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»Die Olympische Idee wieder in den Fokus rücken«

Im Wortlaut von Katrin Kunert,


Gut gelaunt: Michael Vesper, Generalsekretär des DOSB; Robin Szolkowy und Aljona Savtschenko, Gewinner der Bronzemedaille im Paarlauf; Michaela Engelmeier-Heite, sportpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion; Ingo Steuer, Trainer von  Robin Szolkowy und Aljona Savtschenko;  Katrin Kunert, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Sportausschuss; Elke Treitz, Vizepräsidentin der Deutschen Eislauf-Union e.V. (v.l.n.r.)


Katrin Kunert, Obfrau im Sportausschuss für die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, hat sich vor Ort ein Bild von den Olympischen Winterspielen in Sotschi gemacht. Neben dem Besuch einiger Wettkämpfe konnte sie auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik und Menschenrechtlern sprechen.

 

Das Image der Olympischen Winterspiele in Sotschi im Vorfeld war sehr schlecht. In den Medien waren negative Meldungen und Boykottaufrufe beinahe an der Tagesordnung. Wie war die Stimmung tatsächlich vor Ort?

Katrin Kunert: Auch bei der aktuellen Berichterstattung gibt es positive Meldungen, die jedoch für gewöhnlich von den negativen Nachrichten überschattet werden. Ich habe vor Ort gute Stimmung erlebt, olympisch eben! Menschen aus vielen Nationen sind zusammen gekommen, um mit Sportlerinnen und Sportlern mitzufiebern und zu feiern. Besonders die jungen Leute, die als Volunteers, das heißt als ehrenamtliche Helfer vor Ort waren, waren freundlich und aufgeschlossen. Ich habe nur bedauert, dass sie zum Teil so perfekt englisch gesprochen haben, dass ich mein Russisch kaum aufbessern konnte.

Die Sicherheitslage vor Ort wurde als durchaus als bedrohlich eingeschätzt. Dementsprechend hoch sollen die Sicherheitsvorkehrungen gewesen sein. War für Sie vor Ort eine akute Bedrohung spürbar und wie sehr hast Du die immensen Sicher-heitsmaßnahmen wahrgenommen?

Ich habe mich in Sotschi sicher gefühlt, aber zu keinem Zeitpunkt habe ich übertriebene und belastende Überprüfungen oder ähnliches erfahren. Auch die Stimmung wurde nicht durch die vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen beeinträchtigt. Die Sicherheitsvorkehrungen in London 2012 erschienen mir da extremer.

Befürworter von Boykotten verweisen darauf, dass vor Ort keine Gespräche mit der Zivilgesellschaft oder Oppositionellen möglich seien. Hatten Sie die Möglichkeit, Gespräche zu führen?

In Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft, die in Sotschi derzeit eine Außenstelle eingerichtet hat, und dem Auswärtigen Amt konnten wir mit Menschenrechtlern der Organisation Memorial ein Gespräch zur Problematik der Gastarbeiter führen. Dabei ging es vornehmlich um die Fragen, wie die Gastarbeiter nach Sotschi gekommen sind, wie es dazu kommen konnte, dass die Firmen sie so ausbeuten konnten und warum staatliche Stellen oder die Polizei kein Interesse an diesen Menschen hatten.

Dann hatten wir ein tolles Gespräch mit der erfolgreichen Eiskunstläuferin Irina Rodnina. Sie hatte die Ehre, bei der Eröffnungsfeier mit anderen das olympische Feuer entzünden zu dürfen. Außerdem ist sie Mitglied des russischen Parlamentes, der Duma. Auf unsere Frage, ob sie denn im Parlament den Bereich des Sports bearbeitet, berichtete sie über ihr Engagement für ein Schulgesetz, welches die Möglichkeit des Sportes mit einbezieht. Der Sport soll künftig in die Bildung integriert werden.

Ein Hintergrundgespräch war für mich besonders interessant: der Verteidigungsattaché der deutschen Botschaft hat sich die Zeit genommen, um uns über die allgemeine Situation im Land zu informieren.

Auf unserer Wunschliste für Begegnungen stand auch ein Treffen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des olympischen Jugendlagers. Seit einiger Zeit finden zu Olympischen Spielen und Paralympics Jugendlager statt. Junge Sportlerinnen und Sportler können sich für das Lager bewerben, egal ob sie später Leistungssport betreiben wollen oder nicht. Hauptzweck des Jugendlagers ist, dass sich junge Menschen aus aller Welt treffen und eine Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch haben. Daneben können sie natürlich auch Wettbewerbe besuchen und die Situation vor Ort kennenlernen. Obwohl das Treffen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Jugendlagers erst gegen 22.00 Uhr stattgefunden hat, war es eine tolle Atmosphäre.

