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»Der Bericht hinkt der Entwicklung hinterher«

Im Wortlaut von Martina Renner, Deutschlandfunk,

Im Interview mit dem DLF kritisiert Martin Renner, dass der Verfasssungschutzbericht zu spät komme. Wichtige aktuelle Entwicklungen fehlten. 


Das Interview hören


Jasper Barenberg: Jetzt haben wir dieses Zahlenwerk präsentiert bekommen, wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Martina Renner: Zuerst einmal: Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sowohl der Verfassungsschutz wie der Innenminister jetzt noch mal deutlich hervorgehoben haben, dass vom Rechtsterror derzeit die größte Gefahr ausgeht. Zuletzt, Sie haben es verfolgt die Woche, der Generalbundesanwalt, der noch mal klargestellt hat, dass das Oktoberfest-Attentat auch aus rechter Motivation heraus erfolgt ist.

Das sind alles Dinge, die hart erkämpft wurden in den letzten Jahren, durch investigative journalistische Arbeit, durch Druck in den Parlamenten, endlich klar zu sagen, wo die größte Gefahr für Demokratie und Menschenwürde in diesem Land derzeit herkommt.

Und zum zweiten, was man, glaube ich, auch zu diesem Bericht sagen muss: So wichtig er ist, auch für die politische Auseinandersetzung, er kommt zu spät, wenn wir im Juli über die Ereignisse des Vorjahres reden und seitdem zum Beispiel der Anschlag in Hanau passiert ist, oder die ganze Debatte um rechte Umtriebe im Kommando Spezialkräfte, und Ähnliches mehr. Er ist immer hinter der Lage. Er ist eigentlich auch für die Politik nicht wirklich eine geeignete Arbeitsgrundlage, weil er im Kern oftmals überhaupt nicht mehr die aktuelle Situation reflektiert.

Barenberg: Da müssen Sie mir noch mal weiterhelfen, bei dieser letzten Bemerkung. Was meinen Sie damit? Da wird ja kontinuierlich geprüft und irgendwann gibt es einen Termin für einen Bericht, einmal im Jahr. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Renner: Ich kann noch mal auf den Bericht 2018 abstellen. Da fehlte zum Beispiel Combat 18, mittlerweile verboten, dieses militante bewaffnete Rechtsterror-Netzwerk. Da fehlte diese Struktur in Mecklenburg-Vorpommern, Nordkreuz, die sich aufmacht, den politischen Gegner umzubringen und dazu Waffendepots angelegt hat und Schießtrainings durchgeführt hat. Und so ist es jetzt wieder! Jetzt sind bestimmte Sachen aufgenommen inzwischen, aber seitdem gibt es ja weitere Entwicklungen.

Verzeihung, wenn ich Sie unterbreche. Ihr Punkt ist: In der Analyse hinkt der Verfassungsschutz der Entwicklung hinterher?

Er hinkt der Entwicklung hinterher. Und das zweite ist: Es ist richtig, wenn jetzt zum Beispiel auch gerade die Rolle von rechten Rassisten in den Behörden angesprochen wird. Im Laufe des Tages werden wir auch noch mal über die aktuelle Drohung gegen meine Kollegin Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, berichten, wo ja der Verdacht jetzt da ist, dass persönliche Daten aus Polizeirechnern zu ihr abgefragt wurden.

Aber wenn ich jetzt höre, der Verfassungsschutz hat jetzt das Problem erkannt – das Problem ist nicht neu. Das Problem ist wenigstens seit Jahren bekannt: Mecklenburg-Vorpommern, Gruppe Nordkreuz habe ich schon genannt, die Bedrohungen NSU 2.0 mit Polizeiinformationen in Hessen. Und wenn man jetzt sagt, der Verfassungsschutz soll dann mal die Polizei durchleuchten, dann habe ich viele Fragezeichen.

Zum Beispiel gerade das Thema Hessen ist aufgerufen. Das Landesamt für Verfassungsschutz in der Causa Lübcke steht ja dort auch in Kritik. Die Frage ist, werden die wirklich in den eigenen Reihen und bei den Polizeikollegen und Kolleginnen richtig hinschauen? Oder geht es dann doch wieder in die Richtung, dass man nicht transparent aufklärt, so wie wir es insgesamt in dem Themenfeld Rechtsterror häufiger schon gesehen haben.

Darüber würde ich gleich mit Ihnen noch sprechen wollen. Ich würde einen Schritt noch mal gerne zurück machen zur Ausstattung der Sicherheitsbehörden, denn da hat sich ja einiges getan. Es sind Hunderte neue Stellen bewilligt, man hat vom Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, von Thomas Haldenwang ja klare Ansagen bekommen und auch eine Abgrenzung zu seinem Vorgänger. Sind die Behörden im Kampf gegen den Rechtsextremismus jetzt denn personell gut aufgestellt?

Es hat sich etwas positiv verändert, dass die Gefahr von rechts nicht mehr an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz sitzt. Natürlich, das erkennen wir an. Wir erkennen an, dass seitdem auch dort eine andere Analyse und eine andere Sprache gepflegt wird, dass man selbstverständlich von Rechtsterror spricht, dass man selbstverständlich von der Neuen Rechten redet, dass man den Blick auch weitet über die klassischen neonazistischen Organisationen hinaus, dass man sich an die AfD herangewagt hat, was man viele Jahre insbesondere unter Hans-Georg Maaßen, der ja einen freundschaftlichen Umgang mit vielen aus der AfD pflegte, sich nicht getraut hat. Das sind alles Pluspunkte.

