Zum Hauptinhalt springen

Das Manifest des Chef-Linken Oskar Lafontaine

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Das Kommunistische Manifest ist "hochaktuell", die deutsche Außenpolitik fatal, Rentner werden verhöhnt. Oskar Lafontaine holt zum Rundumschlag aus. DIE WELT sprach mit dem Linken-Chef über die mögliche Enteignung von Aktionären, die SPD und seinen geplanten Angriff auf das Saarland.

Herr Lafontaine, für die SPD waren Sie Ministerpräsident, Parteichef und Kanzlerkandidat, nun sind Sie Frontmann der Linken. Im September werden Sie 65. Zeit für die Rente?

Das wünschen sich meine Gegner. Aber ich muss sie enttäuschen. Solange ich gesund bin, werde mich noch viele Jahre dafür engagieren, dass sich Deutschland nicht weiter in die falsche Richtung bewegt. Das trifft besonders für die Sozialpolitik zu. Auch unsere Außenpolitik ist fatal, weil sie völkerrechtswidrige Kriege im Irak und in Afghanistan unterstützt.

Die Redlichkeit Ihrer Motive wird bezweifelt. Besteht Ihre Antriebskraft darin, die SPD zu demütigen?

Das wäre billig.

Sie treiben die Sozialdemokraten vor sich her, drücken Sie nach links, um sie noch stärker zu verhöhnen.

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wer den Rentnerinnen und Rentnern bei einer Preissteigerung von 3,5 Prozent eine Rentenerhöhung von 1,1 Prozent anbietet, der verhöhnt sie. Die Linke hat die Politik in Deutschland insgesamt verändert. Von der CDU über die FDP bis hin zur SPD. Selbst der Bundespräsident redet anders, seitdem es uns gibt. Das widerlegt doch die Vermutung, wir wären allein auf die Sozialdemokraten fixiert.

Gibt es etwas, was SPD-Chef Kurt Beck richtig macht?

Er hat das Dogma gekippt, wonach die SPD in den Landtagen im Westen nicht mit uns koalieren durfte. Das war politisch notwendig.

Aber Beck schwächelt. Wird Vizekanzler Steinmeier, Umweltminister Gabriel oder Berlins Regierender Wowereit künftig der stärkste Mann der SPD?

Steinmeier ist einer der Architekten der Agenda 2010. Er sollte diese Position aufgeben. Sie passt nicht zur Sozialdemokratie. Gabriel hat in der Umweltpolitik eine Reihe von Flops hingelegt. Wowereit will die Linke vorführen. Im Übrigen ist Kurt Beck Parteivorsitzender.

Viele Ihrer Genossen setzen auf Wowereit als Kanzlerkandidat bereits für 2009. Wäre er Garant für ein Linksbündnis im Bund?

Sie wollen mich aufs Glatteis führen. Zum Kanzlerkandidaten der SPD äußere ich mich nicht. Wir zeigen gerade, dass man aus der Opposition heraus regieren kann. Die Veränderungen bei Mindestlohn, Arbeitslosengeld, Rentenerhöhung, Kinderzuschlag oder Wohngeld sind auf unseren Druck zurückzuführen. Aber wir wollen mehr. Die Politik der großen Koalition ist gescheitert. Obwohl die Wirtschaft wächst, sinken Löhne und Renten. Das gab es noch nie. Das ist eine Folge der Agenda-2010- und Hartz-IV-Politik.

Werden Sie überhaupt dem nächsten Bundestag angehören?

Das kommt darauf an. Ich will Ministerpräsident im Saarland werden. Es ist gut möglich, dass wir zweitstärkste Partei werden. Bei der letzten Bundestagswahl erreichten wir gut 18 Prozent. Jetzt sind wir den Umfragen zufolge stärker.

Regierungschef können Sie nur mit der SPD werden. Die will Ihnen aber nicht den Steigbügel halten.

Das ist das Problem der SPD. Ich kenne die Sozialdemokraten im Saarland gut. Denen wird es nicht schmecken, Juniorpartner der CDU zu sein.

In der Linkspartei wird Ihnen ein schlichter ”Nicht-mit-uns”-Kurs vorgeworfen. Berlins Landesparteichef Lederer sieht Sie damit auf dem Weg in die Sackgasse.

