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Gregor Gysi im Gespräch @ Martin HeinleinFoto: Martin Heinlein

»Die Wohnungskonzerne müssen lernen, Maß zu halten«

Im Wortlaut von Gregor Gysi, Der Tagesspiegel,

Der langjährige Linken-Fraktionschef im Bundestag spricht über die Chancen der Volksinitiative und seinen Tipp für die Enteignungsbefürworter.

Interview: Georg Ismar

 

Tagesspiegel: Herr Gysi, auch Sie haben für das Berliner Volksbegehren unterschrieben, große Wohnungskonzerne zur Abgabe ihrer Wohnungen zu zwingen. Sie sind Jurist. Ist die Umsetzung nicht völlig unrealistisch, schon von den Kosten her?

Gregor Gysi: Ich finde die Initiative fantastisch. Und wissen Sie auch, warum: Ganz egal, was daraus wird, es wird ein Problem deutlich. Wir haben eben nur eine bestimmte Anzahl Wohnungen. Das gehört nicht in die Marktwirtschaft. Ich kann nicht zaubern und sagen, morgen habe ich 20.000 bezahlbare Wohnungen mehr. Die fallen ja nicht vom Himmel.

Ergo müssen auch die privaten Konzerne lernen, Maß zu halten. Sie konnten wieder nicht aufhören zu siegen. Der eine hat jahrelang falsche Nebenkostenabrechnungen geschrieben. Der andere hat wenig saniert, aber immer die Mieten erhöht. Unser Grundgesetz ist sehr gut, hat aber eine Schwäche. Und die besteht darin, dass nach 1945 die politischen Rechte im Vordergrund standen, nicht die sozialen.

Das heißt?

Es ist darin nicht der Anspruch auf eine Wohnung geregelt. Dann dürftest Du nie in Obdachlosigkeit zwangsgeräumt werden, sondern höchstens zum Umziehen in eine billigere Wohnung, die der Staat zur Verfügung stellen müsste. Jetzt plötzlich kommen Vorschläge von allen Seiten, was man noch machen könnte, um die Mieten wieder zu senken. Die wären sicherlich nie gekommen, wenn es das Volksbegehren nicht gäbe.

Die Gegner glauben an die Kraft des Marktes.

Die großen Konzerne und Banken sind viel zu mächtig, die entscheiden, was die Politik macht, und nicht die Politik, was sie machen. Sie sind weltweit organisiert und werden nicht reguliert. Da gibt’s nur zwei Wege: Entweder sie werden verkleinert oder sie müssen öffentlich-rechtlich werden, Gemeineigentum. Bei der Daseinsvorsorge muss gelten, dass Krankenhäuser sich nicht in erster Linie rechnen sollten, sondern für Gesundheit zuständig sein müssen.

Auch eine Oper rechnet sich nie. Das gilt auch für Bildung, Mobilität und anderes. Die öffentliche Daseinsvorsorge ist nicht für den Markt geeignet. Ebenso wie die Wohnungen nicht. Was anderes ist es zum Beispiel bei Kühlschränken, da kann ich sofort 20.000 Stück aus China und Mexiko einführen, die billiger sind, da kann immer Konkurrenz organisiert werden.

Da macht der Markt auch Sinn, das ist auch meine Lehre aus der DDR. Der Markt drückt die Preise und erhöht die Qualität, muss aber für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Konsumentinnen und Konsumenten in einen sicheren gesetzlichen Rahmen gesetzt werden.

Glauben Sie an einen Sieg der Berliner Enteignungsinitiative?

Ich gebe denen einen Rat für die nächste Stufe, das Volksbegehren. Ich würde reinschreiben, dass private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, entweder nach Artikel 14 zu enteignen oder gemäß Artikel 15 Grundgesetz zu vergesellschaften sind. Dann hat der Berliner Senat Spielraum, denn jetzt steht nur der Artikel 15 drin, der noch nie angewandt wurde.

Der Artikel 14, die Enteignung, wird täglich angewandt. Wenn irgendwo ein Supermarkt gebaut werden soll und es gibt dort noch ein kleines Grundstück von Tante Emma, dann ist sie’s los. Punkt. Wenn Autobahnen gebaut werden, wird massenhaft enteignet. Einige tun plötzlich so, als wenn’s das noch nie gegeben hätte. Die Entschädigung ist für Enteignung und Vergesellschaftung gleich geregelt: „angemessen“.

Bei Artikel 14 gibt es Rechtsprechung, die Entschädigung kann unter dem Verkehrswert liegen und es müssen keine entgangenen Gewinne berücksichtigt werden. Natürlich wären dadurch nicht mehr Wohnungen da, aber Mieterhöhungen könnten für längere Zeit ausgeschlossen und ungerechtfertigte Erhöhungen zurückgenommen werden.

Der Tagesspiegel,