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„Das ist latente Ausländerfeindlichkeit“

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

Wolfgang Neskovic,rechtspolitscher Sprecher der Fraktion DIE LINKE., im Interview mit der Lausitzer Rundschau vom 17. Februar 2007.

Der Fall Kurnaz hat in den vergangenen Wochen erneut Schlagzeilen gemacht. Wolfgang Neskovic (58), parteiloser Cottbuser Abgeordneter der Linksfraktion und Mitglied des BND-Untersuchungsausschusses, erhebt im RUNDSCHAU-Interview schwere Vorwürfe gegen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Herr Neskovic, kürzlich sind in Ihrem Büro im Bundestag zwei mikrofonartige Gegen-stände gefunden worden. Hat sich inzwischen herausgestellt, was es damit auf sich hatte«
Nein. Es ist festgestellt worden, dass die Mikrofone ohne zusätzliche Geräte für sich allein nicht geeignet waren, Abhörfunktionen wahrzunehmen. Wer wann und zu welchem Zweck diese Mikrofone dort platziert hat, ist nicht aufgeklärt worden. Ich habe für mich beschlossen, die Sache einfach zu vergessen.

In den ersten Reaktionen wurde von manchen eine Verbindung zu Ihrer Arbeit im BND-Untersuchungsausschuss vermutet. Dort gelten Sie als hartnäckiger Ermittler, haben als erster den Rücktritt des Außenministers gefordert . . .
Aber nur unter zwei Bedingungen. Ich habe immer gesagt: Wenn es richtig ist, dass Steinmeier dafür verantwortlich ist, dass Kurnaz vier zusätzliche Jahre in der Hölle von Guantánamo hat schmoren müssen und wenn er dafür keine plausible Erklärung geben kann, dann müsste er zurücktreten. Das Grundgesetz verpflichtet alle staatliche Gewalt darauf, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Kurnaz ist auf Guantánamo seiner Menschenwürde beraubt worden - das wird von niemandem bestritten. Somit bestand die dringende Verpflichtung, wenn es Handlungsmöglichkeiten gab, ihn dort rauszuholen - und zwar völlig unabhängig von der Staatsbürgerschaft.

Halten Sie zum jetzigen Zeitpunkt die beiden Bedingungen für erwiesen»
Wir müssen noch eine ganze Reihe Zeugen hören. Leider verweigert uns die Regierung nach wie vor - nach meiner Meinung rechtswidrig - die Herausgabe zahlreicher Akten, darunter jene, die nachrichtendienstliche Lagebeurteilungen betreffen. Wir wissen zurzeit nicht, was am 29. Oktober 2002 geschehen ist. Das ist die Sitzung, von der behauptet wird, dass eine Einreisesperre gegen Kurnaz verhängt worden ist. Dazu hat der Ausschuss keine Unterlagen. Ich halte es für unerträglich, dass uns die Regierung derart blockiert.

Die Erklärungen Steinmeiers zum Fall Kurnaz scheinen widersprüchlich . . .
Sie sind eindeutig widersprüchlich. So hieß es zum Beispiel ursprünglich, es habe unerfüllbare Bedingungen der USA zur Freilassung von Kurnaz gegeben. Jetzt heißt es, es habe gar kein Angebot gegeben. Aber wenn es kein Angebot gegeben hat, dann kann es doch auch keine Bedingungen gegeben haben.

Hat sich Kurnaz durch den Umstand, dass er vier Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nach Pakistan reiste und dort Kontakt zu islamischen Gruppen suchte, nicht selbst verdächtig gemacht«
Die Ermittlungen der Bremer Staatsanwaltschaft, die den Vorwurf geprüft hat, ob Kurnaz Mitglied einer kriminellen Vereinigung war, blieben ergebnislos. Damit sind die vermeintlichen Verdachtsmomente, die gegen Kurnaz in den vergangen Tagen von der SPD in die öffentliche Diskussion eingebracht worden sind, von der zuständigen Sicherheitsbehörde als nicht belastbar eingestuft worden.
Wann bestand Klarheit, dass Kurnaz kein Sicherheitsrisiko ist»
Schon vor dem 29. Oktober 2002 war das klar. Deshalb sind für uns die Unterlagen der Lagebesprechung von diesem Tag von Bedeutung. Wie haben sich die Entscheidungsträger - mit dem Wissen, dass es keine belastbaren Verdachtsmomente gegen Kurnaz gab - verhalten« Das ist die entscheidende Frage.

