Zum Hauptinhalt springen

»Das ist nicht mein Gesetz!«

Im Wortlaut von Katrin Werner,

 

Von Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Das Bundesteilhabegesetz der Bundesregierung verdient seinen Namen nicht. Es verbessert die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kaum. Leistungen sind immer noch abhängig vom Geldbeutel der Betroffenen, das Wunsch- und Wahlrecht wird unter Kostenvorbehalte gestellt und der leistungsberechtigte Personenkreis wird stark eingeschränkt. Das hat nichts mit der Verwirklichung von Menschenrechten zu tun, das ist ein Spargesetz!

Nach einem langen Beteiligungsprozess mit unzähligen Anhörungen und Veranstaltungen, bei denen Betroffene angehört wurden, ist die Enttäuschung bei den Selbstvertretungsorganisationen enorm. Sie sprechen von einem Pseudobeteiligungsprozess und fühlen sich hinters Licht geführt. Die berechtigten Wünsche und Forderungen sind nicht erfüllt worden. Inzwischen wurde bei vielen Aktionen und Demonstrationen unter dem Motto „Nicht mein Gesetz!“, die Forderung nach einer Rücknahme des Gesetzesentwurfs laut.

Die Anrechnung von Vermögen und Einkommen auf Teilhabeleistungen wird zwar verbessert, insgesamt bleiben Leistungen jedoch abhängig vom Geldbeutel der Betroffenen. Das führt zwangsläufig zu Altersarmut. Eine private Altersvorsorge ist auch mit den neuen Einkommens- und Vermögensgrenzen kaum möglich. Dass das Einkommen und Vermögen des Partners nicht mehr angerechnet werden soll, ist zwar ein erster richtiger Schritt, aber von einer tatsächlichen Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit sind wir immer noch weit entfernt.

Betroffene befürchten, dass durch die neuen Regelungen viele Menschen von Teilhabeleistungen ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass es weder eine Erweiterung noch eine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises geben soll. Hier gilt es sie beim Wort zu nehmen!

Das Wunsch- und Wahlrecht wird stark eingeschränkt. Das widerspricht ganz deutlich dem Artikel 19 der UN- Behindertenrechtskonvention, der eine unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft mit gleichen Wahlmöglichkeiten, insbesondere die des Aufenthaltsorts, zu gewähren verspricht.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kann es passieren, dass Menschen mit Behinderungen zukünftig nur noch die Kosten für die Hilfe in der eigenen Wohnung erstattet werden, wenn diese nicht höher sind als im Heim. In Heimen lebende Menschen haben somit auch keine Chance mehr, dort herauszukommen.

Hinzu kommt, dass durch den neuen Gesetzentwurf zum Pflegestärkungsgesetz III Menschen, die in ambulant betreuten Wohngemeinschaften leben, zukünftig statt bisher 1612 Euro nur noch 266 Euro aus der Pflegeversicherung zur Verfügung haben werden. Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben somit nicht mehr die Möglichkeit, ambulant zu leben. Ein Daheim statt im Heim wird dadurch unmöglich.

Die Bundesregierung hatte versprochen, ein modernes Teilhaberecht zu schaffen, das aus dem Fürsorgesystem herausführt. Dieses Ziel wurde mit dem vorliegenden Kabinettsbeschluss nicht erreicht – ganz im Gegenteil. Wir bekommen hier ein Gesetz vorgelegt, das noch mehr an Verwaltungs- und Bürokratiehürden schafft als zuvor und mit Begrifflichkeiten wie „Zumutbarkeit“ und „Kostenvorbehalt“ letztendlich auf Kosten von Menschen mit Behinderungen geht.

 

linksfraktion.de, 28. Juni 2016