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Die Füchse bewachen das Hühnerhaus

Im Wortlaut,

Die gegenwärtige Lage ist verwirrend. Wir erben den Schlamassel der neoliberalen Ära, aber eine kräftige Reformbewegung gibt es bislang nicht. ­Worauf sollten sich jetzt diejenigen konzentrieren, die gravierende Veränderungen der Weltwirtschaft verlangen?

Die Banken unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen - das ist die aktuell die wichtigste Aufgabe. Ob man das Vergesellschaftung, Verstaatlichung oder sonst wie nennt, ist nicht entscheidend. Anschließend müssen die Banken gezwungen werden, vor allem an kleine und mittlere Unternehmen Kredite zu vergeben. Und das wiederum mit einer klaren Stoßrichtung. Zu bevorzugen sind grüne, ökologische Projekte und kooperative Unternehmen. Ebenso sind massiv alle Privatpersonen zu finanzieren, die klimaneutrale Häuser kaufen oder ihr Hauseigentum ökologisch umrüsten wollen. Regierungen können all das mit zusätzlichen Fonds unterstützen. Geld gibt es genug. Man muss es nur auf diese Ziele hin bündeln. Und eintreiben. Das heißt: Die Reichen und die Konzerne wieder angemessen besteuern, Steueroasen schließen, finanzielle Transaktionen grenzüberschreitend mit einer Steuer belegen. Und nicht zuletzt: Entschuldung des Südens, allerdings mit der Maßgabe, dass auch die ärmeren Länder sich an dem globalen ökologischen Anliegen beteiligen.

Wo sind in diesen Krisenzeiten die Schwachpunkte der herrschenden Eliten, die man aus­nutzen könnte?

Sie haben keine Ideen! Sie geben den Banken Milliarden Steuergelder, aber im Gegenzug bekommen die Bürgerinnen und Bürger absolut nichts. Ich bin immer überrascht, dass die Menschen nicht voller Zorn auf die Straße gehen. Die Herren des Establishments werden den Kapitalismus vielleicht hier und da etwas regulieren. Aber sie versuchen gleichzeitig, alle Elemente der gescheiterten neoliberalen Doktrin zu bewahren.

Was erwarten Sie vom Finanzgipfel der 20 wirtschaftsstärksten Länder, der Anfang April in ­London stattfindet?

Im Sinne vernünftiger Lösungen nichts, rein gar nichts. Beim Treffen der G20 wird man versuchen, die Liberalisierung des Welthandels weiter zu forcieren und den Internationalen Währungsfonds mit zig Milliarden auszustatten. Man bleibt genau auf dem Trip, der uns dieses Chaos beschert hat. Weiter in die falsche Richtung, vernebelt hinter etwas mehr Regulierung. Dahin wird es gehen, das ist meine Befürchtung.

Welche Kontroversen sind ­absehbar, zwischen den USA, der EU und anderen Teilnehmern?

Die EU ist gegenwärtig weitaus neoliberaler als die Vereinigten Staaten. Barack Obama versucht wenigstens, einen Teil der Rettungsgelder in die begonnene ökologische Konversion zu lenken. Europa dagegen verspielt erneut eine historische Chance, in die Zange genommen von einer irregeleiteten EU-Kommission und einer Europäischen Zentralbank, die sich ihrer Unabhängigkeit rühmt. Auch hier gilt: Die Füchse sollen das Hühnerhaus bewachen.

Haben Sie den Eindruck, dass US-Präsident Barack Obama ­Reformen auch gegen die Interessen großer Finanzmarktspieler durchsetzen kann?

Obama kann im Moment viel auf den Weg bringen, weil er ein enormes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Aber seine Reaktionen auf die Krise sind nicht kräftig genug. Und das aktuelle Hauptproblem, dass die Banken keine Kredite vergeben, bekommt er nicht in den Griff. Die Banken nehmen Staatsgeld, aber tun anschließend nicht das, was sie machen sollten: Geld ausleihen.

Im Unterschied zu den USA und anderen Ländern tut die deutsche Regierung sehr wenig, um die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren. Und sie verweigert sich einer abgestimmten europäischen Konjunkturpolitik. Warum gibt es beispielsweise in Frankreich keinen nennenswerten Protest gegen diesen deutschen Krisennationalismus?

In Frankreich sind die Sozialliberalen, so nenne ich die Sozialistische Partei, überhaupt nicht fähig zu protestieren. Wie sollten sie auch? Wie ihre deutschen Genossen haben sie in den vergangenen 15 Jahren den Neoliberalismus ohne Abstriche nachgebetet. Und die Linken jenseits der PS sind gespalten. Sarkozy seinerseits hat ohnehin schon ein so schlechtes Verhältnis zu Angela Merkel, dass er nicht noch mehr Ärger will. Die Wahrheit ist leider auch, dass die gesellschaftlichen Kräfte in Frankreich, auch die Gewerkschaften, so national borniert sind, dass sie vom Geschehen außerhalb des Landes nichts wissen oder die Zusammenhänge nicht begreifen. Zehntausende französische Jobs sind verloren gegangen - nicht an China, sondern an Deutschland. Wer aber nur die lokale Presse liest, weiß nichts vom deutschen Lohndumping.

Die Weltwirtschaftskrise gibt denen Recht, die seit Jahren vor den Gefahren schrankenloser Liberalisierung und Privatisierung warnen. Aber Attac und andere Kritiker profitieren davon kaum. Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Wir hatten recht und sie nicht. Das will natürlich niemand auf der anderen Seite zugeben. In der ersten Krisenphase waren die Medien durchaus bereit, uns Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Aber jetzt sind sie schon wieder beim normalen Geschäft. Wir brauchen auch mehr gemeinsame Aktionsfähigkeit der linken Kräfte, um wirklich Gehör zu finden.

Wie geht es weiter in Europa? Was befürchten Sie? Worauf grün­den Sie Hoffnungen?

In ihrem gegenwärtigen Zustand ist die Europäische Union ein hoffnungsloser Fall, ein großes Hindernis für mehr Vernunft. Wenn der Vertrag von Lissabon durchgeht, wenn also neoliberale Politik Verfassungsrang erhält, wenn Irland bei der zweiten Abstimmung über den Vertrag nicht beim Nein bleibt, dann müssen wir uns noch mehr sorgen. Unterstützung für das irische Nein ist also eminent wichtig. Ein Hoffnungszeichen war der Generalstreik in Frankreich am 29. Januar. Solche Zeichen müssen wir setzen, europaweit.

Susan George, Jahrgang 1934, ist Ehrenpräsidentin von Attac Frankreich und gehörte zum Gründungsteam. Die in Paris lebende Kanadierin war maßgeblich an den Weltsozialforen beteiligt. Die Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin hält den Eröffnungsvortrag einer Internationalen Konferenz am 20. und 21. März, zu der die Linksfraktion im Bundestag einlädt, um über Linke Auswege aus der Krise - ökonomische und soziale Perspektiven zu diskutieren.

Interview: Hans Thie

derFreitag, 19. März 2009