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»Das G7-Bündnis ist irgendwie aus der Zeit gefallen«

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Im Interview mit Deutschlandfunk spricht Stefan Liebich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss, über die Rolle des G7-Bündnisses, erörtert die Frage nach dessen Zeitgemäßheit angesichts der internationalen Krisen und Konflikte und entwickelt Alternativen zukünftiger internationaler Zusammenarbeit und Konfliktlösung.

 

Die G7 seien ein Bündnis des vergangenen Jahrhunderts, sagte Stefan Liebich, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, im DLF. Denn es seien mehrere wichtige Staaten sowie der Kontinent Afrika nicht vertreten. Es laufe aber weiter, weil das einzige legitimierte Organ, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, sich blockiere.

Dirk Müller: Was bringt das Ganze, ein aufwendiges, äußerst kostspieliges Zusammentreffen der sieben Außenminister der westlichen Industriestaaten, der größten Industriestaaten der Welt? Genau hierin liegt das Problem. Es sind die G7-Staaten und eben nicht die G8. Es sind auch nicht die G20. Und was machen Gespräche für einen Sinn zum Ukraine-Konflikt, ohne Moskau daran zu beteiligen? Und machen Gespräche über den Iran Sinn, ohne Moskau und auch Peking daran zu beteiligen? Die Minister aus Frankreich, Italien, den USA, aus Kanada, Großbritannien, Japan und Deutschland sagen darauf ganz klar: Natürlich bringt das Ganze etwas.

Die G7 beraten also in Lübeck. Sie beraten ohne Russland und sie beraten über die Ukraine und über den Irak, unter anderen Themen. Stefan Liebich ist jetzt bei uns am Telefon, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Tag.

Stefan Liebich: Schönen guten Tag, Herr Müller.

Müller: Herr Liebich, das Ganze ohne Russland. Können sich die Sieben das Ganze sparen?

Liebich: Mal ganz abgesehen von der Russland-Frage: Das G7-Bündnis ist irgendwie aus der Zeit gefallen. Es ist ein Bündnis des letzten Jahrhunderts. Russland und China fehlen hier politisch. Aber auch wenn man wirtschaftlich herangeht, wären zum Beispiel Indien, Mexiko und Brasilien dabei. Der zweitgrößte Kontinent, Afrika nach Bewohnern und Fläche, fehlt auch. Ich weiß nicht, was dieses Treffen soll, und ich halte es nicht für richtig.

Müller: Das konnten wir, viele von uns jedenfalls schon vor 10, 15 Jahren in den Tageszeitungen, in den Fachzeitschriften lesen, dass das so ist, wie Sie es jetzt gerade beschrieben haben. Sagen wir korrekt aus journalistischer Sicht, dass das so sein soll, wie Sie es gerade beschrieben haben. Warum läuft das Ganze so weiter?

Liebich: Das frage ich mich auch. Ich glaube, ein Grund ist, dass das einzige legitimierte Organ, nämlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, sich gegenseitig blockiert und nicht reformfähig ist. Schon lange gehören Brasilien und Indien und ein afrikanisches Land in den UN-Sicherheitsrat. Statt dass man sich darauf einigt, sind diejenigen, die schon drin sind, daran interessiert, dass sich nichts ändert, und sind Länder wie Deutschland und Japan interessiert, noch hineinzukommen, wonach im Moment niemand ruft. Ich glaube, das Organ, was sich ändern muss, ist der UN-Sicherheitsrat, anstatt dass sich Organisationen, die sich nur selbst legitimieren, treffen.

Müller: Und so ähnlich würden Sie das auch sehen mit Blick in Richtung Sommer? G7-Gipfeltreffen auch eine Malaise?

Liebich? Es ist ja genau das Gleiche. Es war eine, finde ich, fehlerhafte Entscheidung, angesichts der Ukraine-Krise Russland aus diesem Treffen zu verabschieden. Sie haben das ja in Ihrem Vorbericht gesagt. Es gibt viele Entscheidungen, die werden nun einmal im UN-Sicherheitsrat getroffen: die Entscheidungen über Jemen, die Entscheidungen über Iran erfolgen im P5+1-Format. Das bedeutet, die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland. Auch da fehlen Russland und China. Syrien wird man ohne Russland auch nicht verhandeln können, weil Russland dort nun mal - das kann man ja sehen wie man will - immer noch Verbündeter von Assad ist. Auch das Ende von ISIS gehört aus meiner Sicht auf den Tisch des UN-Sicherheitsrats. Insofern weiß ich nicht, was dieses Treffen soll. Es kostet eine Menge und ich verstehe jeden Protest dagegen.

