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Fabio de Masi im Plenalsaal

»Da würde ich mit Crémant im Jacuzzi liegen«

Im Wortlaut von Fabio De Masi, Der Freitag,

Im Gespräch: Unserer Demokratie drohen noch viel größere Katastrophen als der Wirecard-Skandal, sagt der Linken-Obmann im Untersuchungsausschuss, Fabio De Masi. Das Interview für den Freitag führte Jonas Voss.


Der Freitag: Herr De Masi, es heißt, die Regierungskoalition will die Arbeit des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Bundestags im April beenden ...

Fabio De Masi: Bisher hat noch keine vorzeitige Beendigung eines Untersuchungsausschusses vor dem Verfassungsgericht standgehalten. Wir werden so lange weitermachen, wie es nötig ist. Ob das Herrn Scholz oder sonst wem in den Wahlkampf passt, interessiert mich nicht.

Eine unmittelbare Folge der Arbeit des Ausschusses ist, dass der Präsident der Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, gehen muss. Wer sollte noch seinen Hut nehmen?

Ich bin ja nicht in der Französischen Revolution und will eine Guillotine fallen sehen – ich habe bereits vergangenen Juli den Rücktritt Hufelds gefordert. Doch mir geht es nicht um Rücktritte. Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht, wir machen eine Art öffentliche Tatortbegehung. Das hatte auch abseits personeller Entscheidungen bereits heftige Konsequenzen.

Welche denn?

Der Druck ist jetzt enorm, die Finanzaufsicht neu aufzustellen. Mein Ziel ist es, dass die deutsche Finanzaufsicht Spitze wird und nicht eine Lachnummer bleibt.

Was heißt das konkret?

Es braucht eine eigene forensische Elitetruppe – momentan arbeiten dort nur fünf Leute mit Wirtschaftsprüferexamen. Zweitens, brauchen wir im digitalen Zeitalter eine umfassende Aufsicht über Konzerne, die Finanzgeschäfte machen. Die BaFin hat Wirecard wie einen Technikkonzern behandelt. Bei Volkswagen fühlt sich die Finanzaufsicht etwa nur für die VW Bank, nicht für den Autokonzern zuständig. Wirecard baute aber keine Autos, sondern wickelte Zahlungen ab. Eine Aufsicht die mit Finanzkonzernen und den großen Wirtschaftsprüfern nicht mithalten kann, wird nicht ernst genommen.

Ist das nicht übertrieben?

Absolut nicht – wir brauchen Topleute, natürlich für gutes Geld. Und die Finanzaufsicht kann nicht nur mit Zettel und Bleistift bewaffnet sein. Insiderhandel bei der BaFin, aber auch in Ministerien, muss zudem strikt unterbunden werden. Während man einen Journalisten der Financial Times wegen kritischer Artikel zu Wirecard mit einer Strafanzeige überzog, zockten Mitarbeiter der Finanzaufsicht mit Wirecard-Aktien. Deutschland gilt zudem als ein Paradies für Geldwäsche – das ist verheerend für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir brauchen die frühere Einbindung der Kriminalpolizeien bei der Bekämpfung von Geldwäsche. Aber Olaf Scholz backt kleine Brötchen.

Wieso?

Das Finanzministerium lässt sich die Reform der Finanzaufsicht von Beratern wie Roland Berger aufschreiben. Das zeigt doch schon das ganze Dilemma.

Neben der Finanzaufsicht waren auch Nachrichtendienste Thema im Untersuchungsausschuss.

Die Bundesregierung scheint sich bisher nicht wirklich dafür zu interessieren, dass österreichische Agenten auf deutschem Hoheitsgebiet Fluchthilfe geleistet haben. Das ist ein Skandal. Wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) jedoch auf meine Nachfragen einräumen musste, hat er sich mit Bundessicherheitsbehörden über Wirecard, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek und österreichische Geheimdienste ausgetauscht. Näher ins Detail gehen wollte er leider nicht.

Was haben österreichische Geheimdienste mit Wirecard zu schaffen gehabt?

Es gibt den Verdacht, dass die einstige Nummer Zwei im dortigen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung – Martin W. – im Auftrag von Marsalek gespitzelt hat. Der Mann hat laut Chat-Protokollen aus einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Wien einen anderen früheren BVT-Mann – Egisto O. –, der nun im Innenministerium sitzt, aufgefordert, meinen Lebenslauf an den früheren deutschen Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer zu übermitteln. O. soll darauf entgegnet haben: „Ist schon passiert!“ Ich frage mich: Wozu, wenn nicht, um mich über Schmidbauer bei deutschen Diensten auszuforschen? Außerdem hat O. Quellen in Deutschland getroffen. Das könnte eine Agententätigkeit auf deutschem Hoheitsgebiet sein. Aber wahr ist auch: Ohne die Passivität bayerischer Beamter hätte Marsalek es schwerer gehabt.

