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"Die angekündigten 200 Millionen Euro reichen nicht aus"

Im Wortlaut von Birgit Wöllert,

 

Birgit Wöllert, für DIE LINKE Mitglied im Gesundheitsausschuss, spricht im Interview mit Deutschlandfunk über das Palliativgesetz der Bundesregierung.

 

Tobias Armbrüster: Die sogenannte Palliativ-Medizin wird bei uns in Deutschland immer wichtiger, vor allem auch deshalb, weil die Bevölkerung immer älter wird. Palliativ-Medizin, das beschreibt die möglichst schmerzfreie Sterbebegleitung von Patienten in den Monaten und auch in den Jahren vor ihrem Tod. Jetzt will die Bundesregierung diesen noch relativ neuen Bereich der Medizin weiter ausbauen und finanziell fördern. Darauf hat sich heute das Kabinett in Berlin verständigt.

Am Telefon ist jetzt Birgit Wöllert, Gesundheitsexpertin der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Sie sitzt dort auch im Gesundheitsausschuss. Schönen guten Tag, Frau Wöllert.

Birgit Wöllert: Guten Tag.

Armbrüster: Frau Wöllert, wird das Sterben in Deutschland jetzt leichter gemacht?

Wöllert: Ob das Sterben leichter gemacht wird in Deutschland, das möchte ich jetzt mal nicht so stehen lassen, weil Sterben ist ja ziemlich individuell. Das ist für jeden sehr unterschiedlich. Auf jeden Fall werden die politischen Rahmenbedingungen für Sterbebegleitung etwas weiter verbessert.

Armbrüster: Und dagegen ist ja eigentlich auch von Ihrer Seite, auch von Seiten der Opposition sicher wenig zu sagen, oder?

Wöllert: Nein, da ist überhaupt nichts gegen zu sagen, die Rahmenbedingungen für die Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden zu verbessern. Das bedeutet ja auch, die Rahmenbedingungen für die Menschen, die das leisten sollen, zu verbessern, und da denke ich, dass dieser Gesetzentwurf schon in die richtige Richtung geht, aber noch nicht ausreichend ist.

Armbrüster: Das müssen Sie uns erklären. Was reicht denn nicht?

Wöllert: Es gibt da eine ganze Menge, wo wir sagen, erstens mal ist es finanziell noch nicht ausreichend. Die 200 Millionen werden nicht reichen, wenn wir tatsächlich eine flächendeckende Palliativ- und Hospiz-Versorgung anstreben wollen und erreichen wollen. Es beinhaltet Weiterbildung, es beinhaltet Zuschläge für Personal, was zusätzlich eingestellt und geschult werden muss, es beinhaltet Sachkosten, die finanziert werden müssen, um tatsächlich eine Sterbebegleitung und Palliativ-Versorgung zu sichern. Dieser ganze Umfang, dazu reichen die angekündigten 200 Millionen Euro nicht.

"Wir sagen auch, woher das Geld kommen kann"

Armbrüster: Nun ist so was natürlich immer eine sehr wohlfeile Haltung der Opposition, einfach zu sagen, es ist gut, aber es müsste eigentlich noch mehr sein.

Wöllert: Nein, das ist nicht nur eine wohlfeile Haltung, weil wir denken, in dieser reichen Gesellschaft ist das Geld da. Wir sagen durchaus auch, wo dieses Geld herkommen kann. Ich glaube, es wäre auch eine wohlfeile Haltung, zu den Menschen zu sagen, wir verbessern das jetzt grundlegend, und es ist dann nachher nicht so. Es kann dann vor Ort nicht geleistet werden, weil schlicht und einfach zum Beispiel in den Pflegeeinrichtungen, wo es dringend notwendig ist, Veränderungen herbeizuführen, damit auch dort palliative Arbeit möglich ist. Das Geld ist nicht da und die Zeit ist dann wieder nicht da und diejenigen, die Pflege leisten sollen, arbeiten unter Druck, und wer unter Druck arbeitet, kann keine Zuwendung leisten. Das ist schlicht und einfach so. Deshalb gehört das beides zusammen.

Armbrüster: Jetzt sagt die Bundesregierung, 200 Millionen Euro mehr stecken wir da rein, wir stocken die Mittel auf von 400 auf 600 Millionen. Was sagt die Linkspartei, wieviel hundert Millionen Euro sollten es mehr sein?

Wöllert: Wir haben uns jetzt gar nicht festgelegt erst mal auf eine Summe von wie viel soll es mehr sein, weil ich denke, es muss erst mal inhaltlich gesagt werden, was wir wollen. Und da möchten wir auf jeden Fall, dass jeder Mensch auch im Heim den Anspruch hat auf einen Hospiz-Platz, was ja jetzt gegenwärtig noch nicht gewährleistet ist, dass der Anspruch auf Weiterbildung, auf Qualifizierung, damit palliative Arbeit geleistet werden kann, finanziert wird, dass es eine Personalbemessung gibt und dann auch die Kosten für das Personal refinanziert werden. Das muss man jetzt erst mal erfassen, was ist alles ganz genau notwendig, und dann muss man sagen, so wollen wir das finanzieren. Es gibt ja schon Stellungnahmen, wo ausgerechnet wurde, dass allein die Mehrausgaben, die jetzt geplant sind für die Hospiz-Arbeit für Heimbewohner(innen), Mehrausgaben sind von 60 Millionen Euro, die nicht durch das Gesetz abgedeckt sind. Ich nehme nur mal diesen einen Punkt heraus.

