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»Dialog ist immer besser«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Warum DIE LINKE den Merkel-Besuch in der Türkei kritisiert, aber mit Steinmeier nach Saudi-Arabien und in den Iran fährt. Ein Gespräch mit Sevim Dagdelen

 


Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier war als »Brückenbauer« gerade zu Gesprächen in Teheran und Riad. Zur Lösung des Syrien-Konflikts müssten die regionalen Akteure eingebunden werden, heißt es seitens der Bundesregierung. Ist das der richtige Ansatz, und wird das in den beiden Hauptstädten auch so gesehen?

Sevim Dagdelen: In Riad wurde klar, dass die saudische Seite nicht an einer politischen Lösung des Syrien-Konflikts interessiert ist. Das Königshaus setzt weiterhin auf eine Bewaffnung islamistischer Terrormilizen, vor allem des syrischen Al-Qaida-Ablegers: der Al-Nusra-Front. Die wird im Zuge der russischen Luftangriffe neuerdings als »moderate« Rebellengruppe bezeichnet, deren Protektion man sich hierzulande auf die Fahnen schreibt.

War das Agieren des Westens im Syrien-Konflikt, vor allem die Waffenhilfe der USA für die Aufständischen, bei den Gesprächen eigentlich auch Gegenstand?

Die Rolle der USA wurde völlig ausgeblendet. Wie auch eine Verantwortung des Westens für die Zuspitzung des Konflikts. Dabei ist klar: Ohne grünes Licht aus Washington könnten Saudi-Arabien, Katar und die Türkei ihre Schützlinge der Al-Qaida und der Ahrar Al-Scham nicht unterstützen. Die USA setzen offenbar auf eine Verlängerung des Bürgerkrieges in Syrien. Anders sind die Lieferungen panzerbrechender Waffen an islamistische Terrormilizen durch ihre Verbündeten gar nicht zu erklären. Auch hier spielen die Saudis wiederum eine entscheidende Rolle. Der Weg zum Frieden in Syrien führt über Riad.

DIE LINKE hatte in der vergangenen Woche Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, angesichts des autokratischen Agierens von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihre Türkei-Reise abzusagen. Sie selbst haben Steinmeier in zwei Länder begleitet, die nicht gerade Leuchttürme der Demokratie sind. Formulieren Sie damit nicht doppelte Standards für die deutsche Diplomatie?

Nein, DIE LINKE hat den Zeitpunkt der Reise Merkels kritisiert. Zwei Wochen vor den türkischen Parlamentswahlen kam ihr Auftritt in Istanbul einer Wahlhilfe für den Despoten Erdogan und seine AKP gleich. Dazu kommt allerdings auch, dass Merkel Erdogan für die Flüchtlingsabwehr einspannen will und dafür bereit ist, entsprechende Gegenleistungen zu gewähren, wie die Anerkennung der Türkei als sicheres Herkunftsland. Generell gilt, dass auch Gespräche in Ländern wie der Türkei, dem Iran oder Saudi-Arabien Sinn machen. Es war ja auch falsch, dass Deutschland zwecks Regime-Change die diplomatischen Beziehungen zu Syrien gekappt und seitdem keinen Kontakt hat. Dialog ist immer besser.

Inwiefern kamen der Krieg Saudi-Arabiens gegen Jemen und die innenpolitische Lage im haschemitischen Königreich zur Sprache?

Es gab eine ganz skurrile Situation in Saudi-Arabien. Teil des Besuchsprogramms waren ebenfalls Treffen mit der saudischen Marionettenregierung des Jemen, die in Riad residiert. Auch bei einem Gespräch mit dem Generalsekretär des Golfkooperationsrats stand das saudische Bombardement des Nachbarlands Jemen auf der Agenda. Auf meine Fragen nach Zahlen ziviler Opfer und der Zusammenarbeit der Saudis mit Al-Qaida im Jemen bekam ich keine Antwort. Im übrigen hieß es, zivile Opfer bei den saudischen Luftangriffen gäbe es nicht.

Sind Sie mit Ihrer Forderung nach Freilassung von Ali Al-Nimr durchgedrungen? Der heute 20jährige wurde 2012 in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt und soll geköpft und gekreuzigt werden.

Nachdem das Auswärtige Amt mir meinen Besuchswunsch bei Ali Al-Nimr versagt hatte, habe ich beim Besuch des Schurarates den horrenden Anstieg von Hinrichtungen allgemein und konkret die Fälle Raif Badawi sowie Ali Al-Nimr und den seines Onkels Nimr Al-Nimr, des höchsten schiitischen Geistlichen des Landes, angesprochen. Die Reaktionen waren haarsträubend. Die Vorwürfe würden allesamt nicht stimmen, bei Ali würde das Verfahren noch laufen, der übrigens mit 17 in Saudi-Arabien schon volljährig sei. Und außerdem würde man darauf verzichten, Mädchen hinzurichten und vollstrecke solche Urteile bei Frauen nur in seltenen Fällen. Und überhaupt wären das keine politischen Gefangenen, sondern Terroristen, und Mörder müssten halt getötet werden.

Wie kann man von der BRD aus auf Saudi-Arabien einwirken?

Neben den diplomatischen Gesprächen muss es um eine grundlegende Wende in der deutschen Saudi-Arabien-Politik gehen. Die Bundesregierung muss endlich Rüstungsexporte an das absolutistische Königshaus unterbinden. Denn die Unterdrückung, wie der Krieg gegen den Jemen, findet mit deutschen Waffen statt. Wer wirklich Fluchtursachen bekämpfen will, der muss die Unterstützung für das saudische Herrscherhaus einstellen, das den islamistischen Terror in Syrien, im Jemen und anderen Teilen der Region fördert.

Interview: Rüdiger Göbel


junge Welt, 21. Oktober 2015