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Die russischen Interessen bedenken

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

Von Wolfgang Gehrcke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und Leiter des Arbeitskreises Außenpolitik und Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE

 

 

Immer die Interessen des anderen mitzudenken und zu berücksichtigen, unter anderem das habe ich von Gorbatschow gelernt. Soweit kam ich im Auswärtigen Ausschuss mit meinen Bemerkungen, bis es Zwischenrufe von allen Seiten prasselte: "Das ist gar nicht Gorbatschow, das ist aus dem Handbuch des kleinen Diplomaten, nicht Gorbatschow, sondern Kissinger hat das formuliert." Alle wussten Autoren zu benennen, aber keiner war bereit, tatsächlich inhaltlich diesen Gedanken an sich heranzulassen. Warum sind nur allzu wenige in der Lage, die jetzige Situation nüchtern zu analysieren und sich rational die Frage nach den russischen Interessen vorzulegen?

Europa an der Schwelle zur Neuordnung

Die Stimmungslage im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ist nachdenklich und mehrheitlich zumindest von einem Haudrauf weit entfernt. Zum zweiten Mal steht Europa an der Schwelle einer Neuordnung. Der russische Einfluss soll weiter begrenzt und Russland aus Europa herausgedrückt werden. Russische Alternativen wie die Zollunion oder eine Eurasische Staatenvereinigung werden per se als Bedrohung angesehen und empfunden. Ohne mit der Wimper zu zucken, akzeptiert man, dass über amerikanische Interessen gesprochen wird, aber wenn Russland Interessen anmeldet und verficht, bricht eine Welt zusammen. Aggressive Töne in einem großen Teil der Medien und bellizistische Gelüste bei den Grünen, interessanterweise weniger bei den Russland-Politikern von CDU/CSU. Der rechte Flügel im Bundestag ist in der Ukraine-Frage grün angestrichen. Doch: Kein weltpolitisches Problem, angefangen bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen über die Iran- und die Nahost-Frage, Afghanistan (!!!) und noch viel mehr ist ohne Russland zu lösen.

Die Bundesregierung taktiert, was man ihr teilweise nicht einmal übel nehmen kann. Ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten verlangt radikale, scharfe Sanktionen und schwingt den großen Knüppel. Andere mahnen zu Bedächtigkeit und irgendwo, in einem Restwinkel der SPD, hat sich eine Erinnerung an Willi Brandts Ostpolitik erhalten. Selbst die CDU hat ein hohes Maß an Verständnis dafür, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO werden kann und sollte.

Die Verhandlungsmöglichkeiten mit Russland verbessern

In der Ukraine-Frage ist die schwarz-rote Bundesregierung nicht der rechte Flügel der EU. Das reicht noch nicht aus, ist aber auch nicht wenig. Was tun? Die Übereinkunft vom 21. Februar, in die – wenn es stimmt, was Steinmeier vorträgt – die drei Außenminister hineingestolpert sind, ist aber nach wie vor in Kraft. Der Machtwechsel in Kiew war nicht legal, das weiß auch der Außenminister. Die Vereinbarung sah und sieht vor, dass alle relevanten politischen und ethnischen Gruppierungen an der Übergangsregierung beteiligt werden. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Dringend ist eine Entwaffnung aller nichtstaatlichen Gruppierungen. Doch, wer soll das anweisen, wenn der Generalstaatsanwalt zur rechtsextremen Svoboda-Partei gehört, die genau unter dem Verdacht steht, Waffen verteilt zu haben. Alle gewaltsamen Akte müssen untersucht und aufgeklärt werden. Dass die Todesschüsse vom Maidan nicht von den staatlichen Sicherheitskräften ausgingen, ist ja mittlerweile mehr als nur eine Behauptung. Die Drohung mit einem Verbot der Kommunistischen Partei und der Partei der Regionen muss sofort aus der Welt. Wie hätte es in einem umgekehrten Falle gewirkt, wenn ein entsprechendes Parteiverbot gegen andere Parteien angekündigt worden wäre. Die deutsche Politik muss sich endgültig und kategorisch von den nationalistischen und neofaschistischen Parteien in der Ukraine distanzieren und jegliche Zusammenarbeit mit ihnen einstellen.

Wenn die Bundesregierung einen solchen politischen Kurs einschlüge, was ich leider nicht erwarten kann, würde es die Verhandlungsmöglichkeiten mit Russland entschieden verbessern. Mit der OSZE und dem Europarat sind europäische Institutionen vorhanden, die in einer Situation, in der die EU versagt, handlungsfähig sind und unterstützt werden sollten. 40 Jahre Bemühungen um eine europäische Entspannungspolitik, um ein System der kollektiven Sicherheit in Europa dürfen nicht einfach in den Wind geschlagen werden!

 

linksfraktion.de, 7. März 2014