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Ein ungeliebtes Kind der EU

Im Wortlaut von Stefan Liebich,


Von Stefan Liebich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags

 

Es ist keine vier Wochen her, da legte EU-Ratspräsident Donald Tusk den Finger auf die Wunde, als er erklärte, ein versehentliches Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone wäre "dramatisch". Sein Plädoyer gipfelte in der Forderung, ein solches "idiotisches Szenario" sei unter allen Umständen zu verhindern. Wer so eindringlich warnt, der hält einen bislang eher undenkbaren Vorgang nun doch für ziemlich realistisch.

"Putins Trojanisches Pferd"?

Tusks drastische Wortwahl zeugt davon, dass offenbar wieder einmal ein Gespenst umgeht in Europa. Doch es sind nicht die wachsenden sozialen Verwerfungen die den früheren konservativen Regierungschef Polens so sehr umtreiben. Weil Griechenland zunehmend in den Fokus Dritter rückt, beäugt man in der Europäischen Union die internationalen Aktivitäten der vom Linksbündnis Syriza um Ministerpräsident Alexis Tsipras geführten griechischen Regierung voller Misstrauen. Selten wurde die eher gewöhnliche Dienstreise eines europäischen Staatschefs in ein anderes europäisches Land so panisch kommentiert, wie die von Tsipras nach Russland vor wenigen Tagen. Von Putins Trojanischem Pferd war da die Rede, von einer russischen Karte, die gespielt werden würde. Dabei sind die Beziehungen zwischen Russland und Griechenland sehr traditionell und sehr alt.

Wenn nun durch Russlands Gaspipeline-Projekt "Turkish Stream" Griechenland zum Knotenpunkt des südeuropäischen Gasnetzes werden soll, kann man das als russisches Einfallstor nach Europa diskreditieren. Man kann aber auch begrüßen, dass ein EU-Mitgliedsland diese Schlüsselposition zur Energieversorgung einnimmt. Anders verhält es sich mit dem Zugriff Chinas auf den Hafen von Piräus. Seit 2008 hat die staatliche China Ocean Shipping Company die Konzession für einen Teil des Frachthafens inne und derzeit größte Chancen, auch den meistfrequentierten Passagierhafen Europas zu erwerben. Vorausgesetzt, die griechische Regierung entschließt sich zu einem Verkauf. Die Entscheidung darüber ist nicht nur eine wirtschafts- und finanzpolitische, sondern auch eine strategische. Piräus ist der erste große Hafen der EU für Schiffe, die aus dem Suezkanal, mithin aus Asien, kommen. Ein Verkauf kann zwar einmalig bis zu einer halben Milliarde Euro in die griechischen Kassen spülen, doch die Hoheit über dieses logistische Drehkreuz wäre weitgehend und langfristig verloren. Und die Einnahmen auch.

Verlust an Einfluss

Griechenland war seit seinem Antrag 1975 ein ungeliebtes Kind der Europäischen Gemeinschaft. "Die Mitgliedschaft der Griechen erscheint in Brüssel so nützlich wie die Aufnahme eines Lahmen in einen Verein von Fußkranken, der um seinen Aufstieg in die erste Liga kämpft", schmähte einst die Wochenzeitung Die Zeit und der Berliner Tagesspiegel polemisierte, die Erweiterung um Griechenland sei "wirtschaftlich ein Unding". All dieser Unkenrufe zum Trotz wurden die Hellenen 1981 einmütig in den europäischen Kreis aufgenommen. Entscheidend waren neben der Erkenntnis, dass sich Europa nicht nach wirtschaftlicher Opportunität unterteilen lasse, militärische Erwägungen. Die Länder des Mittelmeerraums seien, so konstatierte damals die Bundesregierung, "für die europäische Sicherheit von besonderer strategischer Bedeutung". Es war die Zeit des Raketendoppelbeschlusses, als jederzeit aus dem kalten ein heißer Krieg werden konnte und man der damaligen Sowjetunion unterstellte, sie lauere schon auf ein düpiertes Griechenland. Verweigere man einem beitrittswilligen Land die Mitgliedschaft, müsse man äußerstenfalls in Kauf nehmen, dass es in andere außenpolitische Orientierungen abdrifte, hieß es in einem Beschluss der Regierung unter Helmut Schmidt. Im Umkehrschluss geht ergo eine Absage an Griechenland mit dem Verlust an Einfluss einher. Die Doktrin gilt bis heute.

Natürlich ist es kompliziert, wenn ein kleines Land in der EU sagt, die Grundlinie ist falsch und dabei versucht, neue Entscheidungen herbeizuführen. Doch wenn man einen Konsens in der EU haben möchte, ist das nicht durch Ansagen aus Brüssel oder Berlin zu lösen. Wer Griechenland die Luft zum Atmen abschnürt, der trägt auch Verantwortung dafür, wenn Hilfe woanders gesucht wird. Das aber ist nicht Athens Ziel. Griechenlands Finanzminister Giannis Varoufakis versicherte bei seinem USA-Besuch, man suche eine Lösung innerhalb der EU und nicht außerhalb. Bleibt zu hoffen, dass das auch Brüssel und Berlin wollen.

linksfraktion.de, 16. April 2015