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Colonia Dignidad: Deutschland muss endlich Verantwortung übernehmen

Im Wortlaut von Jan Korte,

 

Von Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Etliche Medien, darunter ZEIT Online, berichten heute über die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage "Aktueller Stand und Pläne zur Aufarbeitung Colonia Dignidad“. Demnach wussten BND und Bundesregierung spätestens seit 1966 von den Verbrechen in der deutschen Sektensiedlung. Trotzdem hat die Regierung bis 1987 die Menschenrechtsverletzungen nicht nur ignoriert, sondern sich vielmehr schützend vor die Colonia Dignidad gestellt.

Die Antwort und der jüngste Skandal beim Empfang des Bundespräsidenten in Chile vor zwei Wochen zeigen, dass die Bundesregierung noch weit von einer tatsächlichen Kehrtwende im Umgang mit den Verbrechen der Colonia Dignidad entfernt ist. 

Die genauen Umstände der Einladung von Reinhard Zeitner, einem Verurteilten Mittäter und berüchtigten Schläger der Schäfer-Truppe, auf den Empfang des Bundespräsidenten müssen schnellstens aufgeklärt werden und Konsequenzen haben. Geklärt werden muss auch, warum mit Hans Schreiber, dem Chef der juristischen Abteilung der Colonia Dignidad, ein weiteres aktuelles Führungsmitglied der Villa Baviera eingeladen wurde. Wenn der entstandene Eindruck einer nach wie vor anhaltenden Verweigerung, sich intensiv mit der Aufarbeitung der eigenen Verstrickungen in dieses dunkle Kapitel deutscher Außenpolitik zu beschäftigen, ausgeräumt werden soll, dann müssen Botschaft und Auswärtiges Amt jetzt Tabularasa machen. Die jahrelange Unterstützung der Nachfolgeführung hat ganz offensichtlich weniger die Aufklärung, sondern eher das Schweigekartell und alte Machtstrukturen innerhalb der Sekte gefördert.

Auch nach der Verhaftung von Sektenchef Paul Schäfer im Jahr 2005 und den anschließenden Prozessen und Verurteilungen gegen eine Reihe von Tätern aus der Führung der Sekte wurde niemals ernsthaft an eine Auflösung und Abwicklung der Sekte gedacht. Stattdessen gab die Bundesregierung von 2008 bis 2013 über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) etwa eine Million Euro für wirtschaftliche Hilfe mit dem Ziel der «Integration der Villa Baviera in die chilenische Gesellschaft» aus. Durch dieses Hilfsprogramm wurde nicht nur die kriminelle Vergangenheit des Ortes und die vielen Siedler, die die Siedlung verlassen hatten, ignoriert, sondern auch der Grundstein für die anhaltende Gleichbehandlung von Tätern und Opfern gelegt. Mit diesem Umgang muss Schluss gemacht werden.

Die einseitige Fixierung der Bundesregierung auf die deutschen Opfer der Colonia Dignidad ist völlig inakzeptabel. Wer die hunderten chilenischen Folteropfer unter den Tisch fallen lässt, blendet einen zentralen Punkt in der Verbrechensgeschichte der Sekte aus und will offensichtlich Ausmaß und Charakter des von Deutschen verübten Terrors während der Pinochet-Diktatur relativieren. Wer seit spätestens 1966 von den Verbrechen weiß und bis 1987 die zahllosen Menschenrechtsverletzungen nicht nur ignoriert, sondern sich vielmehr schützend vor die Täter gestellt hat, hat allen Grund sich zu schämen und zu entschuldigen. Ich erwarte, dass es die Bundesregierung jetzt nicht bei frommen Worten belässt.

Deutschland muss endlich glaubwürdig Verantwortung übernehmen. Dazu gehört endlich allen Opfern die Anerkennung und Unterstützung zukommen lassen, die ihnen zustehen. Dies könnte z.B. durch eine bilaterale Expertenkommission, die die Bedürfnisse und Forderungen der verschiedenen Opfergruppen bündelt, geschehen. Neben einer sozialen und medizinischen Absicherung der Opfer sollte sich die Bundesrepublik aber auch mit viel mehr Nachdruck und Engagement an der Einrichtung eines Gedenkortes auf dem Siedlungsgelände, weiteren erinnerungspolitischen Maßnahmen sowie der umfassenden Aufklärung der Verbrechen und der Verfolgung der Täter beteiligen.

linksfraktion.de, 28. Juli 2016