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Demokratie muss Sinn machen

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi über Politikermacht, gelähmte Sozialdemokraten und den Vorteil, nicht mehr 30 zu sein

Der Tagesspiegel: Herr Gysi, ist Guido Westerwelle mittlerweile Ihr bester Freund?

Gregor Gysi: Wie kommen Sie denn darauf? Aber zugegeben: Wir gehen relativ fair miteinander um. Vielleicht liegt das daran, dass die politischen Unterschiede so groß sind. Zwischen der FDP und uns liegen die ökonomischen und sozialen Vorstellungen so weit auseinander, da fehlt die Konkurrenz. Und dann klappt ein gemeinsames Projekt wie jetzt der Untersuchungsausschuss besser, weil es keine Berührungsängste gibt. Es ist mit der SPD und übrigens auch mit den Grünen schon immer schwieriger gewesen. Da gibt es trotz ihrer neoliberalen Entwicklung eine andere Konkurrenzsituation.

Wir fragen nach Westerwelle, weil die FDP gerade Ihr bester Bündnispartner gegen die große Koalition zu sein scheint.

Der Bundestag ist jetzt anders zusammengesetzt. Union und SPD haben eine Zweidrittelmehrheit. Als Opposition müssen wir zur Wahrnehmung bestimmter Rechte zusammenhalten, wenn wir gegen die große Koalition ankommen wollen. Anhörungen etwa können die Oppositionsfraktionen nur zu dritt durchsetzen.

Sie haben mal von einer linken Mehrheit im Bundestag geträumt. Ist das noch aktuell?

Das hängt von der Bevölkerung, vom Zeitgeist, von der Stimmung ab. Gerhard Schröder hat aus der Sozialdemokratie eine neoliberale Partei gemacht. Es gab unter Schröder Steuergeschenke an Konzerne, Besserverdienende und Vermögende wie nie zuvor in der Bundesrepublik, nicht unter Adenauer, Kiesinger, Kohl, noch unter irgendeinem anderen Kanzler. Auch der Sozialabbau unter Rot-Grün war ohne Beispiel. So lange die SPD auf diesem Kurs bleibt - und das tut sie zur Zeit -, gibt es keine linke Mehrheit in der Gesellschaft, weil die SPD nicht als links bezeichnet werden kann. Aber so etwas kann sich ändern.

Halten Sie ein Bündnis mit der SPD nach den nächsten Bundestagswahlen für denkbar?

Im Augenblick ist das kein Thema: Eine SPD, die das Rentenalter heraufsetzt und die Mehrwertsteuer erhöht, ist für uns kein Koalitionspartner. Wer weiß, ob und wie sie sich bis 2009 ändert.

Solange der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine in der Spitze der Linkspartei mitmischt, ist ein Bündnis mit der SPD vermutlich schwierig.

Für manch einen Sozialdemokraten wird Oskar Lafontaine immer ein rotes Tuch sein. Aber ich glaube, das wird nicht entscheidend sein.
Es geht um Inhalte, und da gibt es derzeit deutlich zu wenig Übereinstimmung. Damit wir miteinander ins Gespräch kommen, muss die SPD überhaupt wieder anfangen zu streiten. Nach unzähligen verlorenen Wahlen gibt es bei den Sozialdemokraten immer noch keine Diskussionen. Die ziehen gegen die Merkel-Steuer in den Bundestagswahlkampf und beschließen in der großen Koalition eine Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte. Und der SPD-Parteitag nickt das ab. Früher hätte es dagegen Protest gegeben. Aber die Sozialdemokraten wirken wie gelähmt.

Ist der neue SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck ein Hoffnungsträger für eine Kooperation zwischen SPD und Linkspartei?

Matthias Platzeck hat den ganzen neoliberalen Kurs von Gerhard Schröder mitgemacht. Und er fand ihn immer gut. Falls er es mal anders gesehen haben sollte, hatte er nicht den Mut zur Auseinandersetzung.

Sind Sie überhaupt bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Im Moment beobachten wir in der Linkspartei einen Prozess hin zu knallharter Opposition.

