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Die G 8 und der Krieg

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Nicht die Globalisierungskritiker bringen das Land in Gefahr, sondern die Blindheit und Taubheit der Regierenden. Nun auch noch ein Versammlungsverbot um Heiligendamm zu verhängen, erinnert an den alten Obrigkeitsstaat, der sich über die Bevölkerung stellt.

Eine Außenansicht für sueddeutsche.de von Oskar Lafontaine

Der Autor des Romans "Im Westen nichts Neues", Erich Maria Remarque, der sich selbst als "militanten Pazifisten" bezeichnet hat, stellte 1963 in einem Interview fest: "Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hineingehen müssen, die nicht ganz vorne stehen."

Wenn Anfang Juni die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen zum G-8-Gipfel in Heiligendamm zusammentreffen, sind die Kriege im Irak und in Afghanistan voraussichtlich kein Thema. Zumindest ist in der Agenda der Bundesregierung, die dieses Jahr die Präsidentschaft innehat, davon nichts zu lesen.

Mit den USA, Großbritannien, Italien, Japan und Deutschland waren beziehungsweise sind aber fünf aus der "Gruppe der Acht" direkt oder indirekt am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak beteiligt. Darüber hinaus werden die Kampfhandlungen in Afghanistan durch die G-8-Staaten unmittelbar oder mittelbar unterstützt. Die Bundesregierung - wie ihre rot-grüne Vorgängerin - unterstützt die "Koalition der Willigen" im Irak, indem sie unter anderem Überflugrechte bewilligt und Flughäfen auf deutschem Territorium zur Verfügung stellt. Sie missachtet dabei ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

Dieses oberste Gericht der Bundesrepublik hat am 21. Juni 2005 entschieden, dass sich die kriegführenden Mächte im Irak "weder auf sie ermächtigende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates noch auf das in Artikel 51 UN-Charta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht stützen (konnten)." Auf die deutsche Unterstützung des Irakkrieges bezogen, stellt es fest, dass eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt selbst ein völkerrechtliches Delikt ist.

Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Urteilsbegründung noch weiter: "Ein 'neutraler Staat' - damit also im Hinblick auf den allein von den USA und ihren Verbündeten seit dem 20. März 2003 geführten Krieg gegen den Irak auch die Bundesrepublik Deutschland - darf auf seinem Territorium 'keine der Konfliktparteien unterstützen' ... "

Warum dieser Aktionismus?

Diesem Urteil ist die Regierung Merkel bis heute nicht gefolgt. Im Irakkrieg sind Hunderttausende Zivilisten umgekommen, Tausende Soldaten fanden bei den Kämpfen den Tod. Dieser mörderische Krieg fordert täglich neue Opfer.

Die Kämpfe in Afghanistan eskalieren ebenfalls. Zahllose Zivilisten wurden bereits durch Nato-Angriffe getötet. Auch hier macht sich Deutschland mitschuldig. Mit der Entsendung der Bundeswehr-Tornados nach Afghanistan versinkt Deutschland immer weiter in den Sumpf völkerrechtswidriger Kriege. Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen haben auch diesen Auslandseinsatz gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit beschlossen.

Die Menschen wollen diese Kriege nicht. Noch vor seinem Ausbruch demonstrierten im Februar 2003 Millionen Bürgerinnen und Bürger gegen den Irak-Feldzug. Im März 2003 folgten europaweit mehr als siebzig Gewerkschaftsorganisationen in 38 Ländern dem Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes, ein "Zeichen für den Frieden" zu setzen. Zahllose Proteste schlossen sich an. Zum diesjährigen G-8-Gipfel wollen viele Bürgerinnen und Bürger erneut für den Frieden und gegen eine Weltordnung, die zu Krieg und sozialer Ungleichheit führt, demonstrieren.

Die Bundesregierung nimmt diese Stimmen nicht ernst. Sie will sie offenbar nicht hören. Der Bundesinnenminister rückt stattdessen einige gewaltbereite Personen oder Gruppen in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit und verrennt sich: "Bei großen politischen Ereignissen wie dem G-8-Gipfel versuchen die sogenannten Globalisierungsgegner Aufmerksamkeit zu erregen und die Weltöffentlichkeit für ihre Anliegen zu gewinnen. Gewalttätige Auseinandersetzungen liefern da immer die interessanteren Bilder. Wir haben die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen", sagt er.

Bei großen politischen Ereignissen, so möchte man ihm antworten, sind manche Innenminister versucht, durch übertriebene Polizeiaktionen die harte Hand des Staates zu zeigen, um die Bürgerinnen und Bürger in Sicherheit zu wiegen. Schäuble warnt vor einer erhöhten Gefährdungslage in Deutschland.

Nach seinen eigenen Worten gibt es aber "keine besonderen terroristischen Drohungen". Daran hält auch die Bundesanwaltschaft nach einer Großrazzia gegen mögliche G-8-Gegner fest. Warum also dieser Aktionismus, der nach dem Vorbild des großen Bruders in Amerika die Bürgerrechte in Deutschland immer weiter einschränkt?

Anstatt die kriegführenden Mächte zum Umdenken zu bewegen, will Frau Merkel den G-8-Gipfel auf Fragen der Weltwirtschaftsordnung begrenzen. "In diesem Sinne will die deutsche G-8-Präsidentschaft, dass vom Gipfel in Heiligendamm ein klares Signal für eine liberale und offene Weltwirtschaftsordnung ausgeht", heißt es in ihrer G-8-Agenda unter dem Leitmotiv "Wachstum und Verantwortung". "Der Prozess der Globalisierung", so wird die Bundeskanzlerin darin zitiert, "ist ein Prozess der Liberalisierung."

Die Umkehr zu einer erfolgreichen Friedens- und Entwicklungspolitik würde aber zunächst einen kritischen Umgang mit der Erkenntnis voraussetzen, dass eben dieser ungeregelte, ja gesetzlose Kapitalismus die wachsende soziale Ungleichheit verursacht und zu Kriegen um Rohstoffe und Absatzmärkte führt. Nicht die Globalisierungskritiker bringen das Land in Gefahr, sondern die Blindheit und Taubheit der Regierenden.

Mit der Ausgrenzung der Öffentlichkeit durch Zäune und Stacheldraht sprechen sich die Staatsmänner und -frauen der führenden Industrienationen selbst ein Urteil. Nun auch noch ein generelles Versammlungsverbot um Heiligendamm zu verhängen, wie es die Bundesregierung beschlossen hat, erinnert an den alten Obrigkeitsstaat, der sich über die Bevölkerung stellt und ihr die demokratischen Grundrechte versagt.

sueddeutsche.de, 18. Mai 2007