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Sahra Wagenknecht © dpaFoto: dpa

Durchschnittlich 800 Euro mehr Rente in Österreich. Eine Mogelpackung?

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

Sahra Wagenknecht zu Kritikpunkten am Vergleich der Rentensysteme

Dass ein umlagefinanziertes Rentensystem bezahlbare und deutlich bessere Leistungen erbringen kann, zeigt das Beispiel Österreich. Hier wurde auf eine massive Senkung des Leistungsniveaus, wie es in Deutschland mit der Riester-Reform erfolgte, verzichtet. Stattdessen wurde das gesetzliche Rentensystem zu einer Erwerbstätigenversicherung ausgebaut. Neben Selbstständigen sind auch Beamtinnen/Beamte und Abgeordnete pflichtversichert. Die durchschnittliche monatliche Altersrente betrug Ende 2015 bei Männern 1.579 Euro und bei Frauen 963 Euro brutto (Quelle: Statistik Austria). Diese Rentenbeträge werden in Österreich 14-mal im Jahr ausgezahlt. Sie sind damit deutlich höher als in der Bundesrepublik Deutschland.

Zudem werden niedrige Renten in Österreich unbürokratisch mit einer bedarfsorientierten Ausgleichszulage auf derzeit 1.000 Euro (nach 30 Beitragsjahren) angehoben (bei 14 monatlichen Zahlungen, im Jahresdurchschnitt also 1.167 Euro im Monat). Dies sichert österreichischen Rentnerinnen und Rentnern ein Mindesteinkommen im Alter. Dass Österreich wirtschaftlich nicht schlechter dasteht als Deutschland, beweist: Eine umlagefinanzierte gesetzliche Rente ist finanzierbar und sorgt für einen hohen Schutz im Alter.

In der politischen Debatte werden häufig einige Argumente gegen das österreichische System ins Feld geführt, die genauer Betrachtung nicht standhalten. So heißt es mitunter, in Österreich gebe es keine Pflegeversicherung, Leistungen zur Pflege müssten also von der Rente abgezogen werden.

Das stimmt so nicht. Unser Nachbarland hat tatsächlich keine Pflegeversicherung in Form einer Sozialversicherung, aber im Ergebnis eine ähnliche Unterstützung im Pflegefall. Das österreichische Pflegegeld ist steuerfinanziert. Pflegeleistungen kommen also noch zu den o.a. Rentenbeträgen hinzu.
Dazu: broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download, Seite 39 und https://media.arbeiterkammer.at/PDF/Pflege_und_Betreuung_2014.pdf

Nicht vergessen darf man, dass bei uns die Pflegeversicherung vorne und hinten nicht ausreicht. Sie ist als Teilkostendeckung ausgestaltet. Sie übernimmt nicht die im Pflegefall anfallenden Kosten, sondern zahlt lediglich pauschal etwas dazu. Derzeit betragen die im Pflegefall von den Betroffenen und ihren Familien zu tragenden Eigenanteile durchschnittlich mehr als die Hälfte der tatsächlich anfallenden Kosten. Im Pflegefall ist Armut auch für Normalverdienende nahezu vorprogrammiert. Das liegt auch an den niedrigen Renten bei uns.

Neben der Pflegeversicherung wird auch oft auf die Rentenbesteuerung abgestellt: Weil in Österreich die Rente voll besteuert werde, bleibe von der theoretisch höheren Rente in der Alpenrepublik weniger übrig als in Deutschland. Auch dieses Argument greift zu kurz: Auch bei uns werden Renten besteuert. Deutschland stellt aktuell auf die 100-prozentige (nachgelagerte) Besteuerung um. Für alle, die 2017 in Rente gehen, gilt: 74 Prozent der Rente unterliegen der Besteuerung – und zwar während der gesamten Zeit des Rentenbezugs. Für Neurentnerinnen und -rentner ab 2040 unterliegt die gesamte Rente der Besteuerung

Außerdem gibt es auch in Österreich Freibeträge. Das bedeutet, bei einer Rentenhöhe bis zu 1.111,71 Euro monatlich brutto wird keine Einkommenssteuer fällig. Bei einem Jahreseinkommen (einer „Jahressteuerbemessungsgrundlage“) bis zu EUR 11.000 Euro fällt keine Einkommenssteuer an. Die Mindestrente (Ausgleichszulage) ist steuerfrei.
Quelle: http://www.pensionsversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.636403&version=1482131109

Die OECD hat sich im vergangenen Jahr mit dem Einfluss der Besteuerung auf die Höhe der Renten auseinandergesetzt und kam in „Pensions at a glance 2015“, S. 147 zu dem Ergebnis, dass Deutschland eine der niedrigsten Nettoersatzraten der OECD hat. Die Ersatzrate ist das Verhältnis zwischen der Rente aus allen Einkommensquellen und dem vorherigen Erwerbseinkommen. Die Berechnungen beziehen sich auf einen Erwerbstätigen, der 2012 auf den Arbeitsmarkt kommt und ohne Unterbrechung bis zum Rentenregelalter arbeitet. Als Geringverdiener gelten Personen mit 50 Prozent des Durchschnittseinkommens oder weniger. Die Rate diese gibt an, wieviel Rente gemessen am individuellen Nettodurchschnittseinkommen ein Rentner nach der jeweiligen nationalen „Norm-Lebensarbeitszeit” vom 20. Lebensjahr bis zur Regelaltersgrenze erhält.

Für Deutschland liegt die Nettoersatzrate bei 50 Prozent für einen durchschnittlich Verdienenden und bei 53 Prozent für einen Geringverdienenden. Österreich erzielt dagegen eine Nettoersatzrate von 91,6 Prozent für einen durchschnittlich Verdienenden und 92,1 Prozent für einen Geringverdienenden. Damit entspricht die Rente in Österreich nach Steuern bei den o.a. Beispielfällen beinahe vollständig dem Erwerbseinkommen. Vergleichbare deutsche Rentnerinnen und Rentner müssen auf rund die Hälfte ihres vorherigen Einkommens verzichten.

All das zeigt: Eine auf dem Solidarprinzip basierende Rentenversicherung funktioniert. Und wenn, wie in Österreich auf die Teilprivatisierung verzichtet und stattdessen eine Erwerbstätigenversicherung eingeführt wird, bei der alle Erwerbstätigen in der Rentenversicherung pflichtversichert wird, kann eine solche Rentenversicherung sogar sehr gut funktionieren. dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/108/1810891.pdf