Die Frage steht nur in Ländern. Dort sind wir bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber nicht um jeden Preis. Ihr Eindruck kommt daher, dass wir in einem Parteibildungsprozess stecken. Da müssen wir auch programmatische Fragen klären: Wenn wir keine neoliberale Partei sind, was sind unsere Alternativen? Da sind wir dann nicht gegen jede Privatisierung, wohl aber gegen die Privatisierung öffentlicher Verantwortung. Wenn ich in Berlin zum Beispiel den Nahverkehr, die Krankenhäuser oder Bildungseinrichtungen privatisiere, wird Politik irrelevant. Dann brauche ich keinen Regierenden Bürgermeister mehr.

Nun wurden in Dresden alle städtischen Wohnungen an einen privaten Investor verkauft.

Finde ich falsch.

Da haben auch PDS-Stadträte zugestimmt.

Die waren davon nicht abzubringen. Bei der Bildung der neuen Linken müssen wir uns aber darauf verständigen, dass wir so etwas nicht wollen. Dresden hat jetzt keinen Einfluss mehr auf Wohnungsfragen. Demokratie muss Sinn machen. Und das tut sie nur, wenn Politiker auch noch was zu entscheiden haben.

Werden Regierungsbeteiligungen in Ihren Reihen heute stärker verteufelt?

Wir haben dazugelernt. Hier in Berlin ging es auch darum, zu beweisen, dass die PDS Verantwortung übernehmen kann. Eine Beteiligung an der Regierung war davor undenkbar. Sie wurde nur möglich auf Grund des Bankenskandals. Jetzt wird die PDS in Ost- wie West-Berlin nach ihren Leistungen bewertet und nicht nach der Tatsache, wo wir herkommen. Wenn man das erste Mal in eine Regierung geht, zahlt man Lehrgeld. Ich bin sicher, dass wir uns nach den Abgeordnetenhauswahlen, wenn wieder ein Senat unter unserer Beteiligung zu Stande kommen sollte, besser durchsetzen können. Wir werden andere Akzente setzen und mehr Bedingungen stellen.

Wird die PDS deshalb unbequemer, weil sie von der WASG getrieben wird?

Das Zusammengehen der PDS mit der WASG kann auch das Selbstbewusstsein meiner Partei stärken. Wir sind über das Stadium hinaus, wo wir dankbar waren, dass überhaupt einer mit uns redete. Das hilft. Wenn alles gleich bleiben sollte, bräuchten wir auch die Neubildung nicht.

Werden Sie denn wirklich im Westen akzeptiert?

Deutlich mehr. Neulich war der Fraktionssaal der Union im Bundestag krachend voll, als wir zu einer Tagung zu Hartz IV eingeladen hatten, so etwas habe ich vorher in 16 Jahren nicht erlebt. Oder nehmen Sie die Gewerkschaften: Wir haben jetzt Gespräche mit dem Vorsitzenden des DGB, Herrn Sommer, und mit Vorsitzenden von Einzelgewerkschaften wie Herrn Bsirske, Herrn Peters, das gab es vorher nicht.

Benutzen die Gewerkschaften Sie nicht nur, um Druck auf die SPD zu machen?

Hätten sie doch früher auch machen können, haben sie aber nicht. Wir bekommen in größerem Umfang Einladungen von Universitäten, Instituten. Fast alle Botschafter melden sich an für einen Begrüßungsbesuch. Das sind Akzeptanzunterschiede. Im Augenblick haben wir es natürlich schwer. Sie berichten täglich über den Streit mit der WASG in Berlin. Als Botschaft kommt rüber, dass die ganze Fusion scheitern könnte.

Haben Sie denn noch Pfeile im Köcher, um die WASG in Berlin von ihrer eigenständigen Kandidatur abzuhalten?

Es wird diese Kandidatur nicht geben. Da gibt es nach dem Statut der WASG Möglichkeiten. Ich bin sicher, dass die Mitglieder und die Führung der WASG einen Weg finden, um den getrennten Wahlantritt in Berlin zu verhindern. Wer die Fusion nicht will, muss einen anderen Weg gehen. Die WASG hat 12 000 Mitglieder. Wegen 200 Mitgliedern in Berlin und vielleicht 20 in Mecklenburg-Vorpommern stecken wir doch nicht auf. Aber die Wichtigtuerei von den Leuten in diesen zwei Landesverbänden macht es zur Zeit schwieriger.

