Zum Hauptinhalt springen

»Die Familie muss Wahlkampf-Thema werden!«

Im Wortlaut von Jörn Wunderlich,

Warum fühlen sich viele Eltern von der Politik so wenig ernst genommen? Und was brauchen Familien in diesem Land wirklich? Im Redaktionsgespräch mit ELTERN stellte Jörn Wunderlich, familienpolitischer Sprecher der Fraktion "DIE LINKE", überraschende Überlegungen an.

Von Jennifer Litters


Familienpolitik - für viele immer noch "Gedöns"?

Eigentlich wollte Jörn Wunderlich, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, sich ja für die Rechtspolitik engagieren. Kein Wunder, hat der 53-jährige studierte Jurist doch lange als Richter gearbeitet. Asylpolitik hätte ihn auch interessiert. Doch am Ende wurde er familienpolitischer Sprecher seiner Partei. "Das wollte wohl erst keiner machen", erzählt er lachend der ELTERN-Redaktion. "Als unter Ursula von der Leyen als Familienministerin das Thema plötzlich mediale Aufmerksamkeit bekam, gab es aber schnell die ersten Neider."

Die Erfahrung, dass Familienpolitik innerhalb der Parteien noch immer wenig Gewicht hat, eben oft noch im Gerhard Schröderschen Sinne als "Gedöns" behandelt wird, macht Wunderlich, der seit 2009 auch Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag ist, noch heute ärgerlich. Wie falsch diese Einschätzung ist, weiß der Politiker nicht nur aus der eigenen Erfahrung mit seinen beiden Kindern, einer 22-jährigen Tochter aus erster Ehe und einem 18-jährigen Sohn.

Für ihn ist klar: "Familienpolitik betrifft jeden!" Denn darunter fielen nicht nur Fragen zum Ehegattensplitting oder zur Kinderbetreuung, sondern auch zu Pflegemöglichkeiten für ältere Verwandte. Deshalb fasse seine Partei den Begriff "Familie" auch deutlich weiter als konservative Parteien: Familie sei dort, wo Menschen füreinander soziale Verantwortung übernehmen - und zwar unabhängig von Trauschein oder sexueller Orientierung. Anliegen seiner Partei sei es daher, all diese verschiedenen Familienformen gleichberechtigt zu fördern.

Wie könnte die Arbeitswelt familienfreundlicher werden?

Als wichtigste Eckpfeiler dieser Förderung nennt Jörn Wunderlich die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, die gleichberechtigte Aufteilung von Elterngeld und Elternzeit zwischen Vater und Mutter sowie den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Linke fordert sogar, dass Eltern auch bei weniger Arbeitsstunden pro Woche weiterhin den vollen Lohn bekämen. Außerdem sollten sie einen besonderen Kündigungsschutz bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr des Kindes sowie ein uneingeschränktes Recht auf Teilzeitarbeit erhalten - genauso aber auch ein Rückkehrrecht in die Vollzeit.

Beide Elternteile sollen nach den Vorstellungen Wunderlichs und seiner Partei jeweils zwölf Monate lang Elterngeld erhalten. Dieses Elterngeld soll nicht übertragbar sein. "Damit würden die Väter ganz klar in die Pflicht genommen", sagt der Experte für Familienpolitik. Doch nicht nur die: Auch Arbeitgeber würden dann bei der Einstellung neuer Angestellter nicht mehr länger männliche Kandidaten bevorzugen. Schließlich müssten sie künftig auch bei Männern fürchten, dass die sich eine berufliche Auszeit für ihre Kinder nehmen.

"Gesetze können die Gesellschaft verändern", ist der linke Politiker überzeugt. Allerdings müsste dann auch endlich das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen aufgehoben werden - ein weiteres Ziel der Linken, denn: "Es reicht nicht, wenn sich einmal im Jahr am Equal Pay Day alle gemeinsam ans Brandenburger Tor stellen und gleichen Lohn für die Frauen fordern, dann aber doch nichts passiert!"

Wer soll das bezahlen?

Bei dem Ausbau der Kinderbetreuung fordert er, nicht nur ein gebührenfreies, flächendeckendes Angebot zu schaffen, sondern auch auf die Qualität zu achten, nicht zuletzt bei der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Das Argument zu hoher Kosten zähle für ihn dabei nicht mehr: "Das Betreuungsgeld wird hochgerechnet zwei Milliarden Euro kosten. Geld ist also offensichtlich da - es kommt darauf an, wohin man es lenkt."

Sicher klingen diese familienpolitischen Pläne der Linken, die unter anderem auch noch ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsschulen oder die Erhöhung des Kindergeldes auf 200 Euro für das erste Kind vorsehen, für viele Eltern verlockend - aber eben doch auch ganz schön teuer. Einsparpotenzial sieht Jörn Wunderlich vor allem bei den Rüstungsausgaben, da liegt er ganz auf Parteilinie. Ansonsten gibt er sich aber an vielen Stellen pragmatisch und kompromissbereit.

Wer spielt mit den Schmuddelkindern?

Überhaupt sei das Bild, das in der Öffentlichkeit von seiner Partei vorherrsche, oft nicht stimmig. Und häufig sei es auch nicht DIE LINKE, die blockiere - sondern die anderen Parteien, die nach wie vor nicht mit den vermeintlichen linken Schmuddelkindern spielen wollten. "Gerade in der Familienpolitik stimmen wir auf der Fachebene häufig über alle Parteigrenzen hinweg überein. Dann versuchen wir alle, unsere Ideen in den Fraktionen einzubringen - und kurz darauf ruft mich der Kollege von der Union an und sagt ab", bedauert Wunderlich. Eine andere Erklärung als die generelle Weigerung, mit den Linken zusammen zu arbeiten, gebe es dafür kaum. Immerhin: Manche Ideen würden nach und nach doch aufgenommen. "Man muss einfach dranbleiben", weiß er.

Bestärkt sieht er sich in dieser Haltung auch durch die Ergebnisse der von ELTERN in Auftrag gegebenen forsa-Studie. Diese hatte Väter und Mütter zu ihren familienpolitischen Wünschen befragt - mit Ergebnissen, die für die Politik durchaus unbequem sind. "Das zeigt, wie wichtig dieses Thema ist", so Jörn Wunderlich. Deshalb werde er sich noch in dieser Woche mit dem Fraktionsvorsitzenden seiner Partei treffen: "Familienpolitik muss einer der Schwerpunkte unseres Wahlkampfes werden!"

ELTERN, 17. April 2013