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Die brandgefährliche AWACS-Entsendung der NATO

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, Sprecherin Internationale Beziehungen, Vizevorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe des Bundestages

Allzu harmlos klingen die Begründungen von Militärpolitikern aus Union und ‎SPD für die geplante Entsendung der ‎AWACS-Luftaufklärer in die ‎Türkei. Es handele sich ja nur um wenige Maschinen. Der Einsatz sei unbewaffnet. Es gehe lediglich um die Überwachung des türkischen Luftraums. Und da es um einen ‎NATO-Einsatz gehe, sei auch kein Mandat des Bundestages erforderlich. Schaut man sich allerdings die Vorgeschichte der Entsendung genau an, wird deutlich, dass der Einsatz äußerst gefährlich ist und diese Begründungen lediglich auf die forcierte Militarisierung der deutschen Außenpolitik durch die große Koalition verweisen. Zudem wird die Mitgliedschaft in den militärischen Strukturen der NATO dazu benutzt, den deutschen ‎Parlamentsvorbehalt im Bezug auf Auslandseinsätze der ‎Bundeswehr auszuhebeln.

Der Abschuss des russischen Militärjets

Am 24. November 2015 hatten zwei türkische Jagdflugzeuge des Typs F-16 einen russischen Militärjet Suchoi Su-24 laut US-Regierungsvertretern über syrischem Territorium abgeschossen. Zur Begründung wurde von türkischer Seite die vorausgegangene Verletzung des türkischen Luftraums durch die russische Maschine angeführt. Dies wird von ‎Moskau bestritten. An der Auswertung des Flugschreibers sind auch britische und chinesische Experten beteiligt. In der Folge stationierte Russland ein modernes Luftabwehrraketensystem S-400 in ‎Syrien. Eigene Kampfeinsätze werden jetzt von russischen Jägern begleitet, um weiteren Attacken durch türkische Kampfjets vorzubeugen. Die Türkei rief zu diesem Vorfall den NATO-Rat an und initiierte eine Sondersitzung am 24. November 2015 und verlegte gleichzeitig weitere Kampfjets an die syrisch-türkische Grenze. Nato-Generalsekretär Stoltenberg verkündete am 1. Dezember 2015 die türkische Luftabwehr von Seiten der NATO angesichts der zunehmenden russischen Militärpräsenz in der Region verstärken zu wollen. Pünktlich zu Beginn der Weihnachtspause am 18. Dezember 2015 informierte die Bundesregierung die OB-Leute des Verteidigungsausschusses und damit nur einen Bruchteil der Abgeordneten des deutschen Bundestages über die geplante Verlegung der AWACS-Einheiten von Geilenkirchen (NRW) ins türkische ‎Konya, einem der so genannten Forward Operating Bases des AWACS-Verbands. Das System dient dazu, Luftziele aller Art vom Kampfflugzeug bis zum Marschflugkörper zu erfassen und zu verfolgen. Die Reichweite beträgt über 460 Kilometer. Damit kann vom türkischen Luftraum aus nahezu das gesamte syrische Territorium überwacht werden und insbesondere alle russische Flugbewegungen. Die Türkei hat als NATO-Mitglied unmittelbar Zugang zu diesen Daten. Angesichts der Vorgeschichte ist die Begründung der Bundesregierung, es drohe keine Gefahr für den Einsatz, schlicht unglaubwürdig. Vielmehr positioniert sich die NATO durch die Entsendung der Aufklärer an die Seite des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in diesem russisch-türkischen Konflikt. Dies bedeutet eine kreuzgefährliche Situation, über die die deutsche Öffentlichkeit von der Bundesregierung hinweggetäuscht wird, nachdem Medien den Einsatz überhaupt erst öffentlich gemacht haben. Die Bundesregierung begibt sich damit in die Hand des Provokateurs Erdogan, der islamistische Terrormilizen in Syrien unterstützt. Selbst der Nachschub für den IS läuft weiterhin über die Türkei. IS-Feldkommandeure werden privilegiert in türkischen Krankenhäusern behandelt. Wer über Waffenlieferungen an islamistische Terrormilizen berichtet, wird wie der Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, von der Erdogan-hörigen Justiz weggesperrt. Wer sich wie die syrische Schwesterpartei der ‎PKK, die ‎PYD, dem ‎IS in Syrien und dem Irak entgegenstellt, wird von ‎Erdogan angegriffen.

