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»Dieser Fiskalpakt darf nicht verabschiedet werden«

Interview der Woche von Dagmar Enkelmann, Wolfgang Neskovic,

Die Sparpolitik Angela Merkels steht am Scheidepunkt. In Europa wächst der Widerstand gegen ein deutsches Diktat, das Banken und Reiche begünstigt und Sozialabbau für jene predigt, die die Bankenkrise nicht verursacht haben. Der letzte Baustein für dieses unsoziale Europa ist der Fiskalpakt, den die schwarz-gelbe Bundesregierung noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen will. Im INTERVIEW DER WOCHE erklären die 1. Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann und Justiziar Wolfgang Nešković, warum die Fraktion DIE LINKE gegen den Fiskalpakt klagen wird, warum Merkels Sparpolitik gescheitert ist und welche Folgen der Fiskalpakt für die Demokratie und das Leben der Menschen in Europa haben könnte. 



DIE LINKE hat in der vergangenen Woche angekündigt, gegen den ESM und den Fiskalpakt vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Warum?
  Wolfgang Nešković: Weil ESM und Fiskalvertrag für die weitere Entdemokratisierung, für noch mehr Sozialabbau und für die Spaltung Europas stehen.
  Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag den Fiskalpakt nach dem Willen der schwarz-gelben Bundesregierung mit Zweitdrittelmehrheit absegnen. Ohne Stimmen der Opposition wird es nicht gehen. Was erwarten Sie von der Opposition?   Dagmar Enkelmann: Das, was ihre Aufgabe ist: Kritik zu üben, vor allem die Frage zu stellen, welche Folgen der Fiskalpakt für Beschäftigte, Rentner und Familien hat, für kleine und mittlere Unternehmen, für die Haushalte von Ländern und Kommunen und für die soziale Lage in anderen Euro-Staaten. Dieser Fiskalpakt darf nicht verabschiedet werden. DIE LINKE hat von Anfang an gesagt, dass die Rettungsschirme der EU vor allem Banken und Versicherungen retten, nicht aber die nationalen Volkswirtschaften. Die Sparorgien und die europäische Schuldenbremse verschärfen die sozialen Spannungen. Deswegen hat jetzt offenbar auch die SPD beim Fiskalpakt kalte Füße bekommen. Sie und die Grünen waren schon auf der "Ja-Sager"-Straße und rudern jetzt scheinbar zurück.

Im Kern geht es beim Fiskalpakt um die Verankerung einer Schuldenbremse in Form eines rigiden Neuverschuldungsverbots. Verstößt der Fiskalpakt damit gegen das Demokratie- und Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes?    Wolfgang Nešković: Der Fiskalvertrag verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen das Grundgesetz. Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht darin, dass Defizitstaaten künftig ihre Haushaltsprogramme von der Kommission und dem Rat genehmigen lassen müssen. Sind diese der Auffassung, dass nicht ausreichend gespart wird, müssen die Parlamente ihr Haushaltsprogramme ändern. Diese Vetofunktion ist mit dem Budgetrecht des Parlamentes nicht vereinbar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Haushaltsrecht das Königsrecht des Parlaments. Mit dem Haushalt werden auch die grundlegenden sozialpolitischen Entscheidungen getroffen. Darüber muss das Parlament frei entscheiden können. Hierauf müssen die Bürger mit ihrer Wahlentscheidung Einfluss nehmen können.

