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»Das ist eine Kriminalisierung linker Aktivisten«

Im Wortlaut von Heike Hänsel, junge Welt,

Am Mittwoch wurde der Prozess gegen die deutsche Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu eröffnet, die in der Türkei inhaftiert ist und der die Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei, MLKP, vorgeworfen wird. Die ist in der Türkei als Terrororganisation verboten. Das war kein Haftprüfungstermin, trotzdem wurde die Frage der Freilassung behandelt. Wie ist der Termin, an dem auch gegen 17 Mitangeklagte verhandelt wurde, abgelaufen?

Heike Hänsel: Es waren zwei Prozesstage angesetzt. Die Verteidiger haben – aufgrund der dünnen Beweislage und der konstruierten Anklage – auch Antrag auf Haftentlassung gestellt. Dabei geht es erst mal um eine vorläufige Haftverschonung. Das haben die Richter – etwas überraschend – schon am Mittwoch entschieden, wir haben frühestens am Donnerstag mit einem Richterspruch gerechnet: Von den 18 Angeklagten wurden acht freigelassen, sechs mussten in Haft verbleiben. Vier waren ohnehin nicht in Untersuchungshaft.

Wie wurde diese Unterscheidung begründet?

Eine Begründung gab es vor Ort nicht, vielleicht wird sie den Anwälten noch schriftlich zugestellt. Das ging auch ganz schnell über die Bühne. Die Angehörigen waren zur Verkündung der richterlichen Entscheidung gar nicht zugelassen, sondern nur die Anwälte, zwei Personen aus dem Generalkonsulat und ich sowie einige Medienvertreter. Es war für uns eine rein willkürliche Entscheidung. Nicht mal in den Anklagepunkten und deren Schwere konnte man ein Muster erkennen, wer freikommt und wer nicht.

Was wird den Angeklagten noch zur Last gelegt?

Da findet eine Kriminalisierung linker Aktivisten statt. Mitangeklagten von Mesale Tolu wird beispielsweise vorgeworfen, an 1.-Mai-Demonstrationen oder Gedenkveranstaltungen für gefallene Kämpfer gegen den IS in Rojava teilgenommen zu haben. Das waren alles legale Veranstaltungen, polizeilich genehmigt, und nun wird ihnen daraus ein Strick gedreht, und es wird versucht, daraus »Terrorpropaganda« zu konstruieren.

Wie geht es Mesale Tolu?

Es geht ihr den Umständen entsprechend erstaunlich gut. Eine große Belastung ist für sie natürlich besonders die Situation ihres Kindes, dessen Vater auch in Haft ist. Der sitzt mit dem Journalisten Deniz Yücel und dem Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner im Gefängnis . Alleine die familiäre Belastung müsste Grund genug für die Hafterleichterung sein.

Trauen sich die Anwälte nach der willkürlichen Entscheidung überhaupt, eine Prognose zum Verfahren abzugeben?

Man kann hier wirklich nicht mehr von rechtsstaatlichen Verfahren reden. Meines Erachtens ist das ein politischer Schauprozess. Hier wird ein Exempel statuiert. Die Ansage ist nun auch klar rübergekommen: Die türkische Regierung ist nicht willens, Mesale Tolu freizulassen. Das ist meines Erachtens sowohl ein Schlag ins Gesicht der Familie als natürlich auch der Bundesregierung, die ja die Freilassung gefordert hat.

Wie gut kümmern sich das Generalkonsulat und noch wichtiger die deutsche Bundesregierung um Mesale Tolu?

Ich habe mit ihrer Familie gesprochen: Mesale Tolu wird von zwei Diplomatinnen regelmäßig betreut. Die Familie übt aber Kritik daran, dass dort nicht mehr politische Präsenz in Form des Botschafters gezeigt wird, und fragt sich, warum der Bundestag sich raushält. Bedenken Sie das Verhalten der Bundesregierung: Seit fünf Monaten ist das einzige was sie tut, an die Türkei zu appellieren, die Inhaftierten sofort freizulassen. Da wundert man sich, warum da keine deutlichen Ansagen gemacht werden und vor allem warum keine Entscheidungen in der Türkei-Politik getroffen werden.

Damit ist ja nun auch nicht zu rechnen, oder?

Das bisschen, was man in den vergangenen Monaten hörte, war vor allem Wahlkampfgetöse. In der »Wahlarena« in der ARD hat Angela Merkel, CDU, ja durchaus den Fall von Mesale Tolu angesprochen und auch auf die anderen Inhaftierten hingewiesen. Aber jetzt hört man sehr wenig. Auch Sigmar Gabriel, SPD, fordert zwar deren sofortige Freilassung, aber er war auch verantwortlich für den Anstieg der Rüstungsexporte in die Türkei. Nun heißt es zaghaft, man müsse schauen, ob man auf EU-Ebene Vorbeitrittshilfen einfriert. Wir erheben diese Forderungen seit mehreren Jahren: Stopp der Rüstungsexporte in die Türkei, Abzug der Soldaten aus Konya und keinerlei finanzielle Unterstützung der EU an das Erdogan-Regime.

junge Welt,