig ist. Jenseits des frühen Kindesalters soll die deutsche Staatsangehörigkeit absolut beständig und verläßlich sein.

Von Geburtsdeutschen, die hier und da mal etwas aufgeschnappt haben, ist manchmal die Einschätzung zu hören, der »Doppelpaß« sei ein großes Privileg. Was würden Sie darauf antworten?

Das ist Unsinn. Hier lebende Menschen mit einem Doppelpaß haben prinzipiell dieselben Rechte und Pflichten, wie alle anderen deutschen Staatsangehörigen auch. Richtig ist, daß man in das Land des zweiten Passes leichter reisen kann, dort Besitzansprüche geltend machen kann oder beispielsweise Beerdigungen von Verwandten leichter organisieren kann. Aber warum sollte man dagegen sein? Manche Länder erlauben im Ausland lebenden Staatsangehörigen sogar die Teilnahme an Wahlen, übrigens auch die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb fordert Die Linke statt eines kleinmütigen Gemurkses beim Bürokratiemonster Optionspflicht ein fortschrittliches Staatsbürgerschaftsrecht, was allen hier lebenden Menschen gleiche Rechte ermöglicht.


junge welt, 12. April 2014