Wie bewerten Sie den Eingriff in das parlamentarische Allerheiligste, das Budgetrecht?    Dagmar Enkelmann: Dieser ist nach meiner Meinung verfassungswidrig. Das sagt schon alles. Parlamentarisch macht mir Sorgen, dass eine Mehrheit im Bundestag einer solchen Selbstentmachtung zustimmen könnte. Das würde die ohnehin vorhandene Politik- und Parlamentsverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürgern verstärken. Auch nimmt die Gefahr zu, dass sie sich rechtspopulistischen Kräften zuwenden, wie es in einigen europäischen Ländern bereits Realität ist. Wenn Armut und soziale Spaltung wachsen, die herrschende Politik aber Antworten weitgehend schuldig bleibt, ist das ein Nährboden für rechte und rechtsextreme Kräfte.   Eine Schuldenbremse gibt es bereits im Grundgesetz. Worin besteht der Unterschied zur Schuldenbremse des Fiskalpakts?     Wolfgang Nešković: Die deutsche Schuldenbremse gilt nur für den Bund und die Länder, nicht jedoch für die Kommunen und Sozialversicherungsträger. Außerdem musste das mittelfristige Ziel bisher nicht in jedem einzelnen Jahr erreicht werden. Das soll sich nun ändern. Der Fiskalvertrag ist darüber hinaus bei den Ausnahmeregelungen wesentlich strenger als das Grundgesetz. Außerdem sieht er bei erheblichen Abweichungen vom mittelfristigen Ziel beziehungsweise Anpassungspfad einen automatischen Korrekturmechanismus vor. Neu ist schließlich auch die bereits erwähnte Genehmigung der Haushaltsprogramme durch Kommission und Rat. Die Abweichungen der Schuldenbremse des Fiskalpaktes von der Schuldenbremse des Grundgesetzes führen dazu, dass das Grundgesetz entsprechend zu ändern wäre. 

Die deutsche Schuldenbremse könnte mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages wieder zurückgenommen werden. Lässt sich die Schuldenbremse des Fiskalpakts auch wieder abschaffen?   Wolfgang Nešković: Der Fiskalvertrag selbst enthält keine Kündigungsklausel. Die Kündigungsgründe aus der Wiener Vertragsrechtskonvention greifen nicht. Die BRD kann also nicht einseitig aus dem Vertrag austeigen – wenn sie vertragstreu bleiben will. Soweit die Befürworter des Fiskalvertrages hiergegen einwenden, dass man ja den Vertrag brechen könne, entlarven sie sich als kaltschnäuzige Rechtsbrecher. Es widerspricht der demokratischen Verantwortung des Parlaments, sich die Denk- und Verhaltensweisen von Rechtsbrechern zu eigen zu machen. Außerdem werden bei einer Verletzung des Fiskalvertrages Strafzahlungen fällig. 

Europa ist seit den Wahlsiegen der Sozialisten in Frankreich und der Linksfraktion SYRIZA in Griechenland nicht mehr dasselbe. Das Duo Merkozy gibt es nicht mehr. Hollande kündigte erneut an, den Fiskalpakt nicht ratifizieren zu wollen. Kommt damit das Ende des Spardiktats für Europa nach Merkel'scher Prägung?   Dagmar Enkelmann: Das wäre zu begrüßen. Ob Hollande nach Amtsantritt aber seine Ankündigungen so umsetzt, bleibt abzuwarten. Die Widerstände gegen ein Europa mit menschenwürdigen sozialen Rechten entsprechend der EU-Sozialcharta von 1999 sind erheblich, nicht nur in der Bundesregierung. Praktisch bangt die globale Finanzbranche um ihre Pfründe, fürchtet, dass sie ernsthaft zur Kasse gebeten wird oder einzelne Länder den Schuldendienst einstellen. Tatsächlich wird ja auch gar nicht gespart, sondern zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft gekürzt. Da müssen wir parlamentarisch wie außerparlamentarisch gegenhalten.   Bundeskanzlerin Merkel hält bisher weiter an ihrer "marktkonformen Demokratie" fest. Sie scheint überzeugt, dass die Finanzmärkte den Plänen des französischen Staatspräsidenten binnen weniger Wochen den Garaus machen werden...     Dagmar Enkelmann: ... und die Finanzmärkte drohen tagtäglich mit Vertrauensentzug, sollte der rigide Kurs auch nur abgemildert werden. Für DIE LINKE ist klar: Ohne eine wirksame Vermögensteuer, eine Bankenabgabe und eine Finanztransaktionssteuer lässt sich die Finanzkrise nicht bewältigen. Dazu muss der Fiskalpakt in Gänze aufgeschnürt werden. Es reicht nicht, ihn nur um schwammige Konjunkturmaßnahmen zu ergänzen, die überdies nichts kosten dürfen. Mit den hier gerade für andere Länder angemahnten "Strukturreformen" soll letztlich die Agenda 2010 exportiert werden.       Der Europäische Gerichtshof soll die korrekte rechtliche Umsetzung der Schuldenbremse des Vertrages kontrollieren. Wird das Bundesverfassungsgericht dadurch ausgehebelt?    Wolfgang Nešković: Das Bundesverfassungsgericht wird sicherlich alles andere als begeistert sein, dass ein Nicht-Verfassungsorgan seine Aufgabe übernimmt und prüft, ob das Grundgesetz den Vorgaben eines völkerrechtlichen Vertrages entspricht.   Merkels Spardiktat - das zeigt das Beispiel Spanien - weist keinen Weg aus der Krise. Spanien spart sich in die Rezession. Höhere Steuern, zum Beispiel auf Vermögen, erwägt Schwarz-Gelb nicht einmal. Hollande in Frankreich sieht das anders. Wie können gerechte Steuern zur Lösung der Finanzkrise der Eurozone beitragen?    Dagmar Enkelmann: Sie könnten sogar zweifach wirksam sein: Höhere und gerechte Steuereinnahmen vergrößern zum einen den finanziellen Spielraum der öffentlichen Haushalte, also auch ihre Möglichkeit zu investieren, soziale Leistungen zu gewähren und zugleich Schulden abzubauen. Zum anderen verringern gerade Steuern auf große Vermögen, hohe Einkommen und auf Börsengeschäfte die Menge des Geldes, das auf der Jagd nach lukrativen Anlagen und profitablen Geschäften ist. Deshalb hat DIE LINKE zuletzt mehrere Anträge eingebracht, z.B. jüngst in Anlehnung an den Vorschlag des neuen französischen Präsidenten Hollande eine 75prozentige Steuer auf Einkommen über eine Million Euro jährlich. 

