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»Der Status quo wird zementiert«

Im Wortlaut von Sabine Zimmermann,

Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, im Interview über das "Rentenpäckchen" von Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) und die Untätigkeit der Großen Koalition, wenn es um grundlegende Probleme wie Altersarmut geht

 


Am Donnerstag tritt Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) im Plenum an, um ihr "Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz“ vorzustellen. Was ist drin und dran an diesem Wortungetüm?

Sabine Zimmermann: Es geht um Änderungen in vier Bereichen. Langjährig Versicherte sollen in Zukunft nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen können. Im Rahmen der sogenannten Mütterrente ist beabsichtigt, dass für vor 1992 geborene Kinder ein weiteres Jahr für die Erziehungsleistung bei der Rente angerechnet wird. Bei der Erwerbsminderungsrente soll die so genannte Zurechnungszeit um zwei Jahre verlängert werden. Das heißt, dass das Einkommen von Erwerbsminderung Betroffener für zwei weitere Jahre berücksichtigt wird, als ob sie diese Zeit noch gearbeitet hätten. Außerdem ist geplant, die letzen vier Jahre vor der Erwerbsminderung bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrente nicht zu berücksichtigen, wenn sie deren Höhe schmälern würde. Mit der Einführung einer so genannten Demografiekomponente soll der finanzielle Mehrbedarf für Rehabilitationsmaßnahmen ausgeglichen werden, da die geburtenstarken Jahrgänge zunehmend in das rehabilitationsintensive Alter ab 45 Jahren kommen.       

Sind das echte Verbesserung oder handelt es sich nur um Reperaturen?

Es handelt sich bei den Maßnahmen schon um Verbesserungen, die aber leider viel zu zaghaft sind und auch nur einen Teil der Versicherten betreffen. Die grundsätzlichen Probleme werden mit diesem Rentenpaket nicht angegangen – zunehmende Altersarmut, nicht mehr existenzsichernden Renten oder dass Menschen immer länger arbeiten sollen, obwohl es für viele Ältere gar keine Arbeit gibt oder viele Beschäftigte gesundheitlich dazu nicht in der Lage sind.  Immer mehr Bezieherinnen und Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten liegen mit ihrer Rentenhöhe unter dem Grundsicherungsniveau. Und immer mehr Beschäftigte haben Angst, im Alter zum Sozialfall zu werden. Das sind die zentralen Fragen für viele Menschen, auf die die Bundesregierung aber keine Antworten gibt.    

Unter der Ägide von Franz Müntefering kam die Rente erst mit 67, jetzt mit Andrea Nahles die Rente ab 63 für langjährige Versicherte. Ist das nicht die lange von der LINKEN geforderte Korrektur?

Nein, davon kann keine Rede sein, obwohl die Rente ab 63 für einen Teil der Beschäftigten natürlich positiv ist. Die Rente ab 63 wird aber nur von kurzer Dauer sein, sie gilt in der Form nur für die Jahrgänge 1951-1953, dann wird aus ihr schrittweise wieder die Rente ab 65, die bereits entsprechend der derzeitigen Regelungen nach 45 Jahren Wartezeit möglich ist. Somit bleibt es grundsätzlich bei der Rente erst ab 67. Bitter ist auch, dass bei der Rente ab 63 nur kurzzeitige Phasen der Erwerbslosigkeit berücksichtigt werden, somit Langzeiterwerbslose wieder einmal benachteiligt sind. Für DIE LINKE bleibt es natürlich bei der Forderung nach der Abschaffung der Rente erst ab 67, da sie nichts anderes als eine Rentenkürzung ist.     

Drohende Altersarmut beschäftigt immer mehr Menschen – zunehmend auch aus der Mittelschicht. Welche Antwort hat die Große Koalition darauf?

Diese Problematik wird vollständig ignoriert. Die Leistungsverbesserungen des Rentenpaketes werden sogar dazu führen, dass das Rentenniveau weiter sinkt, weil Leistungsverbesserungen über die so genannten Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel sich negativ auf das Rentenniveau auswirken. Wir fordern deshalb: Weg mit den Kürzungsfaktoren!

Erst kam die Teilprivatisierung der Rente, dann die Absenkung des Rentenniveaus der gesetzlichen Rente. Wie ist es zu schaffen, dass die gesetzliche Rente wieder existenzsichernd ist?

