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Die Elektronikerin und das Verteidigungsministerium

Im Wortlaut von Yvonne Ploetz,

Von Yvonne Ploetz, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 



Der Girls‘ Day – ein jährlich stattfindender Aktionstag mit dem Ziel, Mädchen bei ihrer Berufswahl auch für so genannte Männerberufe zu begeistern und somit die verstaubten Geschlechterrollen aufzubrechen.

Da stellen sich die Fragen: Warum entscheiden sich Frauen und Männer überhaupt für jeweils andere Berufe? Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Berufswahl? Wie stark wirken die Geschlechterregime? Schließlich werden die alten Klischees in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit noch allzu häufig bedient: Männer und Frauen seien wesensmäßig vollkommen verschieden und hätten von Natur aus unterschiedliche Fähigkeiten. Selbstverständlich schlage sich das in der Berufswahl nieder!

Und diese Vorstellung scheint auch in den Köpfen der jungen Generation noch fest verankert. Fakt ist, dass sich die Berufswahl junger Frauen und junger Männer ganz an den vorgegebenen Mustern der Arbeitswelt und des Arbeitsmarkts zu orientieren scheint. Mädchen sehen sich also in personenbezogenen Dienstleistungsberufen und lernen Arzthelferin, Friseurin oder einen Büroberuf. Jungs hingegen ziehen technische Berufe vor, wie etwa KFZ-Mechatroniker oder Elektroniker. Was hier nach Geschlechterklischee klingt, ist Realität. Mehr als die Hälfte aller Mädchen beschränkt sich auf zehn von etwa 350 möglichen Ausbildungsberufen.

Die Konzentration auf diese klassischen Frauenberufen bestätigt die scheinbaren Vorlieben von Mädchen und damit die veralteten Klischees. Doch ihre Wahl beruht vor allem auch auf Zuweisungen infolge traditioneller und sozialisierter Geschlechterstereotype. Und eben nicht auf genetischen Unterschieden in mathematischen oder technischen Fähigkeiten.

Tatsächlich sind die emotionalen wie auch kognitiven Unterschiede zwischen den Geschlechtern derart gering, dass dahinter keine unterschiedlichen Naturen zu vermuten sind. Stattdessen sind zu einem Wünsche und Einstellungen – zum Beispiel über die Vorstellungen einer guten Beziehung oder Jobs – sehr ähnlich. Zum anderen erzielen Jungen und Mädchen laut OECD in Mathematik gegen Ende der Grundschulzeit fast die gleichen Ergebnisse bei internationalen Vergleichsstudien. Erst später – im Alter von 15 Jahren – schneiden Jungen in Mathe besser ab, wie die PISA-Studie zeigt. Und diese Differenzen sind dann eher auf Förderpolitiken infolge von Stereotypen als auf unterschiedliche Begabung zurückzuführen: Wenn Mädchen erzählt wird, sie hätten hier keine Begabung und wenn sie im Matheunterricht nicht ernst genommen werden, weckt das natürlich Selbstzweifel, die den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zerstören. Die Geschlechtsunterschiede sind hier also zum größten Teil erlernt und nicht naturgegeben. Die Geschlechterstereotype werden von der Gesellschaft eingeimpft. Ein Blick in die Politik verdeutlicht dies: So unterstehen die Ministerien für Familie und Soziales ganz klassisch jeweils einer Frau, das Finanz- und auch das Verteidigungsministerium natürlich jeweils einem Mann.

Die Folgen überkommener Klischees werden unter anderem bei der Entscheidung über den weiteren Bildungsweg und Beruf deutlich. Eine Berufsentscheidung ist eben oft auch eine Lebensentscheidung. Dabei geht es auch immer darum, mit welchem Beruf die gesellschaftlichen Erwartungen und die allgemeinen Vorstellungen von weiblich oder männlich am besten erfüllt werden können. Die Berufswahl steht eben auch im Kontext der Identitätsbildung und der sozialen Integration in die eigene Geschlechtergruppe und führt dazu, dass die veralteten Geschlechterrollen schließlich bestätigt werden.