Müller: Jetzt würde der deutsche Außenminister sagen, lieber Stefan Liebich, wissen Sie denn nicht, dass Russland die Krim besetzt hat.

Liebich: Ja dann würde ich ihm antworten, dass ich das natürlich weiß und ich genauso wie er daran Kritik habe. Aber falsches Verhalten sollte aus meiner Sicht nicht dazu führen, dass man Gesprächskanäle beendet. Ich kann da nur immer wieder auf klügere Entscheidungen im letzten Jahrhundert verweisen. Als es noch den Kalten Krieg gab, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert ist, als in der Volksrepublik Polen das Kriegsrecht existierte, war man trotzdem in der Lage, in der KSZE in Madrid sich zu treffen. Heute entscheidet man sich für den Weg, Gesprächskanäle zu beenden. Man setzt den Nato-Russlandrat aus, wenn man ihm am dringendsten braucht. Man verabschiedet Russland aus solchen Runden. Das ist alles nicht sinnvoll. Dort treffen sich jetzt Leute, die einander recht geben können und sich gegenseitig bestätigen können. Aber richtig weiter kommt man damit nicht.

Müller: Hätten Sie denn Russland in irgendeiner Form bestraft, in irgendeiner Form sanktioniert?

Liebich: So wie ich Wladimir Putin einschätze, ist er jemand, der auf Strafen überhaupt nicht in dem Sinne reagiert, wie wir es für notwendig halten. Ich glaube, was sinnvoller ist - und da gibt es ja auch einen Vorschlag, den die Bundeskanzlerin gemacht hat und der auf dem Tisch liegt - ist, an seine eigenen Interessen zu appellieren, zu sagen, wir brauchen hier keine getrennten Wirtschaftsräume, sondern wir sollen über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum nachdenken und diskutieren. Da haben alle Seiten etwas davon. Ich glaube, mit Strafen, die klingen erst mal gut, aber erreicht man nicht das, was man erreichen will. Den Menschen im Osten der Ukraine und auf der Krim ist damit überhaupt nicht geholfen.

Müller: Dann reden wir, Herr Liebich, im Grunde als übergeordneten Kontext dann doch über Realpolitik, das was möglich ist, das was sinnvoll ist. Jetzt mal anders herum gefragt: Würden Sie denn auch ohne Wenn und Aber das, was Sie jetzt bei Wladimir Putin so charakterisiert haben, Reden ist besser als Bestrafen, genauso auch übertragen beispielsweise auf Baschar al-Assad?

Liebich: Wenn wir realpolitisch herangehen, dann muss man immer mit denen reden, die zuständig sind, und es ist nicht zu bestreiten, dass in Syrien Assad immer noch eine relevante Größe ist. Zwar hat er nicht mehr die Macht über das ganze Land, aber es wäre aus meiner Sicht sinnlos, ohne ihn über eine Zukunft Syriens zu reden. Ob er als Person daran noch beteiligt sein muss, das müsste das Ergebnis von Verhandlungen sein. Die Aleviten allerdings und die Baath-Partei, die müssten auf jeden Fall mit dabei sein. Ohne die wird es keine Lösung geben. Und ja, ich finde, da muss man auch mit Assad reden, so schrecklich man auch immer findet, was er dort tut.

Müller: Sie meinen, jeder muss im Grunde in der Politik, gerade wenn er Verantwortung trägt, gerade auch als Außenpolitiker, in der Lage sein, mit jedem anderen zu reden?

Liebich: Grundsätzlich würde ich das bejahen. Aber angesichts der aktuellen Entwicklung möchte ich doch eine Ausnahme machen. Der schreckliche Terrorismus, den der sogenannte „Islamische Staat" in einigen Teilen unserer Welt betreibt, der ist aus meiner Sicht nicht durch Verhandlungen zu beantworten, weil es gibt dort auf der anderen Seite niemanden, den man als Verhandlungspartner identifizieren kann und die überhaupt verhandeln möchten.

Müller: Aber das kann ja noch kommen, Herr Liebich.

