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"Der Ernstfall ist bereits eingetreten"

Im Wortlaut von Kirsten Tackmann,

Landwirtschaftsexpertin der Linksfraktion beklagt unzureichende Vorbereitung auf Vogelgrippe. Kapazitäten der Krankenhäuser reichen nicht. Ein Gespräch mit Kirsten Tackmann.

Die Tierärztin Kirsten Tackmann sitzt für die Linkspartei.PDS im Landwirtschaftsausschuß des Bundestages; bis Oktober 2005 hat sie am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit in Wusterhausen in der Epidemiologie gearbeitet

Noch ist die Vogelgrippe relativ harmlos, da sie nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Das könnte sich allerdings irgendwann ändern. Ist die Bundesrepublik ausreichend auf den Ernstfall vorbereitet?

Ich finde, daß der Ernstfall bereits eingetreten ist. Der Virus stellt für den Nutztierbestand eine erhebliche Gefährdung dar, und letztlich auch für Menschen. Und ich glaube nicht, daß wir darauf vorbereitet sind.

Wie hoch ist die Infektionsgefahr für den Menschen?

Die muß man relativieren. Jährlich sterben in der Bundesrepublik an humaner Influenza 7000 bis 13000 Menschen. Verglichen damit erscheinen die weltweit bisher 90 Todesfälle aufgrund des H5N1-Virus (Vogelgrippe) als sehr wenig. Allerdings ist die Hälfte aller an Vogelgrippe Erkrankten gestorben. Das ist eine relativ hohe Zahl. Insofern gibt es durchaus eine Gefahr, und ich finde nicht, daß man agieren kann wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die meinte, es bestehe noch keine ernsthafte Gefahr, da es nur eine Tierseuche sei. Tatsache ist, daß die Krankheit auf den Menschen übertragbar ist, und deshalb besteht insbesondere für jene eine Gefahr, die mit Geflügel arbeiten. Das bisherige Krisenmanagement ist dem nicht angemessen.

Woran hapert es?

Es ist festgestellt worden, daß es nicht einmal ausreichend Desinfektionsmittel in den Landkreisen gibt. Es fehlt an Schutzkleidung für die Menschen, die die toten Vögel einsammeln. Diese Mitarbeiter waren offenbar nicht einmal auf ihre Arbeit richtig vorbereitet, das heißt, sie wußten nicht, welches Risiko sie eingehen. Die notwendigen Absperrungen wurden nicht vorgenommen. Staatssekretär Alexander Müller aus dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Ernährung hat vergangene Woche gesagt, es gebe Notfallpläne, die nur in Kraft gesetzt werden müßten. Aber wir sehen jetzt, daß dem nicht so ist.

Von der Landes- und der Bundesebene aus wird nun versucht, die Landrätin von Rügen verantwortlich zu machen, was ich für ungeheuerlich halte. Schließlich liegt die Fachaufsicht bei der Landesregierung, und ich bin mir ziemlich sicher, daß es anderswo ganz ähnlich ausgesehen hätte.

Nach dem, was ich gehört habe, fahren auch in anderen Landkreisen Menschen in privaten PKW und ohne Schutzkleidung herum, um tote Vögel einzusammeln. Aus meinem Wahlkreis in Brandenburg wurde mir sogar berichtet, daß Ein-Euro-Jobber per Aushang für derartige Arbeiten gesucht werden.

Das eine ist die für den Menschen nicht ungefährliche Tierseuche, mit der wir es im Augenblick zu tun haben. Ganz anders wird es aber aussehen, wenn der Virus irgendwann mutiert und von Mensch zu Mensch übertragbar wird. Dann wird eine Pandemie wohl kaum zu vermeiden sein. Sind wir wenigstens darauf vorbereitet?

Ich glaube nicht. Wie es aussieht, reichen die Krankenhauskapazitäten nur für eine Erkrankungsquote von 15 Prozent der Bevölkerung, aber man rechnet mit 30 Prozent. Es ist natürlich schwierig, Kapazitäten vorzuhalten. Aber der Abbau, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, wird im Ernstfall dazu führen, daß die Kapazitäten nicht reichen.

Impfstoffe werden erst viele Wochen nach dem Feststellen einer Pandemie zur Verfügung stehen. Das liegt daran, daß man zunächst die genaue Form des von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus kennen muß. Das ist unser großes Problem. Man versucht es zu umgehen, indem man Tamiflu-Vorräte anlegt, ein Medikament, von dem man hofft, daß es im Körper die Verwehrung des Virus kommt. Aber die Mengen reichen von Bundesland zu Bundesland nur für acht bis 20 Prozent der Bevölkerung. Mit anderen Worten: Nicht jeder würde im Falle einer Erkrankung die angemessene Versorgung bekommen. Medikamente würden in den meisten Fällen vermutlich so verteilt, daß das öffentliche Leben aufrechterhalten wird.

Interview: Wolfgang Pomrehn

junge Welt, 21. Februar 2006