Gerade haben wir über eine Regierungsbeteiligung gesprochen. Das ist das Gegenteil von ”Nicht-mit-uns”. Und zum ”Weg in die Sackgasse”: Die Linke gewinnt Wähler und Mitglieder. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Realpolitiker aus dem Osten spotten über ”Lafontaines Luftschlösser”, die weit über 100 Milliarden Euro kosten. Zusätzlich soll der Parteitag Ende Mai ein 50 Milliarden teures Konjunkturprogramm beschließen. Populismus pur?

Wir wollen ein anderes Steuer- und Abgabensystem: höhere Steuern auf große Vermögen, große Erbschaften, hohe Einkommen und Börsenumsätze und geringere Steuern für mittlere Einkommen, Kleinbetriebe und Verbraucher. Wir wollen die Steuer- und Abgabenquote auf europäisches Durchschnittsniveau heben. Das bedeutet Mehreinnahmen von 120 Milliarden in den öffentlichen Kassen. Das ist gerechte und solide Finanzpolitik. Luftschlösser sehen anders aus.

Keiner weiß, was die Linke wirklich will. Denn Sie haben kein Parteiprogramm. Beim Streit um die Inhalte wäre die Fusion von Wahlalternative WASG und PDS gescheitert.

Wenn sich zwei Parteien vereinen, gibt es immer Abstimmungsbedarf. Das ist ganz normal. Aber in unseren Kernforderungen besteht hohe Einmütigkeit. Die Bundestagsfraktion hat mehr als 100 Anträge im Parlament gestellt. Die liegen schriftlich vor, das kann man alles nachlesen. Die anderen Parteien übernehmen nach und nach unser Programm.

Sie verschleiern, dass ein Programm fehlt. Werden Sie darin die Wiederverstaatlichung von Post und Telekom fordern?

Neben den vielen Vorschlägen der Bundestagsfraktion haben wir die programmatischen Eckpunkte, die in der Mitgliederabstimmung mit großer Mehrheit gebilligt worden sind. Dass Post und Telekom in öffentlichem Besitz waren, hat sich über viele Jahre bewährt. Auch die Bahn sollte in Staatsbesitz sein.

Die Linke will auch den Stromsektor verstaatlichen. Wie soll das etwa bei Eon gehen? Der Konzern ist gut 80 Milliarden Euro wert. Wollen Sie die Aktionäre enteignen oder entschädigen?

Die neoliberale Privatisierung der Energiewirtschaft führt zu Monopolpreisen und zu Abzockerei. Die Stromnetze gehören in die öffentliche Hand. Wichtig ist, dass Städte und Gemeinden keine weiteren Anteile ihrer Stadtwerke an private Unternehmen veräußern. Darüber hinaus müssen die Strompreise wieder wie bisher staatlich genehmigt werden. Die Veränderung der Eigentumsstrukturen kann nur schrittweise erfolgen.

Ins neue Parteiprogramm wollen Sie ”zwei bis drei Passagen aus dem Kommunistischen Manifest” aufnehmen. Welche?

... die Bourgeoisie, das Kapital ”hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohl erworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.”

Der Rückgriff auf diese Kampfschrift zeigt, dass die Linke keine neue Partei ist. Sie schleppt noch den Ballast der alten Staatspartei SED mit sich.

Die Sätze des kommunistischen Manifestes sind doch hochaktuell. Meinen sie nicht auch? Sie wollen uns doch nur die DDR an die Backe kleben. Das sind olle Kamellen, die im Westen kaum einen interessieren. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Mauer vor fast 20 Jahren gefallen ist. Sie wühlen gerne in der Vergangenheit.

Sie ist lebendig. Jeder zehnte Linksabgeordnete im Bundestag und in den Ost-Landtagen war Stasi-Spitzel oder hatte solche Kontakte. Die Fraktionen sind damit stärker mit Mielkes Leuten durchsetzt als prozentual gesehen es die DDR-Bevölkerung war.