Was meinen Sie damit?

Die Münchner Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss bestätigt, dass sie von den fehlenden 1,9 Milliarden Euro bei den philippinischen Banken bereits am 16. Juni wusste. Am 18. Juni erhielt sie dazu ein Fax von der BaFin – das lag dort übrigens zwei Tage herum, unter der Woche. Wir wissen, dass Frau Bäumler-Hösl zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass der Vorstand kriminell sei und nicht der Treuhänder. Dennoch wurde kein Haftbefehl erlassen. Über eine Woche nachdem Marsalek untergetaucht war, erließ man am 3. Juli Haftbefehl, weil er zu einem Termin nicht erschien. Jetzt hängen wir im ganzen Land Fahndungsplakate auf. Das war alles aber erst der Anfang.

Inwiefern? 

Das Argument der Oberstaatsanwältin, es hätte zuvor nicht zu einem Haftbefehl gereicht, überzeugt mich nicht. Warum hat es dann später gereicht? Und wieso wurde Marsalek nicht unmittelbar nachdem Frau Bäumler-Hösl Kenntnis über die fehlende Summe erhielt vorgeladen? Zum damaligen Zeitpunkt lagen ja bereits Geldwäsche-Anzeigen gegen Marsalek vor. Auf meine diesbezügliche Frage erhielt ich die Antwort, eine solche Vorladung brauche ja zwei, drei Tage mit der Post – dann wäre Marsalek ja so oder so weg gewesen. Aber das konnte die Staatsanwältin ja am 16. Juni noch gar nicht wissen. Als Anwalt Markus Brauns würde ich bei solchen Aussagen mit einer Flasche Crémant im Jacuzzi liegen.

Wieso? 

Es ist doch perfekt für Markus Braun und die Geheimdienste, dass Marsalek untergetaucht ist. Er kann nun als Sündenbock herhalten. Wenn Braun mit Marktmanipulation davonkommt, wandert er vielleicht ein paar Jahre ins Gefängnis. Anschließend kann er das Geld verprassen, welches er wahrscheinlich zur Seite geschafft hat. Wenn das passiert, ist das ein enormer Schaden für die Demokratie. Viele Leute haben das Gefühl, dass ein Ladendieb härter bestraft wird als Gangster in Nadelstreifen. Und oft müssen Gerichte ja auch kapitulieren, etwa im Goldfinger-Prozess in Augsburg – oder wir rennen wie im Cum-Ex-Skandal noch Jahre später den Milliarden hinterher.

Wie lässt sich das verhindern? 

Wir müssen unseren Rechtsstaat – Staatsanwälte und Gerichte – aufrüsten. Nur so können unsere Gerichte mithalten mit den Armeen an Anwälten der Wirtschaftsmächtigen. Einen Rechtsstaat gibt es nicht zur Flatrate. Die Herausforderungen werden durch digitale Konzerne wie Facebook ja eher größer.

Was hat Facebook mit Wirecard zu tun?

Die Story von Wirecard war ja immer: Wenn immer mehr Leute im Internet einkaufen und bezahlen, sind wir eine ewige Wachstumsstory, da Wirecard schon in der Frühphase des Internets Zahlungen für Porno und Glücksspiel abwickelte. Doch Wirecard ist kein Vergleich zu Facebook oder Apple. Wenn die erst einmal ihre Datenmacht nutzen, um in den Finanzsektor vorzudringen, drohen uns die mächtigsten Konzerne der Wirtschaftsgeschichte. Die wissen dann, was Sie zu Essen kaufen, und können vielleicht Ihre Lebenserwartung für Ihre Krankenversicherung ausrechnen. Facebook hat mit seinen Apps etwa 2,7 Milliarden Nutzer – dagegen ist die Deutsche Bank ein Kindergeburtstag. Wollen wir in einer Welt leben, in der wenige Konzerne eine solche Daten- und Finanzmacht haben? Ich habe nichts gegen Innovationen in der Finanzbranche, aber eine solche Daten- und Technikmacht bedroht die Demokratie. Deswegen brauchen wir eine öffentliche digitale Infrastruktur, digitales Zentralbankgeld und den Schutz des Bargelds bei kleinen Einkäufen.

Der Freitag,