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Das muss in Zukunft drin sein

Interview der Woche von Katja Kipping,

 

Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion und Vorsitzende der Partei DIE LINKE, im Interview der Woche über die "Linke Woche der Zukunft", Demokratisierung, Sozialismus 2.0, die Kampagne "Das muss drin sein" und ein solidarisches Europa

 

Vergangene Woche haben Sie sich Gedanken über die Zukunft gemacht. Was war da los?

Katja Kipping: Unter dem Dach der "Linken Woche der Zukunft" haben in Berlin letzte Woche weit über 1000 Menschen bei über 80 Veranstaltungen ganz unterschiedliche Themen – von der Zukunft der sozialen Sicherung, über die notwendige Kulturrevolution in der Arbeit, damit die Arbeit um das Leben kreist und nicht das Leben um die Arbeit, über Klimagerechtigkeit, solidarische Ökonomie, die Auswirkungen der digitalen Revolution bis hin zu den Perspektiven der Demokratie – diskutiert. Es waren sehr spannende Diskussionen mit kritischen Köpfen aus Bewegungen, Gewerkschaften, Kunst, Wissenschaft und aus allen Strömungen der Partei. Und natürlich haben wir nicht nur darüber diskutiert, wie wir die Verhältnisse zum Tanzen bringen können, sondern auch selber getanzt und gefeiert. Solch ein Ereignis, wo wir jenseits des starren Korsetts von Parteitagen, so umfassend und offen über die Zukunft diskutieren, hat es seit dem Bestehen der LINKEN noch nicht  gegeben. Dass die Zukunftswoche ihren Anspruch, ein Labor für linke Ideen im Allgemeinen und die linke Partei der Zukunft im Besonderen zu sein, erfüllt hat, freut mich sehr.

Die Themenpalette war ziemlich breit. Ist es gelungen, das alles unter einen Hut zu bekommen?

Ja, das ist gut gelungen. Denn, wie Bernd Riexinger und ich auch in unserem Zukunftsmanifest formuliert haben: Der Widerspruch zwischen den technischen und sozialen Möglichkeiten eines guten Lebens für alle und der öden Wirklichkeit im Krisenkapitalismus schafft heute eine Spannung, die auf die Chance einer demokratische Neubegründung des sozialistischen Projektes als Ganzes verweist – in zahlreichen Bewegungen und Initiativen zeigt sich heute bereits (digital wie analog) der Wunsch nach einer umfassenden Demokratisierung aller Lebensbereiche. Das ist ein Projekt für das ein neuer, lustvoller und pluraler Sozialismus, gewissermaßen ein Sozialismus 2.0, die nötige Infrastruktur bereitstellen kann. Wir haben letzte Woche gemeinsam begonnen diesem Projekt Gestalt zu geben.

Das Spektrum der Referierenden und Input-Gebenden war ebenso breit – ein explizites Angebot an mögliche Bündnispartner auch in der Tagespolitik?

Ja, auf jeden Fall. Wir begreifen uns nicht als den einzigen Akteur linker Politik, sondern als einen parteipolitischen Teil der Mosaiklinken. Deswegen ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Bewegungen ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses für die linke Partei der Zukunft. Bei den Diskussionen hat sich gezeigt: In den anstehenden Auseinandersetzungen für ein solidarisches Europa, gegen Rassismus und Prekarisierung bieten sich in den nächsten Monaten zahlreiche Ansatzpunkte zu praktischen Kooperationen. Aber Kooperationsmöglichkeiten gibt es auch darüber hinaus: Denn die Diskussionen letzte Woche haben gezeigt, wenn wir endlich einen sozialen Kurswechsel in Europa und eine ökologische Energiewende durchsetzen wollen, braucht es einen Bruch mit dem derzeitigen Entwicklungsmodell in Europa – und dass es daran, auch außerhalb unserer Partei, viel Interesse gibt, hat die Linke Woche der Zukunft gezeigt. So erreichte uns aus allen möglichen Richtungen der Ruf, am 20. Juni, dem Tag des Flüchtlings, in Berlin ein Zeichen zu setzen für ein solidarisches Europa ohne mörderisches Grenzregime, ohne Austerität und ohne TTIP.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Ergebnisse des Kongresses produktiv weiterentwickelt, geknüpfte Kontakte gepflegt, Gesprächsfäden weitergesponnen werden?

