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Drohung gegen Euroland

Im Wortlaut,

Negative Bewertung durch Ratingagentur stößt auf breite Kritik

Von Kurt Stenger

Nachdem sich die Finanzmärkte in Sachen Euro-Krise etwas beruhigt hatten, kippt nun wieder eine Ratingagentur Öl ins Feuer. Aus Europa hagelt es Kritik.

Wenige Tage vor Beginn des nächsten EU-Krisengipfels hat die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) den Ausblick für die Bonität fast der gesamten Eurozone auf negativ gesetzt. Betroffen sind 15 der 17 Länder mit der Gemeinschaftswährung, darunter alle sechs Staaten, die noch die Bestnote »AAA« haben wie die Bundesrepublik. Als Folge dieser Neueinschätzung senkte die US-Finanzfirma auch den Ausblick für Anleihen des Euro-Rettungsfonds EFSF. Dieser könnte die Topbonität verlieren, falls ein bisher mit Bestnote versehenes Mitglied der Eurozone herabgestuft werde. Die Agentur begründete ihren Schritt mit schwierigeren Kreditkonditionen quer durch die Eurozone, dem »anhaltendem Streit unter europäischen Entscheidungsträgern« sowie schlechteren Wachstumsaussichten infolge der Sparpakete.

Während Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte, er sehe die Ankündigung als Aufforderung an die europäischen Staats- und Regierungschefs, bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel weitere Entscheidungen zu treffen, hagelte es sonst aus Deutschland Kritik. Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler sagte, die deutsche Volkswirtschaft sei »absolut intakt«, ihn könne Standard & Poor's nicht beeindrucken. Der SPD-Politiker Peer Steinbrück erklärte, es könne nicht sein, »dass das Wohl und Wehe der europäischen Staaten von der Daumenhaltung demokratisch nicht legitimierter Ratingagenturen abhängig gemacht wird«. »Politisches Kalkül« warf CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs der US-Agentur vor. Er habe das Gefühl, die USA wollten von ihren eigenen Problemen ablenken, die größer seien als die europäischen. Die Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch kritisierte, die Politik sei »offensichtlich nicht willens«, die Ratingagenturen trotz ihrer fehlenden Unabhängigkeit und nachweislich falschen Bewertungen zu entmachten.

Auch aus dem Ausland gab es lautstarke Kritik. Das Vorgehen der Agentur sei »maßlos überzogen und auch ungerecht«, sagte der Chef der Euroguppe, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker. Angesichts der ernsthaften Reformanstrengungen in vielen Euro-Staaten wirke die Drohung »wie ein Paukenschlag«. Die Euro-Staaten dürften sich vom Vorgehen der Agentur nicht verunsichern lassen. Aus der EU-Kommission und aus Paris gab es ähnliche Stimmen. In Frankreich ist man ohnehin besonders sauer auf S&P: Vor einigen Wochen hatte die Ratingagentur die Herabstufung der Topbonität Frankreichs vermeldet, um sich hinterher zu entschuldigen, ein Computersystem habe Daten falsch interpretiert und daraufhin automatisch E-Mails mit der Meldung verschickt.

Die einzigen beiden Länder, denen S&P aktuell nicht mit Herabstufung droht, sind übrigens Zypern und Griechenland: Athens Staatsanleihen werden seit langem als Ramsch tituliert.

Neues Deutschland, 7. November 2011