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»Das Urteil ist ein Erfolg«

Im Wortlaut von André Hahn, Deutschlandfunk,

Das Bundesverfassungsgericht hat Abgeordnete in ihren Fragerechten gestärkt. Das Urteil sei eine eindeutige Stärkung des Parlaments, sagte André Hahn, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, am Dienstagabend im Dlf. 


Peter Sawicki: Mitgehört hat André Hahn. Er sitzt für die Linkspartei im Bundestag und ist dort unter anderem stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Guten Abend, Herr Hahn.

André Hahn: Ja, guten Abend.

Sawicki: Ist das für Oppositionsparteien heute ein Feiertag?

Hahn: Ich weiß nicht, ob man den Begriff Feiertag verwenden sollte. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist eine eindeutige Stärkung der Rechte des Parlaments, insbesondere was die Kontrolle angeht, gerade weil die Opposition natürlich das Instrument der Anfragen an die Regierung besonders intensiv nutzt. Und ich finde ganz wichtig die Klarstellung der Richter, dass die Bundesregierung nun auch zu Unternehmen, die im Eigentum des Bundes oder mit Beteiligung des Bundes sind, Auskünfte erteilen muss. Das ist nicht nur bei der Deutschen Bahn von Bedeutung.

Aber ich bin nicht übermäßig euphorisch, das will ich auch sagen, weil die Mühlen der Justiz mahlen doch sehr langsam. Die parlamentarischen Fragen, zu denen heute entschieden worden ist, stammen aus dem Jahr 2010. Jetzt, sieben Jahre später, wird nun festgestellt, dass die Abgeordneten in ihren Rechten verletzt worden sind. Manche davon sind gar nicht mehr im Bundestag. Insofern steht natürlich die Frage, wenn die Regierung jetzt wieder bei der Beantwortung von Fragen entsprechende Antworten verweigert, dann kann ich zwar klagen, doch wann bekomme ich eine Entscheidung. Vermutlich nicht mehr in der laufenden Wahlperiode. Insofern müsste man einen Weg finden, zum Beispiel über ein Eilverfahren, dass Abgeordnete das schnell prüfen lassen können, ob die Bundesregierung Auskunft geben muss. Dass das so lange dauert, über mehrere Jahre – gar kein Vorwurf jetzt an die Richter -, ist aber natürlich ineffektiv, wenn ich in dieser Wahlperiode überhaupt keine Entscheidung mehr bekomme. Da müssen wir noch mal drüber nachdenken, wie man das effektivieren kann.

Dieses Eilverfahren, dieses mögliche, was Sie ansprechen, müsste man das erst erstellen? Müsste ein neues Gesetz dafür erlassen werden?

Man kann ja bestimmte Eilverfahren beim Verfassungsgericht auch einreichen. In der Regel ist das aber relativ schwer, wenn es sich um ein Organstreitverfahren oder Normenkontrollverfahren handelt, weil man dann erst den Sachverhalt prüft und so weiter. Das ist nicht leicht. Aber ich würde mir wünschen, dass man darüber nachdenkt zumindest. Und es ist ja zudem noch im Urteil ein Punkt enthalten, den ich auch für problematisch halte, bei aller positiven Wertung. Das ist die Frage, dass die Ausrede, Belange des Staatswohls, weiterhin gelten kann. Ich war im NSA- und BND-Untersuchungsausschuss und weiß, wie oft die Regierung Auskünfte verweigert hat. Auch Zeugenaussagen waren entsprechend, dass gesagt worden ist, das betrifft Belange des Staatswohls, dazu sagen wir nichts. Das haben die Richter ja ausdrücklich auch zugelassen, und ich befürchte, dass man sich nun auf dieses Staatswohl häufig zurückziehen wird. Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und ich habe die Sorge, dass man gerade bei der Geheimdienstkontrolle generell doch wieder Auskünfte verweigern wird. Aber nichts desto trotz: Das Urteil ist ein Erfolg und ich bin dankbar dafür, dass das angestrengt worden ist. Ich habe das selber als Landtagsabgeordneter mehrfach gemacht. Ich habe dreimal gegen die sächsische Staatsregierung geklagt, habe dreimal gewonnen in dieser Frage, gerade was die Beantwortung von Fragen angeht. Und es ist notwendig, dass die Opposition sich wehrt, wenn die Regierung ihre Rechte missachtet.

Bleiben wir mal kurz bei dem Begriff Staatswohl. Ist der ihnen grundsätzlich zu vage, oder würden Sie den am liebsten entfernt sehen?