In seiner Zeit ist das aber, wenn ich das richtig weiß, Frau Renner, auf den Weg gebracht worden, die AfD in Teilen als Verdachtsfall zu definieren.

Ja, und dann gab es Gespräche, wo vieles naheliegt, dass man der AfD Tipps gegeben hat, wie sie der Beobachtung entgehen kann. Das ist aber Geschichte und ich erkenne an, dass Haldenwang anders das Haus führt, dass er andere Schwerpunkte setzt, dass er auch das Personal und die Mittel anders gruppiert. Das ist auch richtig und man hat es ja auch gesehen an den Exekutivmaßnahmen wie zum Beispiel dem Verbot von Combat 18, wo ja das Bundesamt für Verfassungsschutz eine große Rolle hat, oder bei der Beobachtung des Flügels, dass natürlich da die entsprechenden Analysen auch formuliert wurden.

Das sehe ich und das ist richtig und das hätte schon seit vielen Jahren passieren müssen, weil ich habe diese Organisation jetzt schon mal genannt: Combat 18. Die ist ja nicht gestern entstanden. Die hätte schon 2000 zusammen mit Blood and Honour verboten werden müssen. Das kann ich auf der Habenseite einfach mal anerkennen, kein Problem!

Okay! Dann gehen wir zum zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich der Blick auf die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden. Da gab es viel Wirbel um diese Studie zum Racial Profiling in den letzten Tagen. Jetzt gibt es die Ansage vom Innenminister, die Verfassungsschützer von Bund und Länder wollen zunächst mal einen Erfahrungsbericht über laufende Disziplinarverfahren zusammenstellen, laufende Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Und es gibt diese Zentralstelle beim Verfassungsschutz zur Aufklärung rechtsextremistischer Aktivitäten im öffentlichen Dienst. Warum ist das nicht genug?

Renner: Das ist komplett der falsche Weg. Das ist meine Überzeugung. Wenn man diese antidemokratischen, rechten, rassistischen Einstellungen in den Sicherheitsbehörden untersuchen will, dann brauche ich eine unabhängige, wissenschaftlich arbeitende Institution dazu. Wenn ich mir anschauen will, wo es Verquickungen gibt auf der Handlungsebene, also zu entsprechenden Organisationen und Bestrebungen – insbesondere Rechtsterrorismus spielt hier eine Rolle –, dann muss ich das so führen, am besten auch durch die Ermittlungsbehörden – weil das sind Straftaten die dort begangen werden, auch wenn Polizisten oder Soldaten beteiligt sind –, dass es auch maximal zu Konsequenzen führt.

Der Verfassungsschutz ist meiner Meinung nach weder eine Behörde, die für die Strafverfolgung zuständig ist, noch hat sie den wissenschaftlichen unabhängigen Background, Einstellungsuntersuchungen zu machen. Ich würde gerne, dass das Thema entsprechende Bestrebungen und Einstellungen in den Behörden von der Politik anerkannt wird, aber wir müssen die Aufarbeitung unabhängig organisieren.

Und wie gesagt: Dort wo Polizisten Teil sind von solchen Strukturen, muss das nicht gemonitort werden, sondern es muss endlich unterbunden werden. Polizisten, die Waffen und Munition bei Seite schaffen, die sich mit Zivilisten zu rechten Schießtrainings treffen, die Feindeslisten anlegen, die ihren Dienstrechner benutzen, um Leute auszuspüren, gehören aus dem Dienst entfernt. Da muss nicht der Verfassungschutz sich noch jahrelang mit denen beschäftigen. Das ist meine Überzeugung.

In dem letzten Fall, was die KSK angeht, hat die Verteidigungsministerin ja angekündigt, dass sie da einigermaßen aufräumen will, und sie will erst mal denen drei Monate Zeit geben, ob das funktioniert.

Ich wollte noch einen Gedanken anfügen, weil Sie betonen, wie notwendig das ist, unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen über Rassismus auch bei Polizist*innen, auch bei Soldaten. Gilt das eigentlich in Ihren Augen auch für andere Beamtinnen und Beamten in Deutschland, für Lehrer, für Verwaltungsbeamte, für den Zoll?

Ich glaube, man sollte zuerst einmal dahin schauen, wo Behörden bestimmte Befugnisse haben, mit denen sie tief auch in Persönlichkeits- und Freiheitsrechte eingreifen können. Der Missbrauch dieser Befugnisse, Aufenthaltsbeschränkungen, Personenkontrollen und so weiter, das ist natürlich etwas anderes, als wenn ich jetzt sage, ich rede über das Bildungswesen.

Im ersten Stepp wäre ich tatsächlich dafür, dass man sich die Polizeien anschaut, dass man sich auch den Verfassungsschutz selbst anschaut. Es gibt Rechte und Rassisten auch in dieser Behörde. Das haben zum Teil ja auch durchaus die Untersuchungsausschüsse noch mal deutlich gemacht, mit welcher Agenda dort Leute unterwegs sind. Dazu der Zoll, der immer ein bisschen irgendwie ein Schattendasein fristet, aber ganz viele auch Befugnisse hat, mit denen er zum Beispiel auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen kann und Ähnliches.

Im zweiten Schritt würde ich gerne dann die Behörden auch mal sehen, die zum Beispiel für den Vollzug des Aufenthaltsrechts zuständig sind, weil dort gibt es auch erhebliche Beschwerden über rassistisch vorurteilsbeladenes Handeln.

Deutschlandfunk,