Fiskalpakt und ESM sind das Projekt einer europäischen Elite. Das Votum des Volkes scheinen die Eliten derzeit eher zu fürchten. Ist das im Fall von ESM und Fiskalpakt aus rechtlicher Sicht durchhaltbar?    Wolfgang Nešković: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag eine rote Linie für die nach dem Grundgesetz mögliche europäische Vereinigung festgelegt. Danach lässt unser Grundgesetz lediglich einen Staatenbund jedoch keinen europäischen Bundesstaat zu. In einem Staatenbund muss die Mehrheit der Aufgaben und Befugnisse beim Nationalstaat bleiben. Diese dürfen nicht nach und nach auf europäische Institutionen übertragen werden. Es darf sich nicht leise ein europäischer Bundesstaat einschleichen. Der Fiskal- und der ESM–Vertrag überschreiten die vom Verfassungsgericht festgelegte rote Linie, weil sie zu einer bundesstaatlichen Haftungsunion führen. Über den Identitätswechsel der Bundesrepublik Deutschland zu einem Gliedstaat eines europäischen Bundesstaates muss nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das Volk in einem Referendum entscheiden.   Was hat Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer Krisenpolitik versäumt und was kommt nach der Sparpolitik?   Dagrmar Enkelmann: Der größte Vorwurf, den ich Merkel mache, ist, dass sie die Lasten der Krise allein den Beschäftigten, den Familien und Rentnern aufbürdet und die Verursacher völlig außen vor lässt. Damit signalisiert sie der Finanzbranche ganz klar: Ihr könnt so weitermachen wie bisher - und genau das tut sie auch, wie man an neuen Spekulationsblasen und dem Druck zum Beispiel auf Spanien erkennen kann. Merkels Kurs ist aber nicht nur im Inland unsozial und unsolidarisch. Mit ihrer auf Export gestrickten Dumping-Politik isoliert sie Deutschland auch in der EU. Ihr Konzept, die Bundesrepublik auf Kosten der anderen EU-Länder und deren Bevölkerung durch die Krise zu bringen, wird früher und später auf unser Land zurückfallen.

linksfraktion.de, 14. Mai. 2012