Liebich: Sie haben einen anderen Weg gewählt, nämlich den Weg brutaler Gewalt und des Terrors. Da sehe ich diese Variante nicht. Ansonsten bei nahezu allen anderen Konflikten sehe ich sie. Sie erinnern sich, dass beispielsweise auch die Vereinigten Staaten von Amerika in der Lage waren, mit Nordkorea zu verhandeln. Größer könnten die Unterschiede kaum sein, man hat es trotzdem geschafft. Ich glaube, das ist der richtige Weg.

Müller: Aber da fällt mir das Beispiel Taliban ein. Das war auch jahrelang Tabu. Irgendwann haben die Amerikaner gesagt, geht nicht mehr anders, wir müssen mit denen reden.

Liebich: Ja, war auch richtig. Es war eine späte Erkenntnis und ich glaube, man hätte sich viele Jahre Krieg sparen können. Ich glaube, es war nicht der richtige Weg, dort so auf einen militärischen Sieg zu setzen. Den haben wir ja bis heute nicht.

Müller: Und das gilt, um da noch mal nachzuhaken, jetzt nicht für den IS, wenn sich da etwas herauskristallisiert, dass es so etwas geben könnte wie ein Gespräch?

Liebich: Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Die Art und Weise, wie auf der Seite agiert wird, machen Verhandlungen unmöglich und sie sind ja auch nicht gewollt. Dort hat man eine ganz eigene Vorstellung von der Welt, die man mit brutaler Gewalt und Terror durchsetzen möchte. Da fehlt mir jeder Anknüpfungspunkt für ein Gespräch.

Müller: Hatten die Taliban ja auch, oder haben sie immer noch.

Liebich: Da ist es ja so, dass es gesprächsbereite Kanäle gab, die auch zu teilweisen Erfolgen geführt haben. Aber ja, Sie haben schon recht: Solange es keine vernünftigen staatlichen Strukturen gibt und keine erkennbaren Akteure, sind Gespräche sehr schwer. Das ist aber im Falle Russlands, um darauf mal zurückzukommen - das war ja der Anfang -, nun überhaupt nicht der Fall. Beispielsweise hat Russland genauso wie Deutschland und die Europäische Union und alle anderen auf der Welt ein Interesse, dass der Terror des „Islamischen Staates" gestoppt wird, und deshalb, finde ich, gehört auch dieses Thema zurück auf den Tisch des UN-Sicherheitsrats in New York.

Müller: Sind Sie davon überzeugt? Sehen Sie klare Zeichen dafür, dass Moskau bereit ist, das was man in Minsk beschlossen und angekündigt hat auch umzusetzen?

Liebich: Es gibt dort auf allen drei Seiten positive und negative Signale. Es gab ja den Rückzug einiger schwerer Waffen, wie es in Minsk vereinbart war, leider nicht von allen. Es ist so, dass das Abkommen von Minsk weitere Bestandteile beinhaltet, beispielsweise die Bildung von Arbeitsgruppen über den Status der Gebiete im Osten der Ukraine, um die es hier geht. Dort ist auch verabredet worden, dass man mit Vertretern derjenigen, die dort jetzt das Sagen haben, also dieser seltsamen Separatisten zusammentrifft. Da weigert sich bisher die Regierung in Kiew. Das heißt, es gibt auf allen Seiten Bewegung, aber zu wenig Bewegung. Wir sind noch nicht an dem Punkt, dass das Abkommen tatsächlich getreu der Buchstaben umgesetzt wird.

Müller: Und Sie haben auch nach wie vor Zweifel daran, dass Kiew in der Lage ist, sich vertragstreu zu verhalten?

Liebich: In der Lage sind sie schon. In der Lage sind die Separatisten, in der Lage ist Kiew und in der Lage ist auch Moskau. Aber ich glaube, der politische Wille ist auf allen drei Seiten noch nicht ausreichend ausgeprägt, und deshalb ist es auch richtig, dass die Außenminister sich weiter treffen, und das ist ja auch ein Zeichen dafür, dass G7 allein nicht ausreicht. Wenn man sich dann am Vorabend doch mit Herrn Lawrow und Herrn Klimkin trifft, dann hätte man auch ein anderes Format wählen können. Das heißt, das Gespräch ist hier weiter notwendig, und das wird zum Glück ja auch immer noch geführt.

Müller: Stefan Liebich, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch. Danke, dass Sie Zeit für uns gefunden haben.

Liebich: Sehr gern!

 

Deutschlandfunk, 15. April 2015