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Gregor Gysi hat beide Arme ausgestreckt und blickt beim Sprechen nach oben © picture alliance/SZ Photo/Johannes SimonFoto: picture alliance/SZ Photo/Johannes Simon

Endlich gleiche Löhne und gleiche Renten

Im Wortlaut von Gregor Gysi, SUPERillu,

Gregor Gysi über seine Kritik an Corona-Maßnahmen, die Ungleichbehandlung des Ostens und seine Sorge um die Demokratie

 

SUPERillu: Wie haben Sie die Corona-Pandemie erlebt, wie hat sie Ihr Leben verändert?

Gregor Gysi: Meine öffentlichen Auftritte fallen zwar zur Zeit leider weitgehend aus, aber auch als Politiker, Rechtsanwalt und Autor habe ich genug zu tun, da geht es mir besser als den vielen Beschäftigten im Einzelhandel, der Gastronomie, im Tourismus,  Künstlern oder Freiberuflern in vielen anderen Branchen, die jetzt schwer zu leiden haben.

Während des ersten Lockdowns im April habe ich angefangen, anders zu essen. Nur gefrühstückt, Mittagessen weggelassen. Und zum Abendessen möglichst wenig Kohlenhydrate. Hat genutzt, ich habe von 78 Kilo auf 65 Kilo abgespeckt und das wichtigste, das Gewicht bis jetzt erfolgreich gehalten. Ich fahre außerdem Rad – in der Wohnung. Als die Schwimmhallen noch offen hatte, war ich auch gerne schwimmen. Außerdem habe ich das Wandern für mich entdeckt. Das fand ich früher langweilig, aber mein Fahrer hat mich auf den Geschmack gebracht, der mir vom Wandern vorschwärmte. Mit dem Lockdown fällt aber auch vieles andere aus, kein Theater, kein Kino, kein Restaurant.

Sie haben in dieser Woche Geburtstag, fällt die Feier wegen Corona aus?

Was bleibt mir anderes übrig, wenn ich nach den neuen Regeln nur noch eine Person einladen darf? Aber im Ernst, das ist ja nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir die Pandemie gemeinsam schnell überwinden und das können wir nur mit den Impfungen schaffen. Wir brauchen sie schnell und ausreichend. Ich fürchte außerdem, dass die Pandemie, auch wenn sie hoffentlich bald überwunden ist, uns und unsere Kultur nachhaltig verändert.

Inwiefern, was könnte als Veränderung bleiben?

Wenn man schon aufhört, den Menschen die Hand zu geben, ist das nicht so harmlos, wie es zunächst scheint. Ich fürchte, was bleibt, ist, dass die Menschen auch nach der Pandemie insgesamt mehr Distanz zu einander halten, das wäre schade. Noch mehr fürchte ich politisch, dass man sich daran gewöhnt, dass Regierungen berechtigt sind, Grundrechte einzuschränken und das ohne die Parlamente daran angemessen zu beteiligen – so wie das jetzt mit diesen Ministerpräsidentenrunden der Fall ist....

... an denen mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow auch ein Linken-Politiker beteiligt ist, der für sein Bundesland ebenfalls weitere Einschränkungen forderte.

Ja, aber das macht er mit dem klaren Vorbehalt, dass alle Maßnahmen auch eine Mehrheit im Thüringer Landtag finden müssen, was in seinem Fall bekanntlich nicht so einfach ist, weil seine Regierungskoalition dort keine Mehrheit hat. Er achtet damit das Parlament, was viele seiner Amtskollegen nicht im selben Maße tun.

Was hätten Sie in der Corona-Krise anders gemacht?

Die aktuelle Kritik, dass die Regierung nicht im Alleingang für unser Land Impfstoff besorgt hat, teile ich nicht. Es war richtig und vernünftig, dass die EU- Staaten das gemeinsam getan haben, hier hat die EU einmal ihre Wirksamkeit erwiesen.  Wir müssen zusätzlich darauf hinwirken, dass der Impfstoff auch in den ärmeren Ländern der Welt schneller zur Verfügung steht, nicht nur bei uns. Als Versäumnis sehe ich, dass man sich früher hätte um mehr Produktionskapazitäten kümmern müssen, auch für uns.