Weiß man denn heute, was Kurnaz im Oktober 2001 in Pakistan wollte»
Er hat uns glaubhaft dargestellt, dass er auf religiöser und persönlicher Sinnsuche war. Die Glaubensrichtung der „Tablighi Jamaat“, zu der er sich hingezogen fühlt, hat dort ihre wichtigsten Koranschulen. Sie gilt nicht als Rekrutierungsbecken für Terroristen. Ich habe allerdings den Eindruck, dass von einigen, die Steinmeiers Verhalten verteidigen, bewusst ein solcher Eindruck erweckt wird.

Was sagen Sie zu dem Argument, deutsche Behörden hätten sich nicht um Kurnaz kümmern müssen, da er nicht deutscher, sondern türkischer Staatsbürger ist«
Ich bin entsetzt darüber, dass ein wesentlicher Teil der Verteidigungslinie von Steinmeier darauf hinausläuft. Kurnaz‘ soziale Heimat ist Deutschland und nicht die Türkei. Er wurde hier geboren, wuchs hier mit seinen drei Geschwistern bei den Eltern auf. Dass Steinmeier dennoch so argumentiert, ist aus meiner Sicht eine für einen Sozialdemokraten unanständige Haltung. Er macht nämlich nichts anderes, als latente Ausländerfeindlichkeit für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Das finde ich infam.

Ist es rechtlich geregelt, dass sich der deutsche Staat um Bürger kümmern muss, die ihre soziale Heimat in Deutschland haben, auch wenn sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen»
Kurnaz hat eine Aufenthaltsberechtigung gehabt - und zwar eine unbeschränkte. Daraus ergibt sich in Verbindung mit Artikel 1 des Grundgesetzes die rechtliche Verpflichtung zum Handeln. Kurnaz befand sich in Guantánamo in einer menschenrechtswidrigen Situation, sodass die Bundesregierung bei dieser Sachlage verpflichtet war, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, ihn aus dieser Hölle zu befreien.

Gibt es Erkenntnisse, ob die Türkei bereit war, ihrem Staatsbürger zu helfen«
Dieser Frage müssen wir noch nachgehen. Der Vorwurf gegen Steinmeier und die anderen Beteiligten, würde eine andere Qualität bekommen, wenn feststünde, dass sie bei ihrer Entscheidung, Kurnaz nicht in Deutschland einreisen zu lassen, davon ausgegangen wären, dass die Türkei ihn aufnehmen würde.

Gab es 2002 ein „echtes Angebot“ von Seiten der USA zur Freilassung von Kurnaz»
Wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt auf diese Frage antworten würde, beginge ich Geheimnisbruch. Der Untersuchungsausschuss hat vorbehaltlich der Zustimmung der Bundesregierung beschlossen, dass die Protokolle veröffentlicht werden sollen. Dann kann sich jeder selbst ein Bild machen. Ich glaube, es wird sich herausstellen, das eine Handlungsmöglichkeit für Steinmeier bestand, Kurnaz nach Deutschland zu holen. Fest steht auch, dass sie nicht genutzt wurde. Ich bin gespannt, mit welchen Argumenten Steinmeier bei seiner Vernehmung dies zu rechtfertigen sucht.

Vieles spricht dafür, dass es keine öffentliche Sitzung, sondern eine Vernehmung hinter verschlossenen Türen wird.
Ich befürchte das auch. Nach ein paar wolkigen Erklärungen wird Steinmeier mit ziemlicher Sicherheit auf angebliche Geheimhaltungsinteressen verweisen, um dann - wie schon im Fall El Masri - hinter die verschlossen Türen des Ausschusses zu flüchten. Das wird dann weiter zur Desinformation der Öffentlichkeit beitragen.

Mit WOLFGANG NESKOVIC sprachen Tim Albert und Veikko Rößler