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»Demokratischer Sozialismus« als Parteitagshit

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Gastkommentar

Die Sozialdemokraten sind uneins darüber, wie links sie sein wollen. Das Kodewort für den heutigen Freitag in Hamburg beginnenden Parteitag ist demokratischer Sozialismus. Platzeck, Steinbrück und Steinmeier wollten diese Parole allenfalls noch als Reminiszenz im neuen Parteiprogramm der SPD haben. Das koste die Regierungsfähigkeit, so Steinbrück. Beck dagegen will mit dieser Parole an die Regierung.

Viel aber bedeutet demokratischer Sozialismus im neuen Programm nicht. Der Test ist die Verteilungsfrage. Noch beim Berliner Programm wurde die Einkommensverteilung verbunden mit keynesianischer Wirtschaftstheorie: Dort heißt es: »Eine gerechtere Einkommensverteilung sorgt für sozialen Ausgleich und schafft zusätzliche Nachfrage und damit Arbeitsplätze.«

Das ist Keynes Allgemeine Theorie: Ein höherer Lohnanteil am Volkseinkommen führt zu mehr privatem Verbrauch, damit zu mehr Nachfrage allgemein und so zu mehr Beschäftigung. Folglich forderte Keynes, daß der »Staat (…) einen leitenden Einfluß auf den Hang zum Verbrauch (…) durch sein System der Besteuerung (…) ausüben muß«. Sicherlich rechtfertigt dies auch die Forderung der Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen, also die Kaufkrafttheorie des Lohnes.

Die Formel »Vollbeschäftigung durch niedrige Gewinne« kann an die Grenzen des Wirtschaftssystems stoßen. Das ist dann der Fall, wenn eine hinreichende Nachfrage einen sehr hohen Lohn- und Staatsanteil am Volkseinkommen erfordert. Dann nämlich ist es möglich, daß Unternehmen, die an sehr hohe Gewinne gewöhnt sind, ihre Investitionen zurückfahren. Demokratischer Sozialismus muß hier bedeuten, diese Investitionen politisch zu veranlassen. Welche Eigentumsformen dafür am meisten geeignet sind - das ist eine alte Debatte der Sozialdemokratie.

Soll demnach im Sinne des Berliner Programms die Einkommensverteilung für mehr Beschäftigung sorgen, dann hat der Begriff des demokratischen Sozialismus seine Sprengkraft. Hierzu aber fehlt die materielle Ausgangsbasis, wenn die Forderungen nach Vollbeschäftigung und einer anderen Verteilung nicht miteinander verknüpft werden. Und genau das ist im Hamburger Programm der Fall: Mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Macht ist hier eine Frage der Gerechtigkeit, der Lebenschancen. Das liest sich kraftvoller, als es ist. Denn mehr Lohn und Gewinnsteuern werden nun nicht mehr als Mittel für mehr Beschäftigung verstanden. Und allgemeiner: Soll der Kampf für Gerechtigkeit und bessere Lebenschancen dann eingestellt werden, wenn manche Konzerne meinen, daß ihre Gewinne zu niedrig sind, daß sich das Investieren nicht mehr lohnt? Endet die Idee der Gerechtigkeit dort, wo das Unternehmens-interesse beginnt?

Verteilung und, wenn nötig, Investitionsplanung sieht der Programmpunkt »Sozialdemokratische Politik für Vollbeschäftigung« nicht vor. Gefordert wird statt dessen: qualitatives Wachstum, innovative Produkte, mehr Dienstleistungen, Bildungspolitik, ein öffentlicher Beschäftigungssektor. Alles Strategien, die ohne einen grundsätzlichen Konflikt mit der Unternehmerschaft auskommen. Diese haben die Garantie: »Für uns ist der Markt ein notwendiges und anderen wirtschaftlichen Koordinierungsformen überlegenes Mittel.« Wenn diese Festlegung gilt, dann ist der demokratische Sozialismus des Hamburger Programms »die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung (…) eine dauernde Aufgabe ist«. Konkrete, nächste Schritte fordert er nicht.

Von Herbert Schui

Herbert Schui war bis zur Emeritierung 2005 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Er ist Mitbegründer der WASG und seit September 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages in der Fraktion Die Linke. Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

junge Welt, 26. Oktober 2007