FREMDE FEDERN: Wolfgang Neskovic
Der BND-Untersuchungsausschuss will klären, ob die rot-grüne Regierung nach dem "11. September" den rechtsstaatlichen Konsens in der Terrorbekämpfung heimlich aufgekündigt hat. Statt diesen Verdacht zu entkräften, verfolgt die Regierung im Umgang mit dem Ausschuss eine Strategie der Verschleierung und Behinderung.Vorenthalten werden dem Ausschuss etwa die Informationen, Beratungen und Ergebnisse aus den nachrichtendienstlichen Lagen und Präsidentenrunden im
Bundeskanzleramt sowie alle Unterlagen, die bei der Vorbereitung von Berichten an das Parlament zu mutmaßlichen Rechtsverstößen entstanden sind. Nach Ansicht der Bundesregierung gehören sie zum "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung", in dem der Regierung ein Initiativ- und Handlungsbereich
zustehe, der demokratisch-parlamentarischer Kontrolle entzogen sei.
Obwohl das Grundgesetz nichts davon erwähnt, hat das Bundesverfassungsgericht sich diese Sicht 1984 im sogenannten Flick-Urteil zueigen gemacht. Danach sollen in erster Linie politische Entscheidungen auf Kabinettsebene dem untersuchungsfesten Kernbereich angehören. Weiterhin zählen grundsätzlich nur laufende
Entscheidungsprozesse zum Kernbereich, nicht aber abgeschlossene Vorgänge.
Die Regierung will nun nicht nur die Kabinettsebene schützen, sondern auch den "Vorhof" der politischen Entscheidungsprozesse. Die nachrichtendienstlichen Lagen
und Präsidentenrunden, in denen sich die Präsidenten der Sicherheitsbehörden und die Staatssekretäre bestimmter Ministerien treffen, sind dem Kernbereich indes lediglich politisch und administrativ vorgelagert.
Auch längst abgeschlossene Vorgänge will die Regierung - abweichend vom Bundesverfassungsgericht - dem Kernbereichsschutz unterstellen, denn die zu untersuchenden Verhaltensweisen sind längst abgeschlossen. Gründe, warum hier eine Kontrolle ausscheiden soll, sind von der Regierung nicht vorgebracht worden. Zudem will die Regierung, selbst wenn zu vermuten ist, es sei gegen Recht und Gesetz verstoßen worden, Kontrollfreiheit beanspruchen.
Das Schlagwort vom "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" sollte jedoch nicht dazu missbraucht werden, rechtswidriges Verhalten der Regierung nachträglicher parlamentarischer Kontrolle zu entziehen. Denn die Folge wäre ein rechtsfreier Raum im Herzen exekutiver Hoheitsgewalt. Setzte sich die Regierung mit ihrer Auffassung durch, bestünde keine echte Möglichkeit, etwa die Rolle des jetzigen Außenministers zu klären, der als früherer Beauftragter für die Nachrichtendienste eine Schlüsselfigur für den Untersuchungsausschuss ist.
Außenminister Steinmeier hat am 14. Dezember 2005 vor dem Deutschen Bundestag dargelegt, dass er in der damals täglich, später wöchentlich tagenden
Sicherheitslage der Antreiber für eine neue Sicherheitspolitik gewesen sei, die nicht nur auf eine systematische Ausforschung der islamistischen Szene ausgerichtet gewesen sei, sondern auch einen entsprechenden Informationsaustausch mit den
Amerikanern vorgesehen habe. Das dabei entwickelte Konzept und die Einzelheiten zu den Verschleppungsfällen, die Gegenstand des Untersuchungsauftrages sind, werden dem Ausschuss jedoch unter Hinweis auf den "Kernbereich exekutiver
Eigenverantwortung" vorenthalten. Die Regierung betreibt die Entmündigung des demokratischen Souveräns.
Doch damit nicht genug: Die Aussagegenehmigungen der Zeugen aus dem Beamtenapparat werden - im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung - systematisch mit zahlreichen Einschränkungen versehen. Zudem wird eine auf Nachvollziehbarkeit ausgerichtete Begründung verweigert, weshalb zum Beispiel die Antwort auf bestimmte Fragen zum "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" gehöre. Auch mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit geht die Regierung respektlos
um. Der Ausschuss führt seine Beweisaufnahmen grundsätzlich öffentlich durch. So will es Artikel 44 Grundgesetz. Hiervon darf nur in eng begrenzten Ausnahmefällen abgewichen werden. Die Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist Sache des
Ausschusses. Diese Entscheidungshoheit des Ausschusses maßt sich die Regierung aber immer wieder an, indem sie ihre Aussagegenehmigungen so abfasst, dass die Zeugen sich jederzeit nach eigenem Belieben in eine
nichtöffentliche Sitzung flüchten können. Als einziger Ausweg bleibt nur der Gang nach Karlsruhe.
Ein Urteil zu den aufgezeigten Verstößen gegen das parlamentarische Aufklärungsrecht ist für die Bestimmung des Verhältnisses von Legislative und Exekutive dringend erforderlich. Der Schutz vor Terrorismus ist verfassungsrechtlich allen drei Staatsgewalten gleichermaßen übertragen. Es ist an der Zeit, dass Karlsruhe die Regierung hieran erinnert.
Der Autor ist Obmann der Linksfraktion im BND-Untersuchungsausschuss.