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Deutschland zieht in einen Vielfrontenkrieg

Im Wortlaut von Jan van Aken,

 

Von Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Der Vorsitzende des Bundeswehrverband hat ausgesprochen, was jetzt auf uns zukommt: ein mehr als zehnjähriger Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat (ISIS). Die Parallelen zu Afghanistan sind unübersehbar. Auch dort wurde ein "Krieg gegen den Terror" geführt, der militärisch nicht zu gewinnen war und der über die Jahre immer weiter eskalierte.

In Afghanistan begann es mit einer kleinen Bundeswehrtruppe, die nur – "ganz friedlich" – rund um Kabul eingesetzt werden sollte. Am Ende waren fast 5.000 BundeswehrsoldatInnen im Einsatz, es gab viele, viele Tote auf allen Seiten – vor allem in der afghanischen Zivilbevölkerung. Es dauerte Jahre, bis die Bundesregierung und die NATO öffentlich eingestanden, dass die Taliban militärisch nicht zu besiegen sind.

Grausame Vorstellung: Vielfrontenkrieg im Nahen Osten

Als hätte man aus Afghanistan nicht wenigstens diese eine Lektion gelernt, wird jetzt, wie nach den Anschlägen vom 11. September 2001, erneut zum Krieg gegen den Terror gerufen.

Ein Unterschied zu Afghanistan macht die Sache heute allerdings noch gefährlicher: In Syrien kämpfen die unterschiedlichsten staatlichen und nicht-staatlichen Akteure mit ihren je eigenen Interessen. Die USA wollen das ungeliebte Assad-Regime ersetzen, nicht zuletzt auch um den Iran weiter zu isolieren. Russland unterstützt hingegen Assad, Saudi Arabien und Katar wollen Syrien zu einem wahabitisch dominierten Staat gewandelt wissen und unterstützen dafür radikalislamistische Milizen in Syrien, und die Türkei hat den Kampf gegen Assad und gegen die KurdInnen zur Priorität gemacht. Im Zweifelsfall schießen diese Akteure sich eher gegenseitig vom Himmel, als dass sie gemeinsam vorgehen. Hier begibt sich Deutschland nicht nur in einen langen, blutigen und aussichtslosen Krieg gegen ISIS, sondern mitten in einen Vielfrontenkrieg im Nahen Osten – eine grausame Vorstellung.

Die Demagogen aushebeln

Wenn die Bundesregierung wirklich solidarisch an der Seite Frankreichs und aller Opfer von Terror und Gewalt stehen möchte, dann muss sie ISIS dort angreifen, wo er verwundbar ist: am Geld, am Zufluss von Kämpfern und Waffen, und ideologisch.

Gerade letzteres ist zentral wichtig, wenn ISIS und die anderen Djihadisten nachhaltig getroffen werden sollen: Sie leben von der Erzählung, dass der Westen einen "Kreuzzug" gegen Muslime in aller Welt führt. Deshalb ist jede Bombe auf Rakka, jeder neue Kriegseintritt eines europäischen Landes, auch Wasser auf ihre Mühlen. Um diese Demagogen langfristig auszuhebeln, dürfen wir eben nicht den Fehler von Hollande mitmachen, jetzt einen weiteren Krieg gegen den Terror auszurufen. Jede Bombe, die jetzt auf Rakka fällt, wird ISIS neue Kämpfer in die Hände treiben.

Wenn die Bundesregierung wirklich solidarisch an der Seite aller Opfer von Terror und Gewalt stehen will, muss sie sich von denen distanzieren, die den ISIS-Terror indirekt oder direkt unterstützen: die Türkei, die deren Ölhandel nicht unterbindet und Kämpfer samt Waffen ungehindert nach Syrien zu ISIS einreisen lässt; Katar und Saudi Arabien, aus deren Ländern Geld und ideologische Unterstützung an die Djihadisten fließen.

Deutschland sollte für Deeskalation werben

Vor allem aber muss die Bundesregierung sich endlich mit ihrer eigenen Verantwortung auseinandersetzen und Konsequenzen für eine andere Politik daraus ziehen. Der "Islamische Staat" ist unter den Bedingungen des Krieges entstanden und konnte erst in dem andauernden Krieg der westlichen Welt gegen den Terror auf seine heutige Stärke anwachsen. Anstatt sich indirekt oder direkt an Kriegen zu beteiligen, sei es mit Waffen oder mit Bundeswehrsoldaten, sollte Deutschland für Deeskalation werben.

Eine deutsche Beteiligung am Krieg in Syrien darf es deshalb ebenso wenig geben wie weitere Waffenlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten. Die jüngsten Forderungen des Bundeswehrverbandes nach mehr Soldaten und mehr Kriegsgerät müssen ebenso zurückgewiesen werden. Wir brauchen nicht mehr Waffen und Militär, sondern viel weniger.

linksfraktion.de, 1. Dezember 2015