Juristen sagen, dies könnte auch den Status der Linksfraktion im Bundestag gefährden.

Da mache ich mir keine Sorgen. Selbst wenn es dazu käme, dass die gegen uns antreten - wovon ich nicht ausgehe -, würde das unseren Status nicht gefährden.

Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt will der SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn lieber als Juniorpartner in eine große Koalition, als mit der PDS zu regieren. Wie wichtig ist Ihnen strategisch eine weitere rot-rote Regierung?

Es ist gut, dass unsere Partei bereit ist, dort zu regieren. Aber sie darf sich nicht aufdrängen. Herr Bullerjahn biedert sich bei der Union an. Es ist doch absurd, wenn er nur ein kleines Stühlchen neben dem Ministerpräsidenten als Juniorpartner beansprucht. Damit macht er sich überflüssig. Dann werden wir halt eine noch stärkere Oppositionspartei in Sachsen-Anhalt.

Nehmen wir an, Sie schneiden stärker als die SPD ab. Könnten Sie sich vorstellen, Herrn Bullerjahn eine Koalition schmackhaft zu machen, indem Sie auf den Ministerpräsidenten verzichten? Oder sich zumindest mit der SPD abwechseln?

Wo kämen wir denn da hin?

In eine Regierungsbeteiligung.

Das ist sie aber nicht wert. Unser Selbstbewusstsein hat zugenommen.
Wenn wir stärker sind, sind wir stärker. Dann stellen wir mit Wulf Gallert den Ministerpräsidenten - oder gehen in die Opposition.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Oskar Lafontaine entwickelt?

Gut. Wir sind ja nicht mehr 30 Jahre alt, da muss man nicht mehr konkurrieren. Ich bin Ende 50, Oskar Anfang 60, da geht man vieles etwas gelassener an. Wir betrügen uns nicht. Wenn jemand zu Oskar kommt und mich denunzieren will, erzählt er mir das und umgekehrt.
Wir lassen nicht zu, dass man Konflikte zwischen uns schürt. Man kann uns nicht gegeneinander ausspielen.

Stimmen Sie dem Satz zu: Zwischen mich und Oskar Lafontaine passt kein Blatt Papier?

Das würde ich nie sagen. Zwischen uns passt mehr als ein Blatt Papier. Wir sind doch sehr unterschiedlich. Wir haben ganz andere Leben geführt. Ich war nie in der SPD, geschweige denn ihr Vorsitzender. Oskar kennt die SPD besser, aber er reagiert emotionaler auf sie als ich. Wichtig ist: Wir vertrauen uns.

Wie lange wird Oskar Lafontaine sich noch politisch für das Links-Projekt engagieren?

Ich denke, er hat ein unmittelbares Interesse, die Parteibildung mit zu organisieren. Er will die neue Linke gestalten und prägen.

Sie auch?

Ich auch.

Wird das Duo Gysi-Lafontaine bei den Bundestagswahlen 2009 noch einmal in den Wahlkampf ziehen?

Das kann ich noch nicht sagen. Ich weiß nicht, wie ich mich gesundheitlich entwickeln werde. Aber ich sage auch nicht Nein.

Hat die Linke überhaupt eine Überlebenschance ohne die Zwei-Mann-Show?

Wenn es eine gesellschaftliche Stimmung für eine neue Partei links der Sozialdemokratie gibt, dann gibt es die. Personen machen vielleicht einen Unterschied beim Wahlergebnis aus, aber man sollte das auch nicht überschätzen. Eine neue Partei hat nicht nur deswegen Erfolg, weil zwei Herren das wollen. Entweder gibt es in der Gesellschaft eine Stimmung dafür oder nicht. Wenn wir es schaffen, im nächsten Jahr die gemeinsame Partei zu bilden, wird uns das einen Schub geben und die Zustimmung in der Bevölkerung weiter steigen. Und wir schaffen das.

Interview: Cordula Eubel und Matthias Meisner.

Der Tagesspiegel, 19. März 2006