Zum Hauptinhalt springen

»Eine Politik, die den Schwachen helfen will«

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Sie werden bei der Wahl für das höchste Staatsamt am 30. Juni als Kandidatin der Partei Die Linke gegen den Kandidaten von CDU/CSU und FDP, Christian Wulff, und den Bewerber von SPD und Grünen, Joachim Gauck, antreten. Was unterscheidet Sie von ihren Mitbewerbern?

Ich könnte es mir einfach machen, und sagen, daß ich eine Frau bin - und es jetzt endlich an der Zeit ist, daß wir eine Bundespräsidentin bekommen. Aber das ist nicht so maßgeblich, sondern, daß ich eine grundsätzlich andere Politik vertrete: Ich setze auf Friedenspolitik und Bewußtseinsvereinigung zwischen Ost und West in unserem vereinten Land. In dieser Krisenzeit vertrete ich eine Politik, die den Schwachen helfen will. Es geht darum, sie zu schützen und zur Bewältigung der Krise die heranzuziehen, die sie verursacht haben. Weiterhin unterscheidet mich mein Freiheitsbegriff von dem, den die anderen Bewerber haben. Joachim Gauck sagt, das kostbarste Gut sei die Freiheit - der fürsorgliche Staat stehe dieser entgegen. Ich hingegen meine: Freiheit gibt es nur im Einklang mit sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit. Eine Freiheit, die dem Starken alles ermöglicht und den Schwachen ausliefert, garantiert keine Menschenwürde - was uns die CDU/CSU-FDP-Regierung gerade mit ihrem Sparpaket plastisch vor Augen führt.

Sie haben keine Chance, von der Bundesversammlung gewählt zu werden. Die Linke stellt dort 124 der 1244 Wahlleute; Union und FDP verfügen in dem Gremium über eine deutliche Mehrheit. Warum kandidieren Sie trotzdem?

Weil es wichtig ist, genau diese Politikvorstellungen im Zusammenhang mit dem Bundespräsidentenamt in der Wahlzeit zu diskutieren. Das Argument des Aussichtsreichen ist ja ebenfalls anzuwenden, wenn man für eine kleine Oppositionspartei antritt. Freunde haben mich 2005 gefragt: Was meinst du eigentlich, mit deiner Kandidatur für Die Linke im Bundestag erreichen zu können? Du wirst ja nichts durchsetzen können und immer niedergestimmt. Festzustellen ist jedoch, daß unsere Ideen dadurch keineswegs von der Tagesordnung verschwinden. Sie kommen später wieder ins Parlament - möglicherweise durch andere Parteien in abgeschwächter Form wieder eingebracht, weil die Bevölkerung sie aufgenommen und diskutiert hat: So war es mit der Einführung eines Mindestlohns und unserer Kritik an der Rente mit 67 oder dem Arbeitslosengeld II.

Warum sollten Abgeordnete rechts von der Linkspartei, für Sie stimmen?

Weil es wichtig ist, für Frieden und Friedlichkeit in der Gesellschaft einzutreten. Angefangen mit dem Rückzug aus Afghanistan müssen wir uns besinnen, ob wir nicht eine andere Rolle in der Welt spielen wollen: Zum Beispiel uns nicht mit unseren Rüstungsexporten brüsten und unsere Bundeswehr in andere Länder schicken. Ich stehe dafür ein, daß wir zu unserem ursprünglichen Verfassungsauftrag zurückkehren: Uns nur dann zu wehren, wenn wir angegriffen werden.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ordnet Sie als ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks als ideologisch-kämpferisch mit »sozialdemokratisch-sozialistischer Grundorientierung« ein. Ehemalige freie Mitarbeiter des HR sehen das anders: Unter Ihrer Federführung sei der damalige Rotfunk zum neoliberalen Sender mit umfangreicher Börsenberichterstattung umgestaltet worden …

Sie können sich meine Programme, die ich verantwortet habe, und meine Kommentare alle vornehmen: Das hat mit Neoliberalismus nichts zu tun. Allerdings habe ich einen gewissen Pluralismus eingeführt. Zum Beispiel habe ich in der Sendung »Drei, zwei, eins« Hugo Müller-Vogg, den damaligen Mitherausgeber der FAZ, als Mitmoderator eingesetzt. Auch Michel Friedman, der damals der CDU angehört hat, habe ich einbezogen und dafür geworben, daß er eine eigene, nicht parteipolitisch ausgerichtete Sendung bekam.

Sind Sie als »Blitzableiter für Gauck« aufgestellt, damit keiner der Linken in Versuchung kommt, ihn zu wählen?

Die Diskussion in der Fraktion und den Landesverbänden hat eindeutig ergeben: Joachim Gauck ist für Die Linke nicht wählbar. Insofern bin ich weder Wetterfahne noch Blitzableiter.

Interview: Gitta Düperthal

junge Welt, 10. Juni 2010