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Die Gysi-Story

Im Wortlaut von Dagmar Enkelmann,

Pünktlich zum Wahlkampf

Von Dagmar Enkelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag





Man hätte die Wahlkampf-Uhr danach stellen können: Kaum stand der 22. September als Termin für die Bundestagswahl fest, stieg der erste Versuchsballon gegen DIE LINKE auf. Keine Frage: 20 Jahre nach der Einheit würde eine »Rote-Socken«-Kampagne altbacken wirken, und mit der Frage nach dem SED-Vermögen kann man nicht einmal mehr im Bundestag punkten. Die unguten Machenschaften der Geheimdienste dagegen sind in aller Munde – und von dem Punkt an mußten nur noch die Begriffe Gysi, Stasi, Staatsanwalt und Immunität irgendwie zusammengebracht werden. Von sich aus fügen die Medien gern den Satz hinzu, daß – um staatsanwaltliche Ermittlungen zu ermöglichen – die Immunität des Abgeordneten aufgehoben wurde. Fertig ist die Story, die Gysi-Story. Die wird dann noch am Wochenende gestartet, wenn Politiker und Pressesprecher ihre Smartphones beiseite gelegt haben.

Um die Sache mit der Immunität aufzuklären: Zu Beginn der Legislatur wird durch den Bundestag für alle Abgeordneten die Immunität generell aufgehoben. Das heißt nichts anderes als: Liegt eine Anzeige gegen einen Abgeordneten vor, kann der Staatsanwalt wie gegen jeden anderen Bürger auch ermitteln. Erst wenn er von einer strafrechtlichen Verantwortung des Abgeordneten ausgeht, kommt der zuständige Bundestagsausschuß ins Spiel.

Wenn bei dieser Sachlage der Vorsitzende Thomas Strobl (CDU) gezielt den Eindruck erweckt, der Immunitätsausschuß habe die staatsanwaltlichen Ermittlungen zur Anzeige gegen Gysi geprüft, ist das weder wahr noch entspricht es den Verfahrensregeln des Bundestages. Der Ausschuß wurde von Strobl lediglich über die Ermittlungen informiert und hat sich sonst mit dem Thema Gysi nicht befaßt. Sein Verhalten ist eines Ausschußvorsitzenden eindeutig unwürdig.

Schon 2008 hatten vor allem die Unionsabgeordneten – nach vorangegangenen Presseberichten – über ein halbes Jahr lang versucht, »von Amts wegen« eine erneute Überprüfung von Gregor Gysi anzustrengen. Davon ließen sie erst ab, als die damalige Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, dem Immunitätsausschuß mitteilte, daß es keine wesentlichen neuen Hinweise gebe, wie man im Tagesspiegel nachlesen konnte.

Viel Lärm um nichts, könnte man sagen. Ganz so einfach ist es aber nicht. Der Antikommunismus bekommt mal wieder neue Nahrung. Und es soll gerade der getroffen werden, der der Linken in Deutschland Gesicht und Stimme gibt, der mit seinem Engagement Vertrauen und Glaubwürdigkeit erwirkt hat. Insofern geht es eben nicht um Gysi. Die Partei als Ganzes soll aus der Geschichte verschwinden. Eine Partei, die diese Gesellschaft in ihren Fundamenten infrage stellt, soll mit allen Mitteln bekämpft werden. Da hilft nur: Gemeinsam gegenhalten.

junge Welt, 13. Februar 2013