"Palliativ-Betreuung noch nicht überall angekommen"

Armbrüster: Jetzt haben viele ja den Eindruck, diese Palliativmedizin ist relativ neu, auch wenn natürlich schon sehr lange daran geforscht wird. Was ist denn Ihr Eindruck? Ist diese neue Disziplin in der Medizin überall in den Krankenhäusern angekommen? Ist das ein System, und die Grundsätze, die dahinter stecken, sind die schon in unserem Gesundheitssystem drin?

Wöllert: Die sind noch nicht drin. Ich kann Ihnen das an einem ganz konkreten Beispiel jetzt erläutern. Ich war am Montag im Stadthospiz in Cottbus und habe dort auch eine Frau besucht, die schwer krebskrank ist und in der letzten Phase ihrer Krankheit und die sehr alleine ist, weil sie keine näheren Angehörigen mehr hat. Ihre Wohnung war ursprünglich nicht in Cottbus. Sie muss ins Krankenhaus. Sie fühlt sich sehr umsorgt in diesem Stadthospiz, das ist alles toll in Ordnung. Ihr graust es aber immer, wenn sie zurück muss ins Krankenhaus für die Chemotherapie. Da muss sie nämlich immer hintransportiert werden. Dort ist der Abbruch, weil da sind Wartezeiten für sie, das ist eine völlig andere Behandlung. Das war für mich so ein deutlicher Hinweis, dass es noch nicht durchgängig ist, dass der Mensch, der Palliativ-Betreuung braucht, sie an allen Stellen hat, wo mit ihm gearbeitet wird.

Armbrüster: Das heißt, Sie sagen, viele Krankenhäuser sind eigentlich auf diese Palliativ-Patienten gar nicht eingestellt?

Wöllert: Die sind nicht auf die Palliativ-Patienten eingestellt. Das ist auch nicht Schuld der Krankenhäuser, weil die Krankenhäuser haben ja jetzt schon damit zu tun, wie sie ihre Pflege organisieren. Insgesamt wurden in Deutschland im Pflegebereich Arbeitskräfte abgebaut noch und nöcher, obwohl sich die Arbeit verdichtet hat durch die kürzeren Liegezeiten. Jetzt kommt die Palliativ-Betreuung und Palliativ-Versorgung dazu. Wie sollen das die Pflegekräfte in den Krankenhäusern auch leisten können?

"Hospiz und Krankenhaus sind nicht miteinander zu vergleichen"

Armbrüster: Ist denn die Trennung in Krankenhäuser und Hospize, ist die überhaupt sinnvoll?

Wöllert: Ja. Ich denke, ein Krankenhaus und ein Hospiz ist noch mal was ganz anderes. Ich weiß nicht, ob Sie Hospize kennen. Wenn man in einem Hospiz gewesen ist, ist das auch eine völlig andere Einrichtung als eine Pflegeeinrichtung. Dort sind Menschen, die wissen, dass sie nicht mehr lange zu leben haben. In dem Hospiz, wo ich war, ist die durchschnittliche Verweildauer 36 Tage. Ihnen wird aber alles möglich gemacht, was für sie noch zu Qualität am Leben gehört. Ein Patient, der kam mir entgegen, fuhr auf den Balkon, um seine Zigarette zu rauchen zum Beispiel. Sie dürfen ihr Bier dort trinken, wenn sie Appetit darauf haben. Das sind jetzt nur ein paar Sachen. Das Ganze ist nicht eingerichtet wie ein Krankenhaus.

Armbrüster: Also ein etwas entspannterer Umgang mit den Patienten?

Wöllert: Es ist völlig entspannt. Es ist überhaupt nicht zu vergleichen. Die Pflegekräfte, die Betreuung ist anders. Es sind viele Ehrenamtler dort in den Hospizen. Es gibt eine enge Vernetzung an diesem Hospiz, wo ich war, mit ambulanten Fachärzten, mit Onkologen. Die sind zum Teil unten im Haus mit ihren Praxen, mit Pflegedienst und Reha-Einrichtung.

Armbrüster: Frau Wöllert, ich bin mir sicher, wir könnten noch sehr lange über dieses Thema sprechen, was sicher auch viele unserer Hörer sehr interessiert, und wir bleiben natürlich daran, auch weil dieses Gesetz jetzt natürlich weiter behandelt wird und weiter in die Schlagzeilen gerät. Ich danke Ihnen erst mal vielmals bis hierher. - Das war Birgit Wöllert, Gesundheitsexpertin bei der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Schönen Tag noch.

Wöllert: Danke schön! Gleichfalls.

 

Deutschlandfunk, 29. April 2015

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