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Die Purpurschnecke bläst die Backen auf

Im Wortlaut von Ulrich Maurer,

Gastkolumne in Neues Deutschland

Von Ulrich Maurer

Der Fortschritt ist eine Schnecke, meinte vor vielen Jahren Günter Grass mit Blick auf seine SPD. Er konnte damals noch nicht wissen, dass die Schnecke auch rückwärts kriechen kann und das sogar in atemberaubenden Tempo, was dann durch Schröder, Steinmeier und Steinbrück mit der Agenda 2010 bewiesen wurde.

Nun soll die Schnecke, die als neue Parteifarbe purpur gewählt hat, nach dem Willen der von den drei Kanzlerkandidaten gebildeten Führung und des gehorsamen Parteitages den Vorwärtsgang einlegen. Aber bitte im Kriechtempo, wie es sich für eine Purpurschnecke gehört. Folgerichtig wurden alle Versuche des linken Parteiflügels, etwas mehr Rot ins Purpur zu mischen, abgeschmettert. Das Hartz-IV-Lohnsenkungssystem bleibt erhalten, über die Rentenkürzung, die sich smart Rente 67 nennt, darf in einer Arbeitsgruppe diskutiert werden, statt wie von Ottmar Schreiner beantragt wenigstens das jetzige Rentenniveau festzuschreiben.

Die Megareichen, die 1000 Milliarden Euro mehr Geldvermögen aufgehäuft haben, als der Staat Schulden hat, bleiben von Vermögensabgaben verschont. Der Spitzensteuersatz soll auf 49 Prozent angehoben werden; immerhin noch vier Prozent weniger als unter der Regierung des bekannten Kommunisten Helmut Kohl aber noch dazu eine Reichensteuer, das geht gar nicht.

Statt dessen hat Gabriel unter großem Applaus festgestellt, dass die Wahl schon gewonnen ist und Angela Merkel von einem der drei Kanzlerkandidaten abgelöst wird. SPD und Grüne stehen als regierungsbildende Mehrheit bereits fest. Leider sieht die reale Lage anders aus. Kein Kandidat kommt auch nur annäherungsweise in den Umfragen an Merkel heran, und SPD und Grüne haben zusammen so an die 42 bis 45 Prozent. Es reicht also hinten und vorne nicht. Das musste aber einfach verdrängt werden, denn sonst hätte man über die LINKE reden müssen oh Gott, der absolute Tabubruch.

Und deshalb bleibt es bei der Gabriel-Linie: Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Und deshalb werden wir auch nie erfahren, wie das denn gehen soll: Schuldenbremse, aber keine Rezession. Bildungsoffensive, aber weniger Staat. Hartz IV und Rente mit 67 beibehalten, aber mehr Gerechtigkeit wow. Und sich mit unter 30 Prozent zum Wahlsieger erklären. Das kann wirklich nur ein Sigmar Gabriel und deshalb hat er auch vollkommen zu Recht fast 92 Prozent bekommen. Für die LINKE gilt indessen: Es ist viel Platz neben dieser SPD.

Neues Deutschland, 10. Dezember 2011