Unter anderem muss das Rentenniveau wieder angehoben werden, auf mindestens 53 Prozent. Momentan liegt es nur noch bei knapp 48 Prozent. Damit die Rente wieder zum Leben reicht, bedarf es aber nicht nur einem Umsteuern in der Rentenpolitik, sondern insbesondere auch in der Arbeitsmarktpolitik. Dass die Renten nicht mehr zum Leben reichen, liegt natürlich auch an zu niedrigen Löhnen. Immer öfter erwartet Menschen, die ein Leben gearbeitet haben, nur eine Rente auf oder sogar unter Sozialhilfeniveau. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, muss endlich der ausufernde Niedriglohnsektor bekämpft werden. Die nun vorgelegten Planungen zum Mindestlohn werden aber nicht ausreichen, damit Arbeit und auch die Renten wieder existenzsichernd werden. Dafür gibt es zu viele Ausnahmen und mit 8,50 Euro ist der Mindestlohn einfach zu gering bemessen. Mindestens 10 Euro müssen es sein, damit man damit im Alter über die Grundsicherung kommt. Das hat uns sogar die Bundesregierung bestätigt. 

Zum Rentenpaket gehört auch die Mütterrente. Wer hat was davon und wie gerecht ist sie?

Es ist nicht nachvollziehbar, warum es für Kinder vor 1992 nur zwei Entgeltpunkte geben soll und keine Angleichung an die drei Entgeltpunkte für nach 1992 geborene Kinder. Zudem resultiert aus dem niedrigeren Rentenwert im Osten auch eine geringere Mütterrente für ostdeutsche Eltern, somit kommt es ein weiteres Mal zur Benachteiligung von ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern. Es kann nicht sein, dass die Erziehungsleistung der Eltern in Ost und West unterschiedlich bewertet wird.

Die Finanzierung der Mütterrente war schon vor der Bundestagswahl Thema. Andrea Nahles warf in ihrer Rede Anfang September vergangenen Jahres der Bundesregierung vor: "Sie greifen in die Sozialkassen. Ich glaube, dass Sie das machen werden!" Macht es Frau Nahles besser?

Zur Finanzierung der Mütterrente haben wir nun den Griff in die Kasse der Rentenversicherung. Diese Form der Finanzierung halten wir für grundfalsch. Als familienpolitische Leistung muss die Mütterrente aus Steuermitteln finanziert werden, so wie dies seit Einführung der Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung auch der Fall gewesen ist, und darf nicht der Rentenversicherung Geld entziehen.

Vor der Wahl wollte die SPD Steuererhöhungen für Bessergestellte, nun sitzt die SPD in einer Großen Koalition mit der Union, die das um jeden Preis verhindern wollte. Wo fehlt der Gesellschaft jetzt das Geld?

An allen Ecken und Enden könnte man jetzt salopp sagen. Aber mit der Finanzierung der Mütterrente haben wir ein konkretes Beispiel dafür, wofür man mehr Steuereinnahmen gebraucht hätte, um eine gesellschaftliche Leistung sachgerecht zu finanzieren. Im gesamten sozialen Bereich fehlt Geld, um Reformen anzupacken, ob es um die Unterstützung von Erwerbslosen geht, eine Mindestsicherung jenseits von Hartz IV und so weiter. Oder schauen wir uns die Unterfinanzierung des Gesundheits- und Pflegebereiches an und des Bildungs- und Erziehungssystems. Kurzum: Es wäre sinnvoll, wenn die, die wesentlich mehr leisten können, dies auch für die Allgemeinheit in Form höherer Steuern tun würden.     

Was erwarten Sie aus sozialpolitischer Sicht noch von dieser Koalition?

Grundlegende und tiefgreifende Verbesserungen werden von dieser Regierung leider nicht zu erwarten sein. Der Status quo wird zementiert und in vielen Bereichen wird es ein Weiter so geben. Wie bei den Renten werden notwendige Reformen nicht angegangen. Die Höhe der Hartz IV-Regelsätze und das Sanktionssystem werden unangetastet bleiben. Die SPD hat sich von vielen ihrer Ideen aus dem Wahlkampf verabschiedet. So hat sie die Forderung nach einem sozialen Arbeitsmarkt ganz aufgegeben, ebenso wie die nach einer BürgerInnenversicherung für das Gesundheitssystem. Insgesamt ist zu befürchten, dass sich die sozialen Probleme weiter verschärfen werden.


linksfraktion.de, 2. April 2014