Die CDU hat zwei SED-Blockparteien geschluckt, ohne das jemals aufgearbeitet zu haben. Das gleiche gilt für die FDP. Insofern würde ich Sie bitten, erst einmal bei der Konkurrenz zu schauen. Die alleinige Zuweisung der DDR-Vergangenheit an die Linke ist die verlogene Propaganda dieser Parteien.

Wir schauen uns alle Verstrickungen an. Aber CDU und FDP haben keine Leute mit Stasi-Biografie in den Parlamenten. Bei der Linken können wir Ihnen 20 Namen aufzählen.

Offenbar kennen Sie die Fälle der anderen Parteien nicht, da sie auf die Linke fixiert sind. Auch Journalisten waren Stasi-Spitzel. Eine ehemalige FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda ist heute Kanzlerin. Hätten sie das für möglich gehalten?

Stasi und FDJ kann man nicht gleichsetzen. Im Westen hat Ihr Personal oft ebenfalls eine irrlichternde Vergangenheit. Brauchen Sie die versprengten Links-Orthodoxen und Alt-DKP'ler?

Das war und ist auch ein Problem von SPD und Grünen. Ehemalige Mitglieder des Kommunistischen Bundes wurden sogar Minister. Und CDU und FDP hatten Rechtsorthodoxe und versprengte Alt-NSDAPler in ihren Reihen. Die wurden, man will es gar nicht glauben, sogar Außenminister, Kanzler und Bundespräsident.

Jetzt tauchen Sie aber ganz tief in die Vergangenheit. Jüngst hat eine Hamburger Linksabgeordnete den Dalai Lama mit Khomeini verglichen. Sind solche Entgleisungen symptomatisch?

Das sind sie nicht. Zugegeben: es gibt auch bei uns immer wieder Äußerungen, die mehr oder weniger klug sind. Aber das kennen wir in allen Parteien. In Baden-Württemberg ist ein Ministerpräsident im Amt, der Filbinger zum Widerstandskämpfer im Dritten Reich erklärt hat.

Sie weichen stets aus und zeigen mit dem Finger auf andere. Warum sind Menschenrechtsfragen in Ihrer Partei so unterbelichtet? Warum prangern Sie nicht entschieden die Vergehen in China an?

Überall, wo Menschenrechte und Freiheit verletzt werden, prangern wir das an. In China genauso wie in den USA. Wer das US-Lager Guantanamo kritisiert, kann nicht schweigen, wenn der Widerstand in Tibet gewaltsam niedergeschlagen wird.

Muss man als Linker nicht einen Olympia-Boykott fordern?

Ein Boykott bringt nichts. Man würde der Bevölkerung nur die Möglichkeit nehmen, mit Besuchern und Sportlern in Kontakt zu treten. Der Sport soll Völker verbinden. Gleichwohl halte ich es für richtig, dass gegen die Unterdrückung in Tibet protestiert wird.

Bei Ihrem Kuba-Besuch 2007 war von Protesten gegen Menschenrechtsverletzungen nichts zu hören.

Ich habe mich in Kuba dazu auch öffentlich geäußert.

Während Sie mit dem Diktatur Castro den Schulterschluss üben, beschimpfen Sie US-Präsident George W. Bush als Terroristen.

Castro ist, soviel ich weiß, in Rente. Was den US-Präsidenten anbelangt habe ich bloß den Bundestag zitiert, der beschlossen hat, dass Herr Bush ein Terrorist ist. Das Gesetz sagt: ein Terrorist ist, wer rechtswidrig Gewalt anwendet, um politische Ziele durchzusetzen.

Eine wirre Logik. Werden Sie deshalb zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet?

Sie haben eine wirre Logik, da sie mit zweierlei Maß messen. Da lobe ich mir doch den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer, der fragt, warum Bush nicht vor ein internationales Strafgericht gestellt wird. Zum Verfassungsschutz: Nach Aussage der saarländischen Landesregierung werde ich nicht mehr beobachtet. Sehr wohl aber schnüffeln die Verfassungsschützer anderen Mitgliedern unserer Fraktion hinterher. Die Praxis, insbesondere Parlamentarier durch den Verfassungsschutz überwachen zu lassen, kennzeichnet Bananenrepubliken.

Interview: Martin Lutz und Uwe Müller

Die Welt, 14. April 2008