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»Bundesregierung macht sich mitschuldig«

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

Wolfgang Gehrcke kritisiert die Tatenlosigkeit der großen Koalition im Nahost-Konflikt

Wolfgang Gehrcke ist Mitglied des Parteivorstands der Linkspartei.PDS und im Bundestag außenpolitischer Sprecher der Linkspartei. Über die Lage im Nahen Osten, die Haltung der Bundesregierung und den Stand der Diskussion im Auswärtigen Ausschuss sprach mit ihm Martin Ling.

Gestern tagte der Auswärtige Ausschuss auf Initiative der Linkspartei zur Lage in Nahost. Mit welchem Ergebnis?

Es gab eine sehr gründliche Debatte. Das Ergebnis bleibt mangelhaft. Offensichtlich - dies ist mehr oder weniger auch bestätigt worden - haben die USA Israel grünes Licht gegeben, um mindestens noch eine zweite Woche in Libanon Krieg ohne Einschränkung zu führen. Die Bundesregierung ist abgetaucht, weil sie sich diesem Kurs anschließt. Deutschland und die USA haben es Israel gestattet, militärisch gegen andere Länder vorzugehen - und das ist ein Skandal, der politisch geklärt werden muss.

Hat die Bundesregierung wie laut »New York Times« die USA aktiv grünes Licht gegeben oder passiv durch Abtauchen?

Das weiß ich nicht. Aber es kommt so oder so auf das Gleiche raus. Frau Merkel hat Herrn Bush offensichtlich während der G 8-Verhandlungen in Sankt Petersburg das Einverständnis der Bundesregierung mit dem Vorgehen der USA signalisiert

Sie kritisieren die Tatenlosigkeit der Bundesregierung. Sind andere EU-Länder tatkräftiger?

Die politischen Positionen beispielsweise aus Frankreich und Italien sind Israel gegenüber sehr viel kritischer.

Sie fordern eine kraftvolle Intervention. Wie könnte die aussehen und wer sollte sie unternehmen?

Mit kraftvoll meine ich, dass das ausgesprochen wird, was alle sehen oder sehen müssten. Das Vorgehen Israels gegenüber Libanon ist völkerrechtswidrig. Es gibt keine Verhältnismäßigkeit der Mittel. Der Flughafen in Beirut wird bombardiert. Eine halbe Million Menschen ist auf der Flucht. Das öffentliche Leben im Gaza-Streifen und im Westjordanland ist faktisch zusammengebrochen. Wenn die Bundesregierung Israel nicht öffentlich sagt, wir stützen diesen Kurs nicht, sondern unter der Hand signalisiert, wir lassen euch Zeit, macht sie sich mitschuldig. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es zu einer Zusammenarbeit der Parlamentarier, linker Parlamentarier aus Griechenland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und so weiter käme. Wir sind jetzt gefordert. USA-Außenministerin Condoleezza Rice wird in den nächsten 14 Tagen in die Region fahren. Das wird eine weitere Eskalation mit sich bringen. Die ganze Region ist ein Pulverfass, und wer das Streichholz an die Lunte legt, der handelt kriminell. Das muss mit aller Deutlichkeit gesagt werden.

Israel beruft sich bei seinem Vorgehen auf sein Sicherheitsinteresse. An der Legitimität des Letzteren lässt sich kaum zweifeln?

Nein. Das Sicherheitsinteresse ist selbstverständlich legitim, doch das Vorgehen entspricht nicht Israels Interesse. Diese Überzeugung teile ich mit linken Abgeordneten in Israel und in den Palästinenser-Gebieten, mit denen ich täglich telefoniere. Es gibt nur einen Schlüssel zum Frieden im Nahen Osten: Weg von den einseitigen Scheinlösungen hin zu einer Verhandlungslösung über einen lebensfähigen Palästinenserstaat. Damit könnte nicht nur der Konflikt zwischen Israel und Palästina beigelegt werden sondern das hätte auch eine günstige Wirkung auf den Irak-Krieg, auf die Iran-Problematik, also auf die ganze Region.

Das ist mittelfristig sicher die wünschenswerte Perspektive. Wie soll jedoch mit der Hisbollah umgegangen werden, die einer der destabilisierenden Faktoren in der Region ist und laut UNO-Resolution längst entwaffnet sein müsste?

Isolierte Aktionen wie jetzt gegen die Hisbollah und schon seit geraumer Zeit gegen die Hamas bringen meines Erachtens überhaupt nichts. Die Hisbollah ist Teil der libanesischen Regierung. Der Regierungswechsel in Libanon ist unter großem Beifall - gerade der westlichen Länder - vollzogen worden. Es war bekannt, dass die Hisbollah auch bewaffnete Milizen unterhält. Es wäre klüger gewesen, in einem Zug-um-Zug-Verfahren vorzugehen: Entwaffnung von Milizen gegen Zugeständnisse an einen zu schaffenden palästinensischen Staat. Gewaltsam sind solche Konflikte nicht zu lösen.

Und wer soll am Verhandlungstisch sitzen?

Ich würde dafür den Begriff 2+4-Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen benutzen wollen. Zwei bedeutet die beiden unmittelbaren Konfliktparteien, Israel und Palästina - vertreten durch ihre Regierungen -, die Vier wären aus meiner Sicht sind die Europäische Union, Russland, die USA und die Arabische Liga. Die Initiative dazu müsste vom Weltsicherheitsrat und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen ergriffen werden.

Neues Deutschland, 21. Juni 2006