Das Schleifen des Parlamentsvorbehalt

Angesichts des sicherheitspolitischen hochbrisanten Kontextes ist es umso bemerkenswerter, dass die Bundesregierung den Deutschen Bundestag entgegen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes nicht über den AWACS-Einsatz abstimmen lassen will. Einer Großen Mehrheit, die diesen Eskalationskurs mitträgt, könnte man sich sowieso im Bundestag sicher sein. Selbst der linke Flügel der SPD orientiert, wie die jüngsten Äußerungen des SPD-Vizes Ralf Stegner eindrucksvoll belegen, auch sicherheitspolitisch 2017 auf eine Koalition mit der ‎FDP. Kriegsbeteiligungen und Auslandseinsätze der Bundeswehr gehören somit zum Credo einer SPD, die unter ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel jede ‎Friedenspolitik an die Wand fährt. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung kurz vor der Weihnachtspause, verweist denn eher auf die durchsichtige Absicht, größere Diskussionen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Diese wären aber mit einer Entscheidung im ‎Bundestag, bei der sich jeder Abgeordnete namentlich bekennen müsste, unabwendbar. Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2008 anlässlich der AWACS-Stationierung im ‎Irak-Krieg in 2003 darf es allerdings als wenig wahrscheinlich gelten, dass die Bundesregierung mit ihrer Strategie des klandestinen Durchwinkens durchkommt.

Militärische NATO-Strukturen

Die AWACS-Entsendung zeigt hier die zentrale Bedeutung der Bundeswehr für die militärischen NATO-Strukturen. So ist ‎Deutschland mit 30% der Soldaten der größte Truppensteller bei den AWACS-Mannschaften. Umgekehrt ist die Einbindung der Bundeswehr in die militärischen Strukturen der NATO wiederum ein entscheidendes Moment bei der weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Denn diese Einbindung garantiert die Beteiligung an der Kriegspolitik der ‎USA und ihren eskalierenden Vorgaben. Ein Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO würde deshalb den friedenspolitischen Spielraum der deutschen Außenpolitik erweitern. Die Nutzung der militärischen Strukturen durch die Bundesregierung den Parlamentsvorbehalt auszuhebeln, verweist jetzt auf die Dringlichkeit eines friedenspolitischen Ausstiegs. Ein Verbleib in den NATO-Strukturen birgt die Gefahr einer in Zukunft noch stärkeren Einbindung der deutschen Außenpolitik in die Frontstellung der US-Administration gegen Russland in einer entideologisierten Neuauflage des Kalten Krieges.

Auch wenn die Kurden dabei zugrunde gehen

Im ersten Weltkrieg sollte das Osmanische Reich im deutschen Militärbündnis gehalten werden, auch wenn die Armenier dabei zu Grunde gehen. Der Kriegsgegner Karl Liebknecht war damals der einzige Abgeordnete, der diese Menschenverachtung des deutschen Imperialismus geißelte. Bei allen Unterschieden, sind Parallelen zur Jetztzeit unverkennbar. Die deutsche Außenpolitik von Union und SPD orientiert auf ein Militärbündnis im Rahmen der NATO mit ‎Ankara, auch wenn dabei die Kurden zugrunde gehen. So springt man mit dem AWACS-Einsatz einem Regime in der Türkei zur Seite, das dabei ist das Land in eine islamistische Präsidialdiktatur zu verwandeln. Der türkische Staatspräsident Erdogan führt einen regelrechten Krieg gegen die Kurden im eigenen Land unter dem Vorwand einer Bekämpfung der PKK. Ganze Städte im Südosten der Türkei werden abgeriegelt. Viele Zivilisten, Frauen, Kinder und ältere Männer werden getötet. Wer es wagt, wie der Vorsitzende der Oppositionspartei ‎HDP, Selahattin Demirtas, Forderungen nach mehr Selbstbestimmung zu stellen, wird mit Strafverfahren überzogen mit dem Ziel ihn lebendig im Gefängnis zu begraben. Gerade in einer solchen Situation machen sich Union und SPD zum Komplizen der Terrorherrschaft Erdogans. Statt Erdogan mit dem AWACS-Einsatz zur Seite zu springen, muss die Bundesregierung endlich ihre Waffenlieferungen und Finanzhilfen zur Flüchtlingsabwehr an Erdogan einstellen. Die Öffnung weiterer ‎EU-Beitrittskapitel mit der Türkei verbietet sich angesichts von Erdogans Bürgerkrieg gegen die Kurden und seiner Unterstützung islamistischer Terrormilizen von selbst.