Zum anderen wirken einige Maßnahmen unlogisch und sind zu hinterfragen. Da saßen Schulkinder den halben Tag mit 30 Mitschülern in der Klasse. Aber wenn sie nach Hause kommen, durften sie dort maximal ein anderes Kind treffen. Aber vor allen Dingen hätte ich
versucht, mehr mit Experten zu diskutieren. Und die Argumente, die zu Entscheidungen führen, den Bürgern besser zu erklären, als das der Fall ist. Es macht mir große Sorgen, dass die Zahl derer, die gegen die Lockdown-Maßnahmen oder gar gegen die Impfungen demonstrieren, so stark zunimmt. Sowohl Regierungs- als auch Oppositionsparteien müssen darüber nachdenken, was sie falsch machen, dass solche Bewegungen einen beachtlichen Zulauf haben.

Im September 2021 nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren politischen Abschied. Sie war 15 Jahre Kanzlerin – wie bewerten sie ihr politisches Lebenswerk?

Ich fange mit dem Guten an: Erstens ist sie eine Frau, die bewiesen hat, dass eine Frau Kanzlerin sein kann.  So dass das Argument, die Frauen packen es nicht, für immer erledigt ist. Zum zweiten kommt sie aus dem Osten, was auch wichtig ist, im Interesse der deutschen Einheit. Und drittens ist sie im Vergleich zu vielen Männern in der Politik erstaunlich wenig eitel. Sie hat gerade auch durch ihre Art der Bescheidenheit gepunktet.  Und jetzt zu den Mängeln: Sie hat zu wenig für den Osten getan, hat sich bei der Gleichstellung der Ostdeutschen um fast nichts gekümmert. Man hätte viel schneller die gleiche Rente für gleiche Lebensleistung, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit in gleicher Arbeitszeit erreichen können. Außerdem ist es schwer, ihre größeren politischen Ziele zu erfassen, sie hat davon einfach zu wenig. Ihr Verhalten zu vielen wichtigen innen- und außenpolitischen Themen war zu wenig von großen langfristigen Linien geprägt und viel mehr von der gegenwärtigen Stimmung. Sie agierte zu wenig, reagierte nur. Außerdem hat sie denselben Fehler wie Helmut Kohl gemacht – sie hätte früher aufhören sollen. Man muss wissen, wann man gehen sollte...

Das machen Sie aktuell auch nicht. Mit 73 treten sie bei der Bundestagswahl 2021 noch einmal an. Noch keine Lust auf Rente?

Das stimmt nicht so ganz. Ich habe gewusst, wann ich als Parteivorsitzender aufhöre. Und auch, wann ich nicht mehr als Fraktionsvorsitzender im Bundestag kandidiere. Dass ich als Bundestagsabgeordneter noch einmal antrete, liegt daran, dass die Partei- und Fraktionsführung mich darum gebeten hat, weiterzumachen. Nach der nächsten Wahl besteht eine Möglichkeit, dass es in einer Rot-Rot-Grünen Koalition tatsächlich zu einer Regierungsbeteiligung der Linken auf Bundesebene kommt. Das will ich gerne unterstützen. Ich kandidiere noch einmal, um hilfreich zu sein, wenn es zu so einer Koalition käme. Und wenn es nicht klappt, mache ich gerne noch weiter Außenpolitik, das macht mir Freude. Und außerdem habe ich die Regierungskoalition ja damit bedroht, solange im Bundestag zu bleiben, bis man im Osten endlich den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit in gleicher Arbeitszeit und die gleiche Rente für die gleiche Lebensleistung wie im Westen bekommt. Sie hätten sich eben mehr beeilen müssen.  

Nach den derzeitigen Umfragen hätten SPD, Linke und Grüne auf Bundesebene aber gar keine Mehrheit für eine Rot-Rot-Grüne Koalition....