Ein Highlight der Reise war natürlich auch die Eröffnungsfeier. Im Vorfeld haben meine Kollegin und ich vor Ort in Rosa Kutta eine regenbogenfarbene Mütze gekauft und diese an diesem Abend getragen. Außerdem haben wir für alle sichtbar eine Regenbogenfahne geschwenkt.

Wie ist die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung für die Olympischen Winterspiele in Sotschi?

Ich hatte überwiegend Kontakt mit den einheimischen jungen Leuten, die als Volunteers vor Ort aktiv waren. Zum Teil hatten sie extra Urlaub genommen, um die Organisation und Durchführung der Spiele zu unterstützen. Die meisten von ihnen sind sehr stolz, dass die Welt bei ihnen zu Gast ist und sie denken, dass die Olympischen und Paralympischen Spiele auch eine Chance für ihr Heimatland sind.

Sie waren auch bei der Eröffnung des Deutschen Hauses und konnten mit Sportlerinnen und Sportlern ins Gespräch kommen. Wie gehen die Sportlerinnen und Sportler mit den Boykottaufrufen um und welche Möglichkeit haben sie, Kritik oder politische Forderungen öffentlich zu machen?

Als wir im olympischen Dorf in Sotschi waren, konnten wir ganz kurz mit dem Eiskunstlaufpaar Aljona Savchenko / Robin Szolkowy sprechen. Sie fanden die Bedingungen im Dorf und die Sportstätten sehr gut.

Der Druck wird hauptsächlich durch die Medien aufgebaut oder durch die Politikerinnen und Politiker, die aus politischen Gründen nicht nach Sotschi fahren wollen. Die Sportlerinnen und Sportler selbst blenden dies so gut es geht aus. Was sie allerdings nervt, ist die überwiegend negative Berichterstattung! Die Sportler trainieren sehr lange auf diesen sportlichen Höhepunkt hin und dann spielt der Sport nur eine untergeordnete Rolle. Ich kann verstehen, dass es frustrierend ist, wenn von ihnen verlangt wird, sich politisch zu betätigen und ihnen durch eine solche Instrumentalisierung die Freude auf dieses Ereignis genommen wird.

Die Sportlerinnen und Sportler wollen sich auf den Sport und die Wettbewerbe konzentrieren und es gehört auch dazu, dass sie von Zuschauerinnen und Zuschauern angefeuert und gefeiert werden. Boykottaufrufe hingegen würden bedeuten, dass sie zum einen nicht an den Spielen teilnehmen könnten und zum anderen, dass sie vor leeren Rängen ihren Wettkampf bestreiten müssten. Das möchte ich ihnen nicht zumuten und das haben sie angesichts der Anstrengungen und Entbehrungen während der jahrelangen Vorbereitung auch nicht verdient. Die Sportlerinnen und Sportler tragen keine Verantwortung dafür, welches Land die Olympischen und Paralympischen Spiele austragen darf.

In den Medien war auch zu lesen, dass einige Baumaßnahmen nicht fertiggestellt werden konnten. Können Sie das bestätigen?

Es sind tatsächlich noch einige wenige Baufirmen unterwegs. Allerdings sind die Sportstätten fertig und das ist ja schon mal gut. Hier und da sieht es noch etwas unaufgeräumt aus, aber das kann auch an meinem subjektiven Verständnis von Ordnung liegen. Bedauerlicherweise sind die Hotels für die Journalisten nicht rechtzeitig fertig geworden, was wohl der Hauptgrund für die entsprechend negative Berichterstattung war.

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, damit bei derartigen Großveranstaltungen der Sport und im konkreten Fall die Olympischen Werte wieder mehr in den Vordergrund rücken und was ist nötig, damit es in Zukunft keine derartigen Proteststürme in Bezug auf die Durchführung von Sportgroßveranstaltungen gibt?

Das IOC muss sich vor der erneuten Vergabe von Olympischen und Paralympischen Spielen Gedanken machen, auf welcher Grundlage über die Bewerbungen der einzelnen Länder entschieden werden soll und welche Kriterien angelegt werden sollen. Bedacht werden müssen insbesondere soziale und ökologische Standards, die Nachhaltigkeit der Infrastruktur aber auch Menschenrechtsfragen, zum Beispiel ob es im jeweiligen Land noch die Todesstrafe gibt. Vor allem sollte das IOC die Olympische Idee wieder in den Fokus rücken. Schneller, höher, stärker sollte sich hauptsächlich auf den Sport und nicht auf den Kommerz beziehen!

linksfraktion.de, 13. Februar 2014