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Deutsche Hausaufgaben für eine Zukunft der EU

Kolumne von Axel Troost,

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
 

 

 

 

Hat Europa eine Zukunft links von neoliberal? Diese Frage ist nach den Beschlüssen der vergangenen Woche mehr als ernst. Welches positive Bild von Europa können wir uns nach der Selbstkastration der Demokratie durch den Fiskalpakt und nach dem noch breiteren roten Teppich, den die EU-Staaten den kriselnden Banken ausgelegt haben, überhaupt noch machen?

Die vier Spitzenfunktionäre der EU – Ratspräsident Van Rompuy, Kommissionschef Barroso, EZB Präsident Draghi und Euro-Gruppen-Chef Juncker – haben letze Woche beim EU-Gipfel ihre „Vision“ vorgestellt, wo sie die EU in zehn Jahren gerne sehen würden. Bezeichnenderweise findet sich darin nicht visionäres, sondern nur eine Verstetigung des technischen Krisenmanagements bei gleichzeitiger Stärkung der europäischen Ebene: Eine schärfere Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB, eine gemeinsame EU-Einlagensicherung, gemeinschaftliche Abwicklungsverfahren für kaputte Banken und noch mehr Nachdruck, die im Zuge der Euro-Krise verschärften neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken durchzusetzen (neben Fiskalpakt u.a. der Euro-Plus-Pakt und die Vorgaben des Europäischen Semesters).

All das vermag niemanden in Europa zu begeistern. Noch schlimmer: von ein paar Fachleuten abgesehen wird sich in der Bevölkerung wohl kaum jemand überhaupt über die präsentierte Technokraten-Vision aufregen oder eine mangelhafte Vorstellungskraft beklagen. Der Grund ist traurig und ernüchternd: Die Idee Europa ist für die Mehrheit der Menschen in Europa inzwischen so beliebt wie die Vogelgrippe.

Den Deutschen wurden von Regierung und fast der gesamten Medienlandschaft die Südländer Europas und ihre vermeintlich unfähigen oder unwilligen Einwohner als Fass ohne Boden für den deutschen Steuergroschen ins Hirn eingebrannt. Im Rest Europas hingegen wird Europa zunehmend mit der von Deutschland in sehr dominanter Weise durchgesetzten EU-Spardoktrin, mit einem Ende vom sozialem Fortschritt gleichgesetzt.

Man kann das Krisenmanagement der europäischen Eliten in vielfältiger Weise kritisieren. Am schlimmsten ist wohl, dass sie alles unternommen haben, um in der Krise jede Chance für ein gemeinsames Gefühl von „Wir in Europa“ im Kein zu ersticken. Vor der Krise war Brüssel ein Ort für Bürokraten, von denen sich die breite Bevölkerungsmehrheit gelangweilt abgewendet hat. Heute hingegen ist Brüssel zum Hassobjekt, zum Kristallisationspunkt politischer Frustration geworden. Dieses Versagen der Eliten ist umso augenfälliger, als wir zu Beginn der Finanzkrise auf globaler Ebene genau das Gegenteil erlebt haben. Ohne lange Diskussionen rauften sich die Regierungen der bis dahin zerstrittenen Industrie- und Schwellenländer zu einem politikfähigen G20-Prozess zusammen und brachten damit auf dem Höhepunkt der Weltwirtschafts- und Finanzmarktkrise 2008 deutlich zum Ausdruck: „Wir haben verstanden. Wir machen das nicht wie 1929, als jedes Land die Folgen der Weltwirtschaftskrise durch nationale Egoismen und chauvinistische Rhetorik auf seine Nachbarländer abwälzen wollte.“ Von dieser historisch sehr weisen Analyse ist innerhalb Europas, das im Gefolge von 1929 dann zum zentralen Schauplatz des Krieges wurde, nichts geblieben. Überall dominiert die Stimmungsmache gegen den Rest Europas.

Und? Was tun wir als LINKE dagegen? Wenig! Nicht wenige in unseren Reihen fühlen sich durch die Entwicklung in ihrem Urteil bestätigt, Europa sei schon immer ein Projekt der Reichen und Konzerne gewesen und es sei geradezu begrüßenswert, dass sich nun endlich Bevölkerungen überall gegen dieses Projekt stemmen.

Andere halten es hingegen – Krise hin oder her – für selbstverständlich, dass ein internationales Projekt wie Europa doch auch irgendwie etwas internationalistisches, etwas völkerverbindendes ist, dem man sich nicht verweigern kann.

Wir müssen mit diesem bislang weitgehend stillschweigenden Widerspruch offen umgehen lernen und einen Kompromiss suchen. Wer, wenn nicht wir als Friedenspartei, soll denn die vorsichtigen Stimmen verstärken, die vor einem gefährlichen, feindseligen Erosionsprozess der EU warnen.

Es reicht nicht mehr, „Hoch die Internationale Solidarität“ zu skandieren. Wir müssen sie konkret durchbuchstabieren und den Menschen vor Ort hier erklären, dass das Beste, was Ihnen und Europa derzeit passieren kann, ein grundlegender Politikwechsel in Deutschland ist.

Tatsächlich hat sich zwischen Deutschland und dem Rest der Euro-Zone ein immer größeres Wettbewerbsgefälle entwickelt. Dieses Gefälle lässt sich aber auch auf sozial akzeptable Weise einebnen: Statt in Europa nach dem Vorbild der deutschen Agenda 2010 den Klassenkampf von oben zu betreiben, wäre es für die überwiegende Mehrzahl der europäischen einschließlich der deutschen Bevölkerung viel attraktiver, in Deutschland höhere Löhne, Sozialleistungen und Renten zu bezahlen. Ob Griechen nun ein Viertel weniger oder die Deutschen ein Viertel mehr verdienen, die Tendenz der Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit ist dieselbe. Höhere Löhne und Sozialleistungen in Deutschland statt Kaputtsparen und Lohndrücken in Spanien, Italien, Portugal und Griechenland. Warum soll sich für diese objektiv attraktive Perspektive in Deutschland und in Europa keine Mehrheit finden lassen?

Über diese positive Vision von Europa muss in Deutschland ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt werden – in der Politik und Wissenschaft, in den Kapitalverbänden aber auch bei den Industriegewerkschaften. Parallel müssen wir natürlich das Dominanzverhalten der Merkels und Röslers in Europa zu ausbremsen, auch dies ein Aufgabe im Inland. Wenn wir in diesem Sinne beweisen, dass Politik im Deutschland handlungsfähig sein kann und Demokratie möglich ist, dann können wir auch glaubwürdig mehr Demokratie für Europa – ein echtes Europaparlament und europäische Volksabstimmungen – fordern.

Mehr Demokratie in Europa muss aber auf mehr politische Partizipation und auf einen bunteren Ideenwettbewerb auf nationaler Ebene gegründet sein. Die europapolitisch neoliberale Einheitspartei CDU-CSU-SPD-FDP-Grüne kann nur mit der LINKEN aufgebrochen werden. Wir haben viel zu tun für Europa. Fangen wir damit vor der eigenen Haustüre an.