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Der G8-Gipfel ist Ausdruck einer ungerechten und zerstörerischen Weltordnung

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Die Entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., Heike Hänsel, fordert in ihrem Namensartikel die Teilnehmer am G8-Gipfel in Heiligendamm auf, den Entwicklungsländern zu helfen. Die G8-Staaten müssten sich insbesondere "zu einer umfangreichen finanziellen Unterstützung für die Opfer des Klimawandels" verpflichten, solidarische Handelsbeziehungen aufbauen und illegitime Schulden erlassen.

Beim Gipfel in Heiligendamm sind rund 190 Staaten und 85 Prozent der Weltbevölkerung nicht repräsentiert. Repräsentiert sind dagegen die 8 Staaten, die Hauptsitz von 79 der 100 weltweit größten Konzerne sind und rund 70 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts erwirtschaften, zu 80 Prozent die OECD, zu 44 Prozent die Weltbank und zu 48 Prozent den IWF dominieren - Instrumente, mit denen sie weltweit ihre Interessen durchsetzen können. Dazu gehört auch die militärische Absicherung von Macht, die G8-Staaten vereinen mehr als 65% der weltweiten Rüstungsausgaben auf sich und sind verantwortlich für 90% des Rüstungsexports.

Auch im Vorfeld dieses Gipfels werden die Aufstockung der Entwicklungshilfe und weiterer Schuldenerlass angekündigt. Bisherige Initiativen wie die vor gut 10 Jahren begonnene Entschuldungsinitiative HIPC (Highly Indepted Poor Countries) blieben allerdings weit hinter den geschürten Erwartungen zurück. Erstens wurden bislang nur knapp zwei Drittel der versprochenen Streichungen (41 von 70 Mrd. US-$) verbindlich zugesichert bzw. vorgenommen. Lediglich 21 Staaten haben HIPC komplett durchlaufen. Zweitens wurden die zu streichenden Summen durch zu optimistische Prognosen für die makroökonomischen Bezugsgrößen systematisch niedrig gerechnet. Drittens ist die Schuldenstreichung an neoliberale Politikauflagen gebunden. Diese Auflagen haben in vielen Ländern wieder neue Probleme geschaffen und z. T. sogar zu neuer Verschuldung - zunehmend Inlandsverschuldung - geführt.
DIE LINKE. fordert die Ausdehnung des Schuldenerlasses auf weitere Länder, er darf nicht an neoliberale Konditionen gebunden sein, sondern muss die politischen Spielräume in den betreffenden Ländern erweitern und einer nachhaltigen Armutsbekämpfung zur Verfügung stehen. Schuldenerlass darf nicht als Entwicklungspolitik verkauft werden, vielmehr muss darüber diskutiert werden, welchen Anteil am Zustandekommen der Schuldenberge der Norden als Kreditgeber trägt. Die norwegische Regierung hat diese Debatte bereits aufgenommen und positiv umgesetzt: Sie hat illegitime Schulden, die aus Kreditgeschäften ohne Entwicklungseffekt stammten, ohne Anrechnung auf die Entwicklungshilfe erlassen. Die Linksfraktion hat einen solchen Schritt auch für die Bundesrepublik gefordert in ihrem Antrag „Illegitime Schulden von Entwicklungsländern streichen“ (BT-Drs. 16/3618).

Sage und schreibe 130 Mrd. US-$ Schulden wurden unter der Diktatur von Saddam Hussein angehäuft - der deutsche Anteil an der Kreditsumme bezog sich v. a. auf Infrastrukturmaßnahmen, Rüstungselektronik und Dual Use Güter: eine indirekte Finanzierung des irakischen Kriegs gegen den Iran und eine Unterstützung für eine Politik, die viel Leid über die Menschen im Irak und in den Nachbarländern gebracht hat - und natürlich auf gar keinen Fall ein Beitrag zur Entwicklung des Irak. Umso unverständlicher ist es, wenn jetzt der deutsche Beitrag zum Erlass der Irak-Schulden als Entwicklungshilfe deklariert und auf die ODA-Quote (Anteil der offiziellen Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen) angerechnet wird!

Auf die Kritik von Nichtregierungsorganisationen an der Anrechnung von Entschuldung auf die ODA reagiert die Bundesregierung empfindlich. Ohne diesen Rechentrick bliebe sie noch weiter hinter der international vereinbarten Anhebung der Entwicklungshilfe zurück. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zum auch von der Bundesregierung unterzeichneten Konsens der Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Monterrey 2002. Oxfam hat errechnet, dass die in Gleneagles versprochene Erhöhung der Entwicklungshilfe bis 2010 um 50 Mrd. US-$ nicht erreicht wird - es werden 30 Mrd. US-$ fehlen! (Oxfam 2007) Die weltweite ODA war 2006 erstmals seit 1997 rückläufig! 103 Mrd. US-$: Das sind nur 10 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben!

