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»Die parlamentarische Kontrolle geht gegen null«

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

Neskovic, Bundesrichter a. D., ist stellvertretender Fraktionschef der Linken im Bundestag und seit 2005 Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Bis vor einem Jahr saß er auch im Untersuchungsausschuss.

2008 war ein Jahr der Negativ-Schlagzeilen für den BND: Agenten im Irak, Journalistenbespitzelung, ein vermeintlicher Anschlag im Kosovo, zuletzt hörte man Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe ab. Der BND, wie Sie sagen, „außer Rand und Band“?

Für manches kann der BND nichts. Es ist kein Skandal des BND, wenn die Schröder-Regierung einen Wahlkampf mit der Parole der Nichtbeteiligung am Irak-Krieg gewinnt und gleichzeitig verschweigt, dass sie Agenten in den Irak schickt, die nach Einschätzung amerikanischer Militärs für die Kriegsführung von unschätzbarem Wert gewesen sind. Für diesen Betrug an der Öffentlichkeit trägt Steinmeier als zuständiger Kanzleramtsminister die maßgebliche politische Verantwortung.

Und die Abhöraktionen?

Da hat es bisher beim BND kein Unrechtsbewusstsein gegeben. Der BND hat die Auffassung vertreten, das Ausland sei weitgehend ein grundrechtsfreier Raum. Erst langsam scheint sich die Meinung durchzusetzen, dass zumindest Deutsche auch im Ausland gegenüber dem BND Grundrechtsschutz genießen. Hier ist mehr Kontrolle durch das Bundeskanzleramt erforderlich. Dort hat auch ein entsprechender Prozess eingesetzt. Unzureichend ist jedoch die parlamentarische Kontrolle.

Wo liegt das Defizit?

Da gibt es nicht nur ein Defizit - die Kontrolle geht gegen null! Die Regierung entscheidet darüber, was sie uns berichtet. Das ist so, als wenn der Angeklagte über den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt. Ein Freispruch wäre damit vorprogrammiert. Im Regelfall ist der »Spiegel« besser informiert als ein Mitglied des Kontrollgremiums. Das ist einer parlamentarischen Demokratie unwürdig. Ein Parlamentarier muss genauso viel wissen dürfen wie ein BND-Beamter. Denn der Abgeordnete ist durch das Volk legitimiert.

Welche Befugnisse haben Sie als Gremiumsmitglied überhaupt?

Akteneinsicht - und Besuchsrechte - allerdings sind wir davon abhängig, dass die Mehrheit des Gremiums diese Befugnisse konkret beschließt. Die aber besteht aus Mitgliedern der Regierungsfraktionen. Deren Bestreben, die Regierung zu kontrollieren, ist naturgemäß begrenzt - ein absurder Zustand. Jeder einzelne Abgeordnete muss sein Kontrollrecht wahrnehmen können.

Könnten Sie einen Skandal öffentlich machen?

Nur mit Zustimmung einer Zweidrittel-Mehrheit. Hierüber verfügen allein die Regierungsfraktionen. So können die Regierungsfraktionen das Gremium missbrauchen, indem allein sie über den Inhalt einer öffentlichen Stellungnahme entscheiden. Naturgemäß fallen diese stets zugunsten der Regierung aus. So wird die Autorität des Gremiums missbraucht. Die Opposition kann ihr Wissen mit ins Grab nehmen.

Interview: A. Reichardt

© Lübecker Nachrichten/Ostsee-Zeitung, 19. Dezember 2008