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Die EU ist nicht das Wochenendhaus der Regierenden

Interview der Woche von Lothar Bisky,

Lothar Bisky, Mitglied der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Vorsitzender der Europäischen Linken, zum EU-Reformvertrag

Ist DIE LINKE pro Europa?

DIE LINKE ist eine proeuropäische Partei. Wir können heute keine wirksame Politik in den Kommunen, den Ländern und auf Bundesebene mehr gestalten, wenn wir nicht Europa, vor allem die Europäische Union im Blick haben. Proeuropäisch heißt aber nicht unkritisch, was die gegenwärtigen Entwicklungen in Europa betrifft.

Wieso setzen sich dann europaweit die linken Parteien so vehement gegen den Reformvertrag der EU ein, den die Staats- und Regierungschefs am 13. Dezember in Lissabon unterzeichnen?

Der Vertrag von Lissabon entspricht nur auf wenigen Gebieten den Herausforderungen der Gegenwart und kaum denen der Zukunft. Eine reale Zukunftsfähigkeit für die Europäische Union wird damit nicht begründet. Die markantesten Defizitpunkte bisheriger Europapolitik und die damit verbundenen Gründe für die wachsende Kluft zwischen Politik und Akzeptanz der EU durch die Bürgerinnen und Bürger bleiben leider bestehen. Das betrifft trotz etwas „sozialer Kosmetik“ die nach wie vor neoliberale Grundausrichtung des EU-Binnenmarktes. Das betrifft aber genauso die Militarisierung der bislang vorwiegend zivilen europäischen Integration.
DIE LINKE als konsequente Friedenspartei lehnt diese Militarisierung ab. Mit dem Vertrag werden die Mitgliedsstaaten auf den schrittweisen Ausbau ihrer militärischen Kapazitäten verpflichtet, was im Klartext Aufrüstung heißt. Das halten wir für falsch, nicht nur, weil Aufrüstung immer viel Geld verschlingt, was für zivile Zwecke dann nicht zur Verfügung steht, sondern vor allem, weil Europa so seiner Verantwortung für den Weltfrieden nicht gerecht wird. Wir sagen auch, die EU braucht keine Aufrüstungsagentur, die EU braucht eine Kultur des Friedens, weil Frieden die Voraussetzung für ein soziales und demokratisches Europa ist.

Gibt es überhaupt etwas Positives an dem Reformvertrag hervorzuheben?

Positive Ansatzpunkte sind die mit den Vertragsänderungen möglich werdenden Schritte zur weiteren Demokratisierung, durch deutlich mehr Rechte für das Europäische Parlament, durch die Möglichkeit von Bürgerbegehren und durch die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte-Charta. Dies kann dazu beitragen, dass Bürgerinnen und Bürger und ihre Interessenvertretungen aktiver als es bisher möglich war, Einfluss auf Teile der EU-Politik nehmen können.

Der ursprüngliche europäische Verfassungsentwurf wurde 2005 durch das Nein der Franzosen und Niederländer zu Fall gebracht. War eine Einigung auf den Reformvertrag jetzt nicht zwingend notwendig, damit die EU langfristig lebensfähig ist?

Notwendig gewesen wäre ein anderer Verfassungsvertrag, der den Bedürfnissen der Menschen entspricht und ihnen die Ängste vor einer ungewissen, durch sie nicht beeinflussbaren Zukunft nimmt. Man hat sich aber auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, ohne die Wünsche der Menschen zu berücksichtigen. Im Gegenteil, die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich arrogant über die Referenden in Frankreich und den Niederlanden hinweggesetzt, indem sie genau die Regelungen (neoliberale und militärische Grundausrichtung der EU-Politik), die zur Ablehnung der Verfassung führten, vollständig in den Vertrag übernahmen. Sie tun so, als wäre die Europäische Union ihr Weekend House oder ihre Datscha, wie wir in Ostdeutschland sagen. Wir wollen kein Europa der Regierenden, sondern ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Sie sollen selbst entscheiden können, wie das künftige Europa aussehen soll. Nur so kann die EU langfristig lebensfähig sein.

Was wird sich mit dem Reformvertrag konkret ändern? Werden die Menschen in Europa Änderungen spüren?

Das ist schwer vorhersehbar. Denn hier geht es um vertragliche Grundlagen. Welche Politik dann wirklich betrieben wird, hängt vom konkreten Kräfteverhältnis ab. Deshalb wird die Europäische Linke auch in allen Mitgliedstaaten dafür kämpfen, dass sich das Kräfteverhältnis zugunsten eines friedlichen, sozialen und demokratischen Europas verändert. Deshalb wollen wir gemeinsam auch dafür Sorge tragen, dass die Europäische Linke noch stärker als bisher im nächsten Europäischen Parlament vertreten ist.

Am 14. April 1992 haben die Brandenburgerinnen und Brandenburger in einem Volksentscheid über ihre Landesverfassung abgestimmt. Als Mitglied des Landtages waren Sie damals unmittelbar an der Entstehung dieser Verfassung beteiligt. Was hätte Europa von Brandenburg lernen können?

Dem Volksentscheid über die Verfassung war eine breite parteiübergreifende Diskussion in der Bevölkerung vorausgegangen. Der damals als „Brandenburger Weg“ beschriebene Prozess der Erarbeitung der Landesverfassung war kein leichter, aber er war erfolgreich. Ich erinnere mich noch an die Vielzahl von Veranstaltungen, auf denen auch Politiker der PDS, allen voran Micha Schumann, für die Verfassung warben. Meine Erfahrung aus dieser Zeit: Man muss die Menschen gewinnen. Dies gelingt aber nur, wenn man ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt und sich ihren Fragen stellt.

Haben Sie Verständnis dafür, dass die Menschen landläufig eher EU-skeptisch eingestellt sind? Welchen Beitrag leistet DIE LINKE, das sich das ändert?

Seit Mitte der 70er Jahre ist die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an den viel gepriesenen Errungenschaften der europäischen Integration immer weiter zurück gegangen. Viele Menschen verbinden die Europäische Union heute weniger mit Frieden und Wohlstand, sondern mehr mit Lohn- und Sozialdumping, mit Arbeitslosigkeit und einer intransparenten Bürokratie. Und vor allem mit Ohnmacht gegenüber einer solchen Politik. Wer immer öfter feststellt, dass die Politik der EU ihm nicht nützt, sondern schadet, wer immer nur vor vollendete Tatsachen gestellt wird ohne Chance auf Mitsprache und Mitentscheidung, der ist zu Recht skeptisch. Wir wollen, dass die Menschen Europa mitgestalten und über die Entwicklungsrichtungen der EU-Politik mitentscheiden. Deshalb werden wir gemeinsam mit unseren Partnerinnen der Europäischen Linken mit einer Unterschriftenkampagne für Referenden zum EU-Reformvertrag in allen EU-Staaten streiten. Dabei geht es gleichzeitig auch um eine umfassende, verständliche und aufklärende Information der Bürgerinnen und Bürger über den Inhalt des Vertrages, welche Konsequenzen sich aus ihm für die Menschen ergeben und zu alternativen Vorstellungen zum Vertrag von Lissabon.

Die Europäische Linke will ebenso wie die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ein demokratisches, soziales und friedliches Europa. Mit Blick auf 2009 werden wir unsere Vorstellungen von einem europäischen Sozialstaat, für den Ausbau sozialer Mindeststandards in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik, zur Abrüstung und zur Mitgestaltung durch die Bürgerinnen und Bürger weiter konkretisieren.

Welcher Gestaltungsspielraum bleibt dem Bundestag in Sachen Europapolitik?

Der Deutsche Bundestag hat auf Basis des so genannten Zusammenarbeitsgesetzes zwischen Bundestag und Bundesregierung zahlreiche Möglichkeiten zur Einflussnahme. Wichtig ist, diese bereits im Vorfeld von Entscheidungen zu nutzen und nicht erst, wenn sie zur Abstimmung anstehen. Der Bundestag erhält dazu alle wesentlichen Informationen, inzwischen auch direkt von der Europäischen Kommission. Dazu ist es aber auch notwendig, dass nicht nur die Abgeordneten im Europaausschuss, sondern auch die der anderen Fachausschüsse die EU-Ebene als ihr Arbeitsfeld begreifen. Denn mehr als 80 Prozent aller nationalen Gesetzesvorhaben werden von EU-Entscheidungen beeinflusst. Ich denke, die verstärkte Rolle der nationalen Parlamente bei der Subsidiaritätskontrolle wird einen Beitrag dazu leisten. Sie dient dazu, die Gesetzesvorhaben der EU-Kommission daraufhin zu prüfen, ob die vorgesehenen Entscheidungen auf EU-Ebene notwendig sind.
Der Bundestag ist frei in seiner Entscheidung, die gesetzlichen Grundlagen für ein Referendum in Deutschland zu schaffen. Auf Anregung der LINKEN wird ihre Fraktion im Bundestag diese Woche erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen. Wir erwarten von den Abgeordneten der anderen im Bundestag vertretenen Parteien, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind und diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Die Kompetenzen des Europaparlaments sollen durch die Reform erweitert werden? Wie wird sich das auf die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in Brüssel auswirken?

Wir haben in unserer Partei bisher schon eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Politikern im Europaparlament, im Bundestag und den Landtagen, in denen die LINKE vertreten ist, und unseren auf dem Gebiet der Europapolitik ehrenamtlich tätigen Parteimitgliedern. Diese Zusammenarbeit wird sich aufgrund der erweiterten Kompetenzen des Europaparlamentes, zum Beispiel in der EU-Innen- und Rechtspolitik, aber auch durch die Subsidiaritätskontrolle seitens der nationalen Parlamente weiter vertiefen.
Unser Ziel ist es, 2009 die linke Fraktion im Europaparlament zu stärken, wozu natürlich eine starke Delegation unserer Partei gehören soll. Denn mehr Rechte für das Europaparlament im Vertrag sind zwar eine gute Voraussetzung; es kommt aber jetzt darauf an, diese zu nutzen und eine Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu machen. Und dafür ist die Europäische Linke, ist DIE LINKE in Deutschland ein zuverlässiger Partner.

linksfraktion.de, 12. Dezember 2007