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Ein teuflischer Deal

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

EU-Türkei-Gipfel besiegelt Ausverkauf von Grundrechten und europäischen Werten

Foto: Kay Nietfeld/dpa

 

Von Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Kanzlerin Merkel trägt die Hauptverantwortung dafür, dass sich die EU zur Lösung der Flüchtlingskrise in Geiselhaft eines Menschenrechtsverletzers und Kriegstreibers begeben hat. Obwohl der türkische Präsident Erdogan durch die Unterstützung islamistischer Terroristen für den Krieg und die Fluchtwelle aus Syrien mitverantwortlich ist, obwohl er die Pressefreiheit mit Füßen tritt und Oppositionelle in der Türkei um ihr Leben fürchten müssen, wird er von der EU nun mit baldiger Visafreiheit für knapp 80 Millionen Menschen sowie der Eröffnung weiterer Beitrittskapitel belohnt. Auch Erdogans Strategie der Schutzgelderpressung scheint aufzugehen: So will die EU der Türkei bis Ende 2018 sechs Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Dies ist doppelt so viel wie bisher vorgesehen und das zigfache dessen, was die EU dem krisengebeutelten Griechenland zugesagt hat.

Das geplante Abkommen mit der Türkei wird den Charakter der EU fundamental verändern. Da man sich in der EU nicht auf eine gemeinsame Asylpolitik einigen kann, wird künftig ein skrupelloser türkischer Präsident darüber entscheiden, welcher Syrer oder welche Syrerin in Europa Asyl erhält – und wie schon beim Handel mit Öl und Waffen aus Gebieten, die von islamischen Terroristen besetzt sind, wird die Türkei auch aus diesem zynischen Menschenhandel ihren Gewinn zu schlagen wissen. Dies als einen Sieg über das Schlepperunwesen zu bezeichnen ist geradezu absurd: Vielmehr werden die größten Schlepper für ihre Erpressungspolitik belohnt - und können sich einen Teil der Kosten auch noch von der EU erstatten lassen.

Mit dem Abkommen würde das individuelle Grundrecht auf Asyl endgültig außer Kraft gesetzt. So sollen künftig nahezu alle Migranten, die von der Türkei aus auf den griechischen Inseln ankommen, auf Kosten der EU zurück in die Türkei abgeschoben werden. Dabei verpflichtet sich die EU, für jeden Syrer, der von der Türkei zurückübernommen wird, einen anderen Syrer aus der Türkei aufzunehmen. Von Flüchtlingen aus Afghanistan, dem Irak oder anderen Ländern ist keine Rede mehr – ihnen wäre der Weg über die Türkei nach Europa effektiv versperrt. Dabei kann die Türkei beim besten Willen nicht als ein „sicherer Drittstaat“ bezeichnet werden. Pauschale Abschiebungen in ein Land, das selbst einen Krieg gegen Teile der eigenen Bevölkerung führt, sind völkerrechtswidrig und mit dem EU-Recht und dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Es ist erbarmungswürdig, dass die EU sich vom türkischen Präsidenten derart erpressen und vorführen lässt, da sie ihn als Vollstrecker einer inhumanen Abschottungspolitik zu benötigen meint. Wer wenige Stunden vor dem Gipfel die Pressefreiheit im eigenen Land praktisch beseitigt und mit Gummigeschossen auf eine Demonstration zum Weltfrauentag schießen lässt, sollte mit Sanktionen belegt statt mit einer Beitrittsperspektive belohnt werden. Eines müsste doch klar sein: Wer einer Diktatur den Weg in die EU ebnet, zerstört jede Perspektive auf eine demokratische, friedliche und soziale Entwicklung – in der Türkei wie in Europa. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, eine Volksabstimmung über einen EU-Beitritt der Türkei durchzuführen. Außerdem werden wir den erpresserischen Deal mit der Türkei im Bundestag zur Abstimmung stellen. Dann kann jeder sehen, welcher Abgeordnete bereit ist, sich am Ausverkauf von Grundrechten und europäischen Werten zu beteiligen.