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»Das ist für uns eine unmittelbare Forderung«

Im Wortlaut von Werner Dreibus,

Die Linksfraktion will Anhebung des ALG II auf 435 Euro - die Parteispitze fordert aber

weit mehr mehr. Ein Gespräch mit Werner Dreibus.

Ihre Fraktion hat am Dienstag ein von Ihnen eingebrachtes »Antikrisenprogramm« verabschiedet. Darin steht die Forderung nach Anhebung von Arbeitslosengeld II (ALG II) auf 435 Euro und die Einführung eines Mindestlohns von 8,71 Euro. Warum fällt die Fraktion damit hinter den Parteivorstand zurück, der schon 500 bzw. zehn Euro fordert? Diese Zahlen hat Partei- und Fraktionschef Oskar Lafontaine noch gestern bestätigt.

Dieser scheinbare Widerspruch ist doch ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Partei und Parlamentsfraktion. Die hat den Antrag am gestrigen Mittwoch in den Bundestag eingebracht. Der Parteivorstand wiederum hat eine Position beschlossen, die über die Bundestagswahl hinaus für die kommende Legislaturperiode als Orientierung dient.

Warum hat die Fraktion denn auf die weitergehende Forderung verzichtet?

Wir verzichten überhaupt nicht darauf. Unsere Forderungen gelten für die konkrete Situation - sie sind nämlich durchaus finanzierbar. Sie stimmen auch mit dem überein, was wir in den letzten Wochen in anderen Anträgen und Aktivitäten eingebracht haben. Auch die Wohlfahrtsverbände verlangen die sofortige Anhebung des ALG II auf 435 Euro - sie verstehen das wie wir als unmittelbare und keineswegs mittelfristige Forderung.

Ihr Antrag fällt doch sowieso durch. Was hätte Sie gehindert, sich dem Parteivorstand anzuschließen?

Wenn ich einen Antrag stelle, kann ich nicht von Anfang an davon ausgehen, daß er abgewimmelt wird. Ich erwarte immer noch, daß Sozialdemokraten und Grüne endlich einmal ernst nehmen, was sie öffentlich erzählen. Wenn sie das tun, können sie unserem Antrag nur zustimmen. Die erste Gelegenheit dazu haben sie am Freitag im Bundestag, die zweite und die dritte Lesung folgen wahrscheinlich noch im April.

Samstag nächster Woche finden in Frankfurt/Main und Berlin große Kundgebungen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für Eure Krise« statt. Meinen Sie, daß die Demonstranten die Zurückhaltung der Linksfraktion richtig verstehen?

Ich glaube nicht, daß es den Demonstranten um Einzelforderungen geht. Bei den Protesten dreht es sich ja nicht um 8,71 Euro Mindestlohn, sondern in erster Linie um das generelle Problem, daß wir eine Politikwende brauchen, um diese Krise zu bewältigen. Das kommt so auch im Motto zum Ausdruck.

Aktivisten aus sozialen Bewegungen - u. a. der Berliner Politologe Peter Grottian - kritisieren, die Linkspartei versäume es, sich bei Hartz-IV-Betroffenen oder Rentnern nachhaltig als deren Interessenvertreter zu profilieren. Daß die Fraktion hinter die Forderung des Parteivorstandes zurückfällt, scheint diesen Kritikern doch recht zu geben.

Entscheidend ist, was die Partei macht. Deren Positionen hat die Bundestagsfraktion dreieinhalb Jahre lang in zig Varianten in die politische Debatte eingebracht - wir haben uns damit durchaus als Interessenvertreter der Ärmeren profiliert.

Auch in Vorbereitung der Bundestagswahl geht es der Partei jetzt um eine Orientierung, die über den Sommer 2009 hinausgeht. Sie markiert damit die mittelfristigen Positionen. Und die Fraktion formuliert dann eben die kurzfristigen Alternativen.

In dem Antrag fällt das Wort »Arbeitszeitverkürzung«. Gibt es dazu konkretere Vorstellungen?

Das wäre ein wichtiger Hebel gegen die Auswirkungen der Krise. Arbeitszeitverkürzungen gibt es ja schon im großen Maßstab: Nach meiner Einschätzung haben wir allein in der Metall- und Elektroindustrie zur Zeit 1,2 Millionen Kurzarbeiter.

Wir haben zwar keine konkrete Zahl genannt - aber die Arbeitszeitverkürzung muß die jetzt nicht genutzten Produktionskapazitäten auffangen. Andererseits muß sie so sozial sein, daß sie mit einem möglichst großen Lohnausgleich verbunden ist, der vor allem den unteren und mittleren Einkommen zugute kommen muß.

Interview: Peter Wolter

junge Welt, 19. März 2009