Zum Hauptinhalt springen

„Das ist doch albern!”

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Berlin - Er ist das Schreckgespenst der SPD und ein Lieblingsgegner der Union: Seit drei Wochen führt Oskar Lafontaine (63) die neu gegründete Partei „Die Linke”. Im Interview erklärt der frühere SPD-Vorsitzende, wie er seine Genossen in Regierungsverantwortung bringen will und warum er die scharfe Kritik an seiner Person „drollig” findet.

Die SPD bezeichnet Sie wechselweise als durchgedreht, demagogisch, geschichtsblind und arrogant. Ludwig Stiegler hat in Ihnen gar den „Wiedergänger Luzifers” erkannt. Fühlen Sie sich geschmeichelt, Herr Lafontaine?

Ich sehe in solchen Äußerungen einen bedauerlichen Ausdruck von Ratlosigkeit. Die Linke hat klare Ziele: Wir wollen die Renten wieder armutsfest machen, wir fordern eine Revision der Hartz-IV-Gesetze und die Beendigung von völkerrechtswidrigen Bundeswehr-Einsätzen. Außerdem wollen wir einen gesetzlichen Mindestlohn für Menschen, die in Deutschland ausgebeutet werden. Das sind unsere Kernforderungen. Wer diese Forderungen teilt, ist unser Partner.

Mit anderen Worten: Mit der SPD wird es keine Zusammenarbeit geben. Denn jede Ihrer Forderungen ist für die Sozialdemokraten unerfüllbar.

Wenn die SPD tatsächlich keine armutsfeste Rente und keine Mindestlöhne will, ist sie für uns kein Partner.

Hinter der Kritik der SPD steht der Vorwurf, Sie wollten lediglich alte Rechnungen begleichen.

Dieser Vorwurf fällt zurück auf jene, die ihn erheben. Wir haben klare Ziele, man kann uns beim Wort nehmen. Es ist bedauerlich, dass der SPD-Vorsitzende Kurt Beck seinen Mitgliedern einreden will, er könne den Mindestlohn in der nächsten Legislaturperiode mit der FDP durchsetzen, weil sich die Union verweigert.

Eine linke Mehrheit jenseits von Union und FDP gibt es bereits. Wann halten Sie eine rot-rote Koalition auf Bundesebene für denkbar?

In der Bevölkerung gibt es nicht nur eine linke Mehrheit, sondern auch eine Mehrheit für unsere Ziele. Ob Renten- oder Gesundheitsreform, Bundeswehr-Einsätze oder Steuern - die Bundesregierung macht eine Politik gegen die Mehrheit der Bürger.

Damit ist die Frage nach der Perspektive für Rot-Rot noch nicht beantwortet.

Für mich ist das eine inhaltliche Frage, keine zeitliche. Auch wenn die CDU/CSU jetzt das Schonvermögen für Arbeitslose erhöhen will und die SPD einsieht, dass die Rente mit 67 ein Fehler war: So lange die anderen Parteien Sozialabbau und Militäreinsätze befürworten, stehen wir für eine Koalition nicht zur Verfügung.

Für die Sozialdemokraten gibt es nicht nur ein inhaltliches, sondern vor allem ein personelles Problem: Ein Hauptgrund gegen Rot-Rot heißt „Lafontaine”.

Es wäre doch drollig und noch dazu apolitisch, zu sagen, man will eine richtige Politik nicht durchsetzen, weil einem die Nase von jemandem nicht passt. Auf eine solche Ebene will ich mich nicht begeben.

Sie selbst haben Vizekanzler Müntefering als „Großmaul” beschimpft. Jetzt wollen Sie ernsthaft behaupten, Sie könnten gut mit ihm zusammenarbeiten?

Selbstverständlich. Ich arbeite mit allen zusammen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen ...

... und die alten Antipathien sind vergessen?

Das ist doch albern! Sympathien oder Antipathien können nicht die Grundlage sein für politische Entscheidungen. Wir müssen wissen, was wir für richtig halten. Und wir müssen es gemeinsam durchsetzen.

Was bedeutet, wenn Sie sagen, man müsse „die Systemfrage stellen”?

Ein Beispiel aus der Umweltpolitik: Wir haben ein System, das auf mehr Verbrauch und Gewinnsteigerung ausgelegt ist, das stark expansiv ist und die Umwelt zerstört. Die Kriege im Vorderen Orient sind Ölkriege. Es geht nicht um Freiheit oder Demokratie, es geht um die Eroberung von Rohstoffquellen. Dieses System muss in die Schranken gewiesen werden. Wir wollen die Monopole auf dem Energiemarkt abschaffen, die Netze verstaatlichen, eine Preiskontrolle einführen und die Wasser- und Energieversorgung wieder in kommunale Hand geben.

Das hört sich an wie ein altes Parteiprogramm der Grünen. Wollen Sie die Öko-Partei links überholen?

Wir entwickeln unser eigenes Programm. Wenn die Grünen die grüne Marktwirtschaft fordern, dann ist das Wortgeklingel, so lange sie sich nicht dazu bekennen, dass wir einen starken Staat brauchen.

Lesen Sie sich manchmal Ihre alten Reden durch? Als Sie vor zehn Jahren noch SPD-Vorsitzender waren, haben Sie die PDS „populistisch und antiwestlich” genannt. Hat sich in der Zwischenzeit der Sozialismus verändert oder nur Ihre Meinung?

Das ist lange her. Ich wundere mich immer, wie viele Leute in die Schlachten der Vergangenheit verliebt sind. Die PDS gibt es nicht mehr. Die Linke ist eine neue politische Kraft - und sie ist dabei, Deutschland zu verändern.

In Bremen ist der Linkspartei erstmals der Einzug in ein westdeutsches Länderparlament gelungen. Diesen Erfolg wird die Linke bei den Landtagswahlen 2008 in Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Bayern kaum wiederholen können.

Die Umfragen sehen uns in Hamburg, Hessen und Niedersachsen bei sechs Prozent, selbst in Bayern kommen wir in der „Sonntagsfrage” für die Bundestagswahl auf fünf Prozent.

Aber eine konkrete Machtoption ergibt sich daraus nicht.

Was ist Macht? Wenn Macht bedeutet, die Politik zu verändern, dann tun wir dies bereits. Selbst Westerwelle spricht jetzt ab und zu von sozialer Gerechtigkeit.

Es bleibt ein strukturelles Problem: Die Linke gilt noch immer als verkalkte Ost-Partei. 70 Prozent der Mitglieder sind älter als 60 Jahre, von 70 000 Mitgliedern kommen nur 10 000 aus dem Westen.

Viele Jüngere haben sich uns in den letzten Wochen angeschlossen. Im Saarland übertreffen wir bereits die Mitgliederstärke von FDP und Grünen. Unser Ziel ist es, auch in den anderen westlichen Ländern mit diesen Parteien gleichzuziehen.

Wie kommt es, dass die neue Linke ihren Ursprung ausgerechnet im tiefschwarzen Bayern hat, bei der IG Metall in Franken?

Vielleicht hat die langjährige Herrschaft der CSU den Oppositionsgeist gestärkt. Vielleicht liegt es auch am Charakter der Bayern. Sie sind ein sehr temperamentvolles Volk und empören sich über soziale Ungerechtigkeit.

Interview: Holger Eichele

Münchner Merkur, 5. Juli 2007