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Das Bundesrats-Nein zu Hartz IV ist noch kein Weihnachtsgeschenk

Interview der Woche von Katja Kipping,

Sie kämpfen schon lange gegen die Ungerechtigkeiten der »Agenda 2010«, namentlich gegen Hartz IV. Im November hat der Bundestag trotz der heftigen Proteste das Gesetz zur Neuregelung der Regelsätze für die Grundsicherungen beschlossen. Wie ging es Ihnen da persönlich?

Katja Kipping: Erschüttert hat mich die vollkommene Ignoranz der Kritiken am Gesetz durch Erwerbslose, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen sowie Sozialrichterinnen und Sozialrichtern. Die Abgeordneten von CDU, CSU und FDP befürworteten trotz dieser heftigen Kritiken die Manipulationen durch die Bundesregierung am Regelsatz. Der erneute Gang zum Bundesverfassungsgericht ist damit unausweichlich. Darüber hinaus: Im Windschatten der neuen Regelsatzbestimmung sollen viele Verschlechterungen im Hartz IV-Bereich durchgezogen werden, so beispielsweise erweiterte Möglichkeiten der grundrechtswidrigen Kürzung von Sozialleistungen durch Sanktionen.

Für die fast fünf Millionen Hartz IV-Beziehenden sind das dann ja wieder tolle Aussichten. Und ein trauriges Weihnachtsfest obendrein.

Mehr als traurig. Es ist schamlos, was die schwarz-gelbe Bundesregierung da treibt. Der Schlag ins Gesicht des Bundesverfassungsgerichts ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Menschen, der der Auffassung ist, dass Grundrechte beachtet und geachtet werden müssen. Schamlos ist es, wie die Bundesregierung Millionen Menschen das Grundrecht auf eine menschenwürdige Sicherung der Existenz und Teilhabe verwehrt. Sie will jeder und jedem Hartz IV-Beziehenden selbst das Einfachste verweigern - eine gesunde, ausreichende Ernährung, die chemische Reinigung, das Übernachten auf einem billigen Zeltplatz, den Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, die Zimmerpflanze oder den Weihnachtsbaum. Das und noch viel mehr ist im zukünftigen Regelsatz nicht drin. Der CDU-Bundesministerin für Arbeit und Soziales ist scheinbar nichts heilig.

Wenn nun alles nichts mehr hilft: Sie hatten ja schon im Bundestag angekündigt, dass die Fraktion DIE LINKE gegen das Hartz-Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht klagen will. Wie haben Sie Einfluss genommen auf andere Fraktionen im Deutschen Bundestag bezüglich der Abschmetterung dieses Gesetzes?

Die Fraktion DIE LINKE kann leider nicht allein eine Normenkontrollklage gegen das von Unions-FDP-Mehrheit im Bundestag beschlossene Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Dazu sind 25 Prozent der Abgeordneten nötig. Die hat DIE LINKE nur zusammen mit Abgeordneten von SPD oder Grünen. Wir haben bei diesen Fraktionen angefragt, ob sie sich mit uns über eine gemeinsame Klage verständigen wollen. Von der SPD gab es bisher keine Antwort. Die Grünen wollten erst den Beschluss des Gesetzes abwarten. Der ist jetzt da. Beide Fraktionen sind jetzt also am Zug. Wir haben unser Angebot vorgetragen und auch in Gesprächen mit Abgeordneten beider Fraktionen erneuert. 

Im Bundesrat gibt es gegenwärtig keine Mehrheit für das schwarz-gelbe Gesetz zur Neuberechnung der Hartz IV-Regelästze.

Das ist gut. Denn durch dieses Nein eröffnet sich die Chance, dass die Regelsätze doch noch verfassungskonform berechnet werden. Es ist aber nur eine Chance, noch kein sicheres Weihnachtsgeschenk. Denn immer noch besteht die Gefahr, dass SPD und Grüne sich ihr Ja zu dem Gesetz für kleine Lappalien erkaufen lassen.

Einer der zentralen Streitpunkte im jetzt eingeschalteten Vermittlungsausschuss ist die Erhöhung um lediglich 5 Euro an sich.

Ohne die Tricks der Regierung müsste der Regelsatz deutlich bei 500 Euro liegen. Nun besteht die Gefahr, dass Schwarz-Gelb sich damit herausredet, dass eine Neuberechnung bis zum Jahresende zeitlich überhaupt nicht mehr machbar ist.

Und Ihre Antwort darauf?

Der Bundesrat sollte eine Kommission einsetzen, in der neben Abgeordneten auch Fachleute zusammenkommen und die Regelsätze bis Mitte 2011 neu berechnen. Und dieser Regelsatz könnte dann rückwirkend zum Jahresanfang nachgezahlt werden. Die Tagungen dieser Kommission sollten öffentlich übertragen werden. Das Beispiel der Schlichtung zu Stuttgart 21 zeigt ganz klar: Es gibt ein öffentliches Interesse daran. Solch grundlegende Entscheidungen dürfen nicht in Hinterzimmern ausgehandelt werden, sondern gehören ans Licht der Öffentlichkeit.

DIE LINKE hat ein Konzept für das, was Hartz IV einmal ersetzen soll: die Mindestsicherung. Können Sie uns das in seinen Kernpunkten kurz erläutern?

Die Mindestsicherung soll erstens eine Höhe haben, die tatsächlich die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe der Menschen sichert. Zweitens will sie weitere Grundrechte umsetzen - sie soll frei von Möglichkeiten der Leistungskürzung bzw. Sanktionen sein und sie soll die Bedarfsgemeinschaftskonstruktion abschaffen, also individuell das menschenwürdige Existenz- und Teilhabeminimum garantieren. Außerdem wollen wir das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen - auch jeder Asylbewerberin und jedem Asylbewerber steht das von dem Menschenwürde-Grundsatz des Grundgesetzes abgeleitete Recht der Sicherung von Existenz und gesellschaftlicher Teilhabe zu.

Zum Abschluss noch ein kleiner Ausblick auf das kommende Jahr, bitte!

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass endlich Hartz IV abgeschafft wird. So schnell wie möglich. Und dass die von Hartz IV Betroffenen die ihnen gebührende Anerkennung und Achtung erfahren. Es muss endlich Schluss sein mit der politisch verursachten Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen. Im nächsten Jahr stehen viele Landtagswahlen an. Es besteht die Möglichkeit, dass sich die Mehrheit im Bundesrat noch einmal deutlich nach links verschiebt. Dann könnte aus der derzeitigen Verhinderungsmehrheit womöglich eine Mehrheit werden, die Sachen verändern kann. Und das wäre mehr als notwendig.

linksfraktion.de, 20. Dezember 2010