„Nicht auf Kurs“ lautet die Diagnose des Data Report 2007 auch für Deutschland. Statt der notwendige Erhöhung um 704 Mio. US-$ standen 2006 effektiv nur 43 Mio. US-$ mehr als 2004 zur Verfügung. Aller Afrika-Euphorie im Vorfeld des Gipfels zum Trotz: Die Entwicklungshilfe der Industriestaaten für Afrika ist kaum gestiegen, verharrt bei knapp über 20 Mrd. US-$. Um das Ziel von 50 Mrd. US-$ bis 2010 zu erreichen, wäre ab sofort eine jährliche Steigerung von 19 Prozent nötig.

Südlich der Sahara leben 24,5 Millionen Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind. In jedem Jahr kommen 3 Millionen Neuinfizierte hinzu. Die Bekämpfung von HIV in Afrika wurde von der G8 als Schwerpunkt proklamiert. Eine wichtige Hilfe wäre hierbei, den Zugang zu Generika zu ermöglichen. Dazu muss das Patentrecht gelockert und nicht, wie auf dem G8-Gipfel geplant, verschärft werden. Oberstes Ziel der Kooperation mit Afrika sollte die Sicherstellung des Zugangs zu Prävention, Pflege und Behandlung für alle Betroffenen sein.
Hinzukommen muss eine umfassende Strategie zur Bekämpfung von Hunger und Armut. 200 Millionen Menschen in Afrika leiden chronisch an Hunger. 300 Millionen leben in absoluter Armut - doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Das heißt, Afrika braucht nicht noch mehr Freihandel, sondern solidarische Handelsabkommen, die das Recht auf Entwicklung in Afrika als oberstes Ziel formulieren. Die Handelsliberalisierung hat die Länder des südlichen Afrikas in den letzten 20 Jahren laut einer Studie von Christian Aid 270 Mrd. US-$ gekostet, Geld, das für die Bekämpfung der Armut, für Gesundheitsvorsorge und Bildung hätte ausgegeben werden können. Dies wird leider in den von der EU angestrebten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten fortgesetzt werden.
Die G8-Staaten sind Hauptverursacher der Klimazerstörung. Schon jetzt sind die Lebensgrundlagen von Menschen in vielen Regionen der Welt bedroht und es sind die ärmsten der Armen, die unter den Folgen des Klimawandels besonders leiden. Konsequenter Klimaschutz wäre daher nicht nur ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, sondern auch Ausdruck internationaler Solidarität. Die G8-Staaten müssen sich zu einer umfangreichen finanziellen Unterstützung für die Opfer des Klimawandels in den Entwicklungsländern verpflichten. Die bisher weltweit zugesagten Anpassungshilfen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und die G8-Staaten müssen ihre Treibhausgasemissionen drastisch senken: um 30 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050. Die Weichen für die Energiewende ins solare Zeitalter müssen jetzt gestellt werden.

In ihrem Antrag zum G8-Gipfel „Menschen vor Profite - Nein zur G8“ (BT-Drs. 16/5408) fordert die Fraktion DIE LINKE. u. a., die bisher zugesagten Zahlungen in die UN-Fonds zur Unterstützung der vom Klimawandel betroffenen Menschen zu verdoppeln. Die Bundesregierung sollte sich unabhängig von anderen Staaten zu einem Minderungsziel für den Ausstoß von Klimagasen von 40 Prozent bis 2020 gegenüber dem Niveau von 1990 verpflichten. Der laufenden weltweiten Ausweitung und Stärkung geistiger Eigentumsrechte muss entgegengewirkt, das TRIPS-Abkommen aus dem WTO-System heraus genommen werden.
Die Durchsetzung symmetrischer Handelsliberalisierung in Verhandlungen mit afrikanischen Staatengruppen und insbesondere die Aufnahme der Verhandlungsfelder Investitionsschutz, Wettbewerbsrecht und öffentliche Ausschreibungen im Rahmen der Welthandelsorganisation und der angestrebten bilateralen Abkommen der EU mit Entwicklungs- und Schwellenländer ist zurückzuweisen. Die Bundesregierung soll verbindlich darlegen, wie sie die ODA-Quote und insbesondere die Entwicklungshilfe für Afrika gemäß der von ihr eingegangenen internationalen Verpflichtungen erhöhen wird - unter Verzicht auf die Anrechnung von Entschuldungsleistungen, Katastrophenhilfe oder militärischen Einsätzen.

Von Heike Hänsel

www.polixea-portal.de, 4. Juni 2007