Na ja. Es gibt sicherlich die eine oder andere Frage auch bei operativen Einsätzen, bei Geheimdiensttätigkeiten, die noch laufen, wo es sicherlich gefährlich sein kann, wenn dort Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schwierigkeiten kommen. Es mag solche Fälle geben. Meine Erfahrung ist nur, dass der Begriff Staatswohl in wirklich schon exzessiver Weise verwandt worden ist im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, und jedes Mal, wenn es für die Regierung kritisch wurde, wenn man einen Zeugen hatte, dem man Dokumente vorhalten wollte, und jetzt klar geworden wäre, dass die Bundesregierung von bestimmten Pannen oder auch Rechtsverstößen gewusst hat, dann ist immer der Vertreter der Bundesregierung aufgesprungen, Staatswohl, Staatswohl, Auskunft wird nicht gegeben. Das ist einfach meine Sorge. Es mag Einzelfälle geben. Man muss nun sehen, inwieweit die ausführlichen Begründungen dann tatsächlich kommen. Ich bin da nicht übermäßig optimistisch. Aber ich will das Urteil auch nicht klein reden. Es ist ein Vorteil und es ist wichtig für die Opposition, insbesondere in den kommenden Jahren, und wir werden sehr darauf drängen, dass es auch eingehalten wird.

Hängt die Auskunftsfreudigkeit der Bundesregierung oder einer Regierung grundsätzlich auch von ihrer Zusammenstellung ab?

Das weiß ich nicht. Es hängt zum Teil tatsächlich auch von den einzelnen Ministern ab, welche …

Wie war es denn in der Großen Koalition in den letzten Jahren zum Beispiel?

Ja, da hängt es von einzelnen Ministern ab. Ich kann mich da nur wiederholen. Sigmar Gabriel hat als Wirtschaftsminister in der Zeit, wo er das war, zu Waffenexporten und anderen Dingen Auskünfte nicht gegeben. Andere Minister haben das …

Dazu hat sich ja das Bundesverfassungsgericht schon explizit geäußert, gesondert, dass die Bundesregierung ja nicht frühzeitig über Waffenexporte informieren muss.

Ja. Das ist aber ein Punkt, den ich trotzdem nicht für richtig halten muss. Und es gibt Minister, die selber viele Jahre schon Parlamentarier waren. Die akzeptieren, dass es ein Auskunftsrecht des Parlaments gibt, und beantworten Fragen auch sehr ausführlich. Das würde ich nicht am Parteibuch festmachen, sondern tatsächlich an den politischen Vorgaben, die der jeweilige Minister den Mitarbeitern in seinem Hause gibt, wie parlamentarische Anfragen zu beantworten sind.

War das Problem in den letzten Jahren im Bundestag auch die zahlenmäßige relative Unterlegenheit der Opposition, die zahlenmäßig kleine Anzahl von Oppositionspolitikern, dass dann zu wenige Antworten geliefert wurden?

Das kann ich mir nun eigentlich nicht vorstellen. Sie haben völlig recht: Die Opposition war zahlenmäßig sehr klein, hat bestimmte Rechte, nämlich eine Normenkontrollklage zum Beispiel beim Verfassungsgericht, gar nicht nutzen können, um festzustellen, ob Gesetze verfassungswidrig sind. Das war ein großer Nachteil. Aber Fragen von Abgeordneten müssen beantwortet werden, egal ob eine Fraktion 30 oder 120 Abgeordnete hat. Das kann nicht als Begründung herhalten. Die entscheidende Frage ist, ob Antworten wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet werden, und da hoffe ich, dass das Urteil dazu führt, dass die Bundesregierung ihre bisherige Praxis nicht nur überprüft, sondern auch deutlich ändert.

Hängt das dann auch davon ab, wer in der Regierung sitzen wird? Glauben Sie zum Beispiel, mit den Grünen in der Bundesregierung, die ja auch geklagt haben gegen die, sagen wir mal, mangelnde Auskunftsfreudigkeit, dass das besser wird mit den Grünen in der Regierung?

Das kann man nur hoffen, dass die Grünen sich dann noch an das erinnern, was sie in der Opposition gemacht haben. Leider zeigt die Erfahrung ja, dass es doch manchmal sehr schnell geht, dass, wenn man die Seiten wechselt, damit auch die Perspektive der parlamentarischen Kontrolle, die man vorher selbst ausgeübt hat, möglicherweise jetzt als eher hinderlich angesehen wird, um seine Position durchzusetzen. Da kann man gespannt sein. Ich wage da keine endgültige Prognose. Aber ich glaube, Regierungen neigen dazu, nicht alles preiszugeben, was sie eigentlich tatsächlich preisgeben müssten an Informationen, und ich befürchte, das wird auch in der kommenden Regierung, wie auch immer sie aussieht, nicht ganz anders sein.

Der Linken-Politiker André Hahn heute Abend bei uns im Deutschlandfunk. 

Deutschlandfunk,