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Der Staat hat am meisten zu verbergen

Im Wortlaut von Jan Korte,

Auch wer "nichts zu verbergen" hat, ist vor Geheimdiensten nicht sicher

Foto: iStockphoto.com/Inkout

 

 

Von Jan Korte, Vorstandsmitglied, Datenschützer und für DIE LINKE Mitglied im Innenausschuss des Bundestages
 
 

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass David Miranda, der Partner des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald, neun Stunden am Londoner Flughafen Heathrow verhört wurde. Als rechtliche Grundlage dafür wurde das britische Terrorismusgesetz genannt, welches Sicherheitsbehörden erlaubt, Personen an Grenzen und Flughäfen festzuhalten und zu befragen. Und das, obwohl vermutlich selbst der britische Geheimdienst GCHQ weder Snowden, noch Greenwald oder Miranda als Terroristen bezeichnen würde. Der Vorfall verdeutlicht, wie wenig Bürgerrechte und Pressefreiheit zählen, wenn Regierungen und Geheimdienste vermeintliche Sicherheitsinteressen durchsetzen wollen.

Doch man muss nicht zum Bekanntenkreis von Edward Snowden gehören, um auf dem Weg in den Urlaub festgesetzt zu werden. Wie etwa im Fall zweier irischer Touristen: Da einer der beiden kurz vor dem Abflug in die USA in einer flapsigen Twitternachricht geschrieben hatte, er würde "Amerika zerstören", wurde beiden am Flughafen in Los Angeles die Einreise verweigert. Oder bei der deutlich harmloseren Ankündigung eines 28-Jährigen aus dem hessischen Griesheim, der auf Facebook zu einem Spaziergang zu einer streng geheimen NSA-Einrichtung in seiner Nachbarschaft eingeladen hatte und umgehend mehrfach Besuch von der Polizei bekam.

Um ins Visier der Behörden zu geraten - meist ohne, dass man etwas davon mitbekommt -, braucht es ziemlich wenig. Es reicht ein verdächtiger Kontakt über drei Ecken, also ein Bekannter eines Bekannten eines Bekannten, um selbst durchleuchtet zu werden. Wer zum Verdächtigen wird, entscheiden Computerprogramme, die nach vorher definierten Merkmalen suchen. Allein der BND scannt bei seiner strategischen "Fernmeldeaufklärung" die Kommunikation nach 16.400 Begriffen. Kein Wunder also, dass so immer auch Menschen, auf die die Suchkriterien zufällig passen, unter Terrorverdacht fallen.

Bei den ungeheuren Datenbergen, die von Geheimdiensten aller Welt – auch den deutschen – gesammelt werden, ist es nicht verwunderlich, dass 1000 Kleinigkeiten mittlerweile dazu führen können, dass falsche Schlüsse gezogen werden und Menschen unschuldig unter Verdacht geraten. Die Gefahr, dass so etwas auch Ihren Nachbarn oder Ihnen selbst geschehen kann, wächst auch hierzulande.

Die Liste der vermeintlichen Risikofaktoren ist lang: falsche Religion, falsche Nationalität, falscher Geburtsort, falscher Name, falsche Bücher gelesen, falsche Meinung. Sie spielen bei der Flugreise, dem Onlineshoppen, dem Kneipenbesuch eine Rolle. Meist ist es aber einfach Zufall oder ein unglücklicher Umstand, der einschneidende Maßnahmen nach sich zieht: Befragungen von Nachbarn und Arbeitskollegen, Observation, Wohnungsdurchsuchungen oder Festnahme. Derartige Maßnahmen können Vorverurteilungen im sozialen Umfeld und sogar Existenzvernichtungen zur Folge haben. Allein damit, seinen Leumund wieder herzustellen, kann man jemanden eine Weile beschäftigen.

Auch die Zahl unberechtigter Aus- und Einreiseverweigerungen, Vermögensbeschlagnahmen, Grenzzurückweisungen wegen Namensverwechselungen wächst. Wenn man nur die "richtigen" Aspekte heraus sucht, im Sinne des gewünschten Ergebnisses interpretiert und alles, was nicht dazu passt, unter den Tisch fallen lässt, bekommt man schnell einen hochgradig Verdächtigen. Die Arbeitsweise von Ermittlungsbehörden ist darauf ausgelegt, Täter zu präsentieren und Belastendes zu suchen, nicht Entlastendes. Gerade, wenn erst ein Anfangsverdacht ausgemacht ist, tendieren Ermittler dazu, alle anfallenden Beobachtungen in diesem Sinne zu interpretieren. Und es überhaupt nicht ausgemacht, dass nicht auch kräftig an Beweisen manipuliert wird. Technisch ist inzwischen fast alles möglich.

Durch die zunehmende Allianz von Polizei und Geheimdiensten, die auf dem kurzen Dienstweg nachrichtendienstlich gewonnene Informationen in Verbunddateien und gemeinsamen Extremismus-Abwehrzentren austauschen, schreitet der Überwachungsstaat voran. Auch wenn die verheerenden Folgen sich nicht sofort zeigen: Wenn die Grundrechte, die das Wesen unserer Demokratie ausmachen, außer Kraft gesetzt werden, ist die Substanz unserer Verfassung in Gefahr.

Denn Überwachung und Kontrolle wirken nicht nur, wenn jemand tatsächlich als Verdächtiger ermittelt wird. Allein die realistische Befürchtung, wegen etwas auffallen zu können, beschneidet die Rechte des einzelnen spürbar. Wer befürchten muss, wegen eines Verhaltens in ein staatliches Raster zu geraten, wird bestrebt sein dieses Verhalten künftig zu vermeiden, obwohl genau dieses Verhalten gegen gar kein Gesetz verstößt. Es ist wichtig, dass das Bewusstsein für das Problem wächst. Dafür brauchen wir endlich Aufklärung darüber, wie und in welchem Umfang die Überwachung überhaupt stattfindet. Der ganze Umgang der Bundesregierung mit dem verniedlichend Ausspähaffäre genannten Problem hat jedenfalls eines offenbart: Derjenige, der am meisten zu verbergen hat, ist der Staat.

Das Problem sind also nicht die Spionage- und Überwachungsprogramme. Es sind die Geheimdienste selbst, welche die Kontrolle der Bevölkerung für wichtiger erachten, als deren Grundrechte und damit die Grundlagen der Demokratie aushöhlen. Und die andererseits nicht demokratisch kontrollierbar sind, weil es in ihrer Grundstruktur liegt, eben im Geheimen zu arbeiten und am längeren Hebel sitzen, wenn es darum geht, welche Informationen preisgegeben werden und welche nicht.

 

linksfraktion.de, 24. August 2013