Zum einen wird es natürlich eine Dokumentation der Beiträge und Diskussionen im Internet geben, die wir in die weitere Partei- und Strategieentwicklung einfließen lassen und die bei Regionalkonferenzen weiter diskutiert werden sollen. Zum anderen sind am Wochenende einige Initiativen entwickelt und diskutiert worden, die wir nun konkret weiterverfolgen wollen. Dazu gehört Idee zur Schaffung eines eigenen Internet-TVs – das wir ganz im Sinne der Schaffung eines Europas von Unten, womöglich zusammen mit den Genoss*innen von Syriza, starten könnten. Damit könnten wir von der Meinungsmacht der Medien unabhängiger werden und zugleich der dunklen Seite des Internets, den Verschwörungstheorien und Hetzportalen, mit eigenen Angeboten entgegentreten. Und jenseits aller guten Ideen und Konzepte braucht die Entwicklung der LINKEN natürlich die praktische Beteiligung von allen. Denn nur als aktive Mitgliederpartei können wir die geplante Kampagne umsetzen, die nötigen Kämpfe führen und unsere Verankerung im Alltag der Menschen verbreitern.

Worum geht es in der Kampagne?

Kurz gesagt: Wir wollen nicht um Almosen betteln, sondern für Selbstverständlichkeiten in einem so reichen Land wie diesem streiten. Deswegen treten wir ein für ein Gesetz gegen sachgrundlose Befristungen und Leiharbeit. Wir streiten für die Abschaffung der Sanktionen durch die Job-Center und eine soziale Mindestsicherung anstelle von Hartz IV. Wir kämpfen für eine gerechte Verteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung statt Dauerstress und Burn-out. Und wir wollen Wohnungen und Energie bezahlbar machen und mehr Personal bei Bildung, Pflege und Gesundheit einstellen. Denn das muss drin sein. Das mag heute erstmal unrealistisch klingen, aber beim Mindestlohn haben wir bereits gezeigt, dass wir kämpfen können. Als wir diese Forderung zuerst gestellt haben, waren wir damit fast allein. Heute kommt niemand mehr daran vorbei.

Wie fließen die Themen der Kampagne in die Arbeit der Bundestagsfraktion ein? Sprich: Gibt es einen parlamentarischen Output und wie wird der aussehen?

Ja, die Schwerpunktsetzungen der Kampagne (wie beispielsweise der Kampf gegen Befristung und Leiharbeit oder für bezahlbaren Wohnraum und Energieversorgung) sollen jeweils durch entsprechende Anträge und Anfragen begleitet werden. So können sich Kampagnenarbeit auf der Straße und die Arbeit der Fraktion im Parlament gegenseitig verstärken und unterstützen. Das könnte ein gute Blaupause für eine lebendige Verbindung von parlamentarischer Arbeit, Protestbewegung und politischer Aufklärung sein. Insofern ist die Kampagne auch eine große Chance für uns deutlich zu machen, dass wir uns von den parteipolitischen Varianten der Postdemokratie deutlich unterscheiden.

Letztlich geht es ja um Mehrheiten, wenn Sie etwas bewegen wollen. Glauben Sie, dass die Einladung zum Dialog und das Entwickeln von Alternativen, wie Sie es mit der Linken Woche der Zukunft und der Kampagne »Das muss drin sein« angestoßen haben, einen Stimmungsumschwung ermöglichen und echte Perspektiven für einen Politikwechsel bieten könnten?

Ja, denn eine wichtige Erfahrung des südeuropäischen Frühlings ist ja gerade, dass die Menschen die Fesseln, die sie an einem selbstbestimmten Leben für alle hindern, selbst durchtrennen müssen. Peter Weiss schrieb treffend in "Die Ästhetik des Widerstandes": "Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen." Sich ausschließlich auf klassische Stellvertreterpolitik zu reduzieren, muss daher scheitern. Das wäre auch schon deshalb falsch, weil eine solche Fokussierung an dem weitverbreiteten Bedürfnis vieler Menschen nach einer Erneuerung der Demokratie vorbeigeht. Die Einladung zum Dialog und zur Mitentwicklung von Alternativen ist insofern etwas, dass wir in Zukunft noch ausbauen wollen.


linksfraktion.de, 27. April 2015