Das stimmt, aber das könnte sich bis zur Wahl ja noch ändern. Sie haben aber recht, dass es auf dem Weg zu einer Rot-Rot-Grünen Koalition viele Hürden gibt. Wichtig ist, dass eine Mehrheit der Bevölkerung einen solchen klaren Politikwechsel will – mit einer anderen Sozialpolitik, einer anderen Steuerpolitik, einer anderen Militärpolitik. Und dass auch eine Mehrheit innerhalb aller drei beteiligten Parteien das klar will. Und das könnte ein Problem sein. Bei uns Linken will es eine klare Mehrheit. Bei der SPD auch, aber doch nur deswegen, weil sie um die nackte Existenz ihrer Partei fürchten, die als bisheriger Koalitionspartner der Union die Hälfte ihrer Wähler verloren hat. Das ist ein völlig anderes politisches Motiv. Und bei den Grünen ist es so, dass ungefähr die Hälfte zu einer Koalition mit der Union tendiert, die andere Hälfte zu einer mit SPD und Linken. Und dass dort am Ende nur den Ausschlag für Rot-Rot-Grün geben könnte, dass sie in einer solchen Koalition den Kanzler stellen können, in einer Koalition mit der Union nicht. Das ist nicht sonderlich ethisch. Außerdem muss man natürlich in jeder Koalition Kompromisse machen, aber die dürfen nicht zu weit gehen, denn wer zu viele Kompromisse macht, gibt seine Identität auf. Ein Kompromiss kann in der Länge eines Schrittes bestehen, aber nicht in der Richtung eines Schrittes. Wir fordern zum Beispiel, dass alle Rüstungsexporte verboten werden. Das werden wir bei der SPD und den Grünen nicht durchzusetzen können. Aber wenn wir durchsetzen können, dass zumindest keine Rüstungsgüter mehr an Diktaturen und kriegführende Staaten geliefert werden, hätten wir zumindest einen wichtigen Teilerfolg erreicht.  Das wäre fürs erste in Ordnung. Wenn allerdings unter unserer Regierungsbeteiligung die Rüstungsexporte zunähmen, können wir einpacken. Es muss immer in die richtige Richtung gehen.

Würden Sie auch als Spitzenkandidat der Linken antreten?

Nein, auf keinen Fall, dafür bin ich zu alt. Aktuell sind als Parteivorsitzende Susanne Hennig- Wellsow und Janine Wissler im Gespräch, eine solche Frauendoppelspitze fände ich sehr vernünftig. Außerdem haben wir gute Fraktionsvorsitzende, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch.

In den USA tritt der neue Präsident Joe Biden am 20. Januar sein Amt an. Wird sich das unter seinem Vorgänger Trump recht angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und den USA wieder normalisieren?

Viele Streitpunkte werden bleiben. Zum Beispiel wird er die harte Außenpolitik gegenüber China und Russland fortsetzen, genau wie Trump das getan hat. Hoffnung auf Entspannung gibt es aber an anderen Punkten. Er will zum Beispiel, dass die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beitreten, das ist sehr wichtig. Auch gegenüber dem Iran könnte es mehr Entspannung geben und damit im gesamten Nahostkonflikt. Außerdem könnte es natürlich sein, dass er in seinem fortgeschrittenen Alter sein Amt nach zwei, drei Jahren aufgibt – und dann mit seiner Vizepräsidenten Kamala Harris zum ersten Mal eine Frau in dieses Amt käme, noch dazu eine Frau mit zum Teil auch afroamerikanischen Vorfahren. Das wäre sehr positiv.

Ist dort die Demokratie in Gefahr? Ist das, was Trump da macht, schon strafbar?

Es ist auf jeden Fall extrem unverantwortlich. Er hetzt Teile der Bevölkerung regelrecht auf, indem er täglich von Manipulation und Wahlbetrug spricht. Damit diskreditiert er all jene Menschen, die die Stimmen ausgezählt haben, die Verantwortlichen in den Regierungen der Bundesstaaten – egal ob demokratisch oder republikanisch – und eine Vielzahl von Gerichten, die diese Behauptungen zurückweisen. Ohne seine Hetze hätte es diesen Sturm auf das Kapitol mit immerhin vier Toten nicht gegeben. Und selbst wenn er viel zu spät erklärt, dass die Menschen friedlich nach Hause gehen sollen, verbindet er es mit der Wiederholung seiner falschen Vorwürfe. Er ist der erste Mann im Staat und hat nun wirklich genug Schaden angerichtet.

Bei uns gab‘s bekanntlich vor dem Reichstag ähnliche Vorfälle, wenn auch nicht so heftig - auch Ausdruck zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung. Was tun dagegen?

In vielen Gesellschaften erleben wir solche Polarisierungen, auch bei uns. Allerdings ist es mit den USA nicht vergleichbar, weil es dort noch viel zugespitzter ist. Trotzdem müssen sich auch bei uns die Politikerinnen und Politiker aller demokratischen Parteien Gedanken machen, wie das Vertrauen in der Bevölkerung wieder aufgebaut werden kann:  Andere Sprache, Ehrlichkeit bei den Beweggründen, Ende des ungezügelten Wirtschaftslobbyismus von Konzernen und Banken, Berücksichtigung der Interessen heute Ausgegrenzter, der Arbeitnehmer, der Solo-Selbständigen, der kleinen und mittelständischen Unternehmen, deutlich mehr Steuergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung, überhaupt mehr soziale Gerechtigkeit und vieles andere.

SUPERillu,