Die Entscheidung die Berufswahl ist also oft mehr von stereotypen Zuweisungen statt von den tatsächlichen Fähigkeiten abhängig. Und genau da setzt der Girls‘ Day an: Mädchen sollen gleichberechtigt sein und nach ihrem Interesse auch Männerberufe ergreifen können.

Eine Trendwende ist aber leider nicht in Sicht. Der Ausbildungsreport der DGB-Jugend aus dem Jahr 2011 bestätigt dies: „Trotz vieler Fortschritte gestaltet sich das Berufswahlverhalten junger Frauen und Männer weiterhin nach alten Rollenbildern und stereotypen Zuschreibungen an die jeweiligen Berufe. Resultat sind sogenannte typische Frauen- und Männerberufe, die aufgrund struktureller Unterschiede bereits in der Ausbildung zu Ungleichbehandlungen führen und sich nachteilig für einen großen Teil der weiblichen Auszubildenden erweisen.“ (S.44). Und auch die IG Metall stellte Anfang des Jahres in ihrer Ausbildungsbilanz fest, dass sich die Ausbildungschancen für junge Frauen verschlechtert haben. Der Grund dafür: Die übermäßige Konzentration der Berufswünsche junger Frauen: bei den klassischen Frauenberufen sei die Bewerberkonkurrenz enorm und Ausweichoptionen scheinen nicht mehr möglich zu sein. Laut der Bilanz wurden im vergangenen Jahr 2.700 weniger Ausbildungsverträge mit Frauen abgeschlossen. Der Anteil aller mit Frauen geschlossenen Ausbildungsverträge erreicht mit 40,7 Prozent einen neuen Tiefpunkt. Dieser Trend setzt sich im Bereich des Handwerks fort. Hier lag der Anteil weiblicher Auszubildender im vergangenen Jahr bei 26,2 Prozent (siehe BiBB-Datenreport 2011). Im Vergleich zu anderen Ausbildungsbranchen stellt diese Quote eine signifikante Unterrepräsentation von Frauen dar. In den technischen Berufen liegt der Frauenanteil sogar nur bei knapp über zehn Prozent, mit fallender Tendenz. Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Kategorie der MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Bei den von jungen Frauen am häufigsten gewählten 25 Berufen fällt nicht einer in diese Kategorie.

Ergänzt man die Situationsbeschreibung durch die Erkenntnisse des Ausbildungsreports der DGB-Jugend, entsteht das erschreckende Bild, dass es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede nicht nur bei der Anzahl der neu abgeschlossenen Verträgen, sondern auch bei der Höhe der Ausbildungsvergütung gibt – zum Nachteil der weiblichen Auszubildenden. Auch leisten junge Frauen deutlich häufiger Überstunden, bekommen diese aber weitaus seltener vergütet oder mit Freizeit ausgeglichen. Des Weiteren stehen ihnen weniger Urlaubstage zur Verfügung und sie können seltener bei deren Terminierung mitreden.

Zum Kampf gegen diese strukturelle Diskriminierung müssen die verstaubten Geschlechterklischees in der Gesellschaft und Arbeitswelt überwunden werden. Der Girls‘ Day ist zwar dahingehend ein Schritt in die richtige Richtung, aber dieser Aktionstag alleine reicht für eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter nicht aus. Dazu muss mehr geschehen. Es ist an der Zeit, auf politischer, unternehmerischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene zu handeln. Junge Frauen – aber auch junge Männer – müssen stärker ermutigt werden, ihr Berufswahlspektrum zu erweitern. Dies kann nur durch das Aufbrechen alter Stereotype gelingen. Typische Frauenberufe müssen systematisch aufgewertet werden. Eine Mindestausbildungsvergütung und ein Recht auf unbefristete Übernahme nach der Ausbildung würden insbesondere jungen Frauen zugute kommen.

linksfraktion.de, 25. April 2012