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»Die katholische Presse diffamiert sie als Mörderin«

Im Wortlaut von Annette Groth,

Annette Groth, Abgeordnete der Fraktion Die Linke im Bundestag, hat am Freitag im polnischen Katowice als Beobachterin an einem Prozeß teilgenommen, in dem eine Frau sich gegen Verleumdungen durch die katholische Kirchenpresse wehrte.

Die polnische Arbeiterin Alicja Tysiac hatte ihr Recht auf Abtreibung bereits 2007 vor den Europäischen Gerichtshof gebracht und dort gewonnen. Doch die einflußreiche polnische Kirchenpresse diffamiert sie weiter als Mörderin. Dagegen hatte sie sich in einem von ihr angestrengten Verleumdungsprozeß in Katowice gewehrt. Worum ging es bei einem neuerlichen Gerichtsverfahren am Freitag?

Alicja verlangt 12000 Euro Schadensersatz für die Diffamierungen, die sie in den vergangenen Jahren erleiden mußte. Sie mußte sich z.B. einer psychiatrischen Behandlung unterziehen, weil sie ständig als Mörderin tituliert wird - auch ihre Kinder müssen sich permanent die Hetze gegen ihre Mutter anhören.

Zwischen beiden Anwälten, dem von der katholischen Zeitung Gosc Niedzielny und dem von Alicja, gab es vor Gericht einen heftigen Schlagabtausch. Die Zeitung hatte den Schwangerschaftsabbruch mit der Judenvernichtung der Nazis im Konzentrationslager gleichgesetzt und Alicjas Namen in einem Atemzug mit dem von Nazimördern genannt. Die Redaktion behauptet, das sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Alicjas Verteidiger meint hingegen, solche Vergleiche müßten strafrechtlich verfolgt werden- was ich genauso sehe. Die Geschichte ist nicht neu: Alicja war bei der Geburt ihres dritten Kindes fast völlig erblindet, weil ihr eine Abtreibung verweigert worden war. Sie hatte schon einmal gegen die Zeitung geklagt und gewonnen. Damals hatte die Richterin das Bistumsblatt für schuldig befunden, sich der Haßsprache bedient zu haben. Das Urteil in diesem neuen Verfahren wird am 5.März gesprochen - drei Tage vor dem Internationalen Frauentag!

Gibt es eine Bewegung, die Alicja unterstützt?

Es gibt eine kleine linke Bewegung in Polen, die sie stützt, darunter sind auch Gewerkschafter. Aber hier zeigt sich auch internationale Solidarität: Zum Beispiel beobachten Französinnen von der Europäischen Feministischen Initi­ative den Prozeß.

In Polen werden Staat und Kirche immer mehr miteinander verzahnt: Die Presse bringt als erstes kirchliche Nachrichten, dann Regierungsverlautbarungen, dann das, was in Polen sonst noch passiert. Die Kirchenpresse hat mit der Hetze gegen Alicja angefangen, andere Medien haben nachgezogen.

Wie haben die Ärzte denn reagiert, bei denen sie aus gesundheitlichen Gründen eine Abtreibung vornehmen lassen wollte?

Die haben das stets abgelehnt. Aber letztlich ist das auch eine Klassenfrage - Alicja hat nämlich kein Geld, sie bekommt nur eine Invalidenrente von 130 Euro. Gegen ein gutes Honorar hätte sich sicher ein Arzt gefunden. Sie argumentiert so: Wenn der Staat sie schon zwingt, ein Kind zu bekommen, soll er auch dafür sorgen.

Alicija hatte dann den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeschaltet, der bestätigte, daß die Ärzte gegen polnische Gesetze verstoßen haben. In Polen ist die Abtreibung in Fällen von Vergewaltigung, Mißbildung bei Föten oder Gefahren für die Gesundheit der Mutter erlaubt - letzteres war bei Alicja ja der Fall. Sie hat eine seltene Krankheit: Mit jeder Geburt verliert sie mehr an Augenlicht.

Wie reagierte die katholische Kirche auf den Richterspruch aus Strasbourg?

Sie ging mit Hilfe ihrer Medien erst recht auf Alicja los. Das Urteil besagte, daß die polnische Regierung 25000 Euro als »moralische Wiedergutmachung« zahlen muß. Davon konnte sich Alicja gerade mal ein Bett und einen Schrank kaufen - mit dem Rest mußte sie die hohen Schulden bezahlen, die sie aufgrund ihres geringen Einkommens hatte.

Wie, meinen Sie, wird der Prozeß ausgehen?

Es wird schwierig werden. Die katholische Kirche pocht auf die Meinungsfreiheit, und bestreitet, Persönlichkeitsrechte von Alicja mißachtet zu haben.

Interview: Gitta Düperthal